Friedensdekade

Spuren von und zu Kriegen in Deutschland

von Jan Gildemeister
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege
( c ) Netzwerk Friedenskooperative

"Von Deutschland darf nie wieder Krieg ausgehen" war eine der Konsequenzen nach dem Zweiten Weltkrieg. Leider hat dies wenig mit der Realität zu tun.

Kriegerische Gewalt hinterlässt Spuren - beispielsweise an Gegenständen, wie es auf dem Motiv zur Ökumenischen FriedensDekade 2016 zu sehen ist: Historische Stätten werden ebenso zerstört wie Wohn- und Krankenhäuser oder die Infrastruktur eines Landes. Auch die Natur wird in Mitleidenschaft gezogen. Erschreckender sind aber noch die Spuren bei Menschen, die in Kriegsregionen in Syrien, Libyen, Sudan, Mali oder Afghanistan überleben: Es sind vor allem Zivilistinnen und Zivilisten, die Angehörige und FreundInnen verlieren, selber verletzt werden und/oder Traumata erleiden. Laut Bericht des UN-Generalsekretärs zum World Humanitarian Summit benötigen 125 Millionen Menschen humanitäre Hilfe, 60 Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Etwa 80% des Bedarfs an humanitärer Hilfe entsteht aufgrund gewaltsam ausgetragener Konflikte.

Diese Spuren des Krieges finden wir zunehmend auch in Deutschland: Es ist allgemein bekannt, dass viele Soldatinnen und Soldaten nach Bundeswehreinsätzen in Afghanistan oder an anderen Kriegsschauplätzen mit posttraumatischen Erkrankungen zurückkommen. Dies gilt aber auch für die vielen ZivilistInnen nach ihrem Einsatz im Katastrophenschutz, als Friedensfachkraft, EntwicklungshelferIn oder JournalistIn in einer Krisen- und Kriegsregion. Nehmen wir sie wahr, bekommen sie genügend professionelle ärztliche und psychologische Hilfe und Mitgefühl?

Eine neue, weitaus größere Herausforderung ist die große Zahl an Geflohenen aus Syrien, Afghanistan oder anderen Kriegsregionen. Sie haben zumeist Schreckliches in ihrer Heimat erlebt und häufig auch auf dem Weg ihrer Flucht. Viele Kinder haben jahrelang kein geordnetes und friedliches Leben mehr erfahren können, ihre Eltern sind gezeichnet von Kriegserlebnissen, erfahren in Deutschland in der Regel bürokratische Hürden und zunehmend auch Ablehnung einiger Mitmenschen. Wen wundert es, wenn es in den Sammelunterkünften zu Auseinandersetzungen kommt oder Schulen große Probleme haben, geflüchtete Kinder in den Unterricht zu integrieren?

Wie lange solche Kriegserlebnisse nachwirken, erfuhren und erfahren viele Einheimische: Über Generationen haben in vielen Familien bis heute die beiden Weltkriege im letzten Jahrhundert Spuren hinterlassen. Versöhnungs- und Heilungsprozesse dauern häufig sehr lange, vor allem wenn über die schrecklichen Erfahrungen von Tod und Leid, von Flucht und Gewalt geschwiegen wurde und teilweise noch wird.

Spuren hin zum Krieg gibt es reichlich: Deutschland gehört mit zu den größten Waffenexporteuren, Kleinwaffen deutscher Unternehmen sind beliebt und lassen sich an vielen Kriegsschauplätzen in der Welt finden, ob bei den sogenannten Sicherheitskräften in Mexiko oder auf dem Schwarzmarkt im Irak. Waffen wurden und werden weiterhin in Massen an Saudi-Arabien geliefert, einem Regime, das an diversen Kriegen beteiligt ist. Auch die Bundeswehr ist an Kriegen als Kriegspartei beteiligt: In Mali, Afghanistan, im Nordirak oder in Syrien. Sie ist auch dann Kriegspartei, wenn sie wie in Syrien „nur“ Bilder für Angriffe liefert oder andernorts Soldaten bzw. Milizen an Waffen ausbildet. Und die Stützpunkte der USA in Deutschland sind unentbehrlich für deren Kriegsführung. Die meisten Drohneneinsätze, bei denen mutmaßliche Terroristen ohne (angemessene) Gerichtsverhandlung getötet werden, laufen logistisch über US-Standorte in Deutschland. Oft sind Zivilisten unter den Opfern. Und US-Soldatinnen und -Soldaten machen auf dem Weg in Kriegseinsätze in Deutschland Station, werden auf dem Rückweg in Krankenhäusern behandelt.

Bekanntlich sind kriegerische Konflikte – neben Umweltkatastrophen in Folge des Klimawandels, Hunger und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeiten – die Hauptursache für die Flucht von immer mehr Menschen. Deutschland hat viele Möglichkeiten, die Ursachen zu bekämpfen. So sollte umgehend der Export von Kleinwaffen und von Rüstungsgütern in Krisenregionen und an kriegsführende Staaten verboten werden. Initiativen zur Konversion von Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie sollten wiederbelebt werden. Anstelle von Einsätzen der Bundeswehr als Kriegspartei gibt es viele Möglichkeiten, Krisen- und Kriegsprävention zu betreiben, zivile Konfliktbearbeitung und diplomatische Initiativen zu verstärken.

Die deutsche Politik setzt aber leider andere Prioritäten: Der Verteidigungshaushalt – der mittlerweile eher ein Kriegshaushalt ist – soll in den nächsten Jahren deutlich ausgebaut werden. Anstelle der Fluchtursachen werden die Flüchtenden, vorwiegend Opfer von Kriegen, bekämpft: an den Außengrenzen der EU und durch eine Abschreckungspolitik im Innern.

Glücklicherweise gibt es viele zivilgesellschaftliche, auch kirchliche Initiativen, die andere Prioritäten setzen und eine Umkehr fordern: Die „Aktion Aufschrei - Stoppt der Waffenhandel", Aktionen gegen Bundeswehreinsätze oder an Militärstandorten, Initiativen für einen Ausbau des Zivilen Friedensdienstes sind nur einige Beispiele dafür. Andere leisten konkrete Hilfe für Geflüchtete, engagieren sich gegen eine Aushöhlung des Grundrechtes auf Asyl und für sichere Wege nach Deutschland, fördern eine Willkommenskultur und bekämpfen Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung. Das Klima in Deutschland ist generell rauer geworden, Populisten bekommen viel mediale Aufmerksamkeit, Gewalt nimmt zu. Aber es gibt auch das andere Deutschland, das Traumatisierten hilft, Geflüchtete und Zuwanderer unterstützt, als Gleichberechtigte einen Platz in der Gesellschaft zu finden, die viel zu häufig destruktive Rolle Deutschlands in der Welt thematisiert, gegen Unrecht und die Verletzung von Menschenrechten protestiert und sich für einen konstruktiven, gewaltfreien Austrag von Konflikten einsetzt. Auf dieser Seite stehen auch die Mitgliedsorganisationen der AGDF, auch viele Menschen in den Kirchen ebenso wie in der Ökumenischen FriedensDekade. Diese Initiativen zu stärken, ist ein Zeichen der Humanität und ein Gebot der Stunde.

Der Artikel ist erstmalig in der AGDF-Handreichung für Kirchengemeinden erschienen (www.Friedensdekade.de/Impulse).

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Jan Gildemeister ist Geschäftsführer der AGDF.