Ein unvollständiger Überblick

Strafverfolgung von Zivilem Ungehorsam in der Friedensbewegung

von Martin Otto

Ziviler Ungehorsam in der Friedensbewegung: Bei diesem Stichwort fällt vielen gewaltfreien Akiven meiner Generation – ich gehöre dem Jahrgang 1954 an – die "Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung" ein. In dieser wurden in den 1980er Jahren Blockaden von Atomwaffendepots organisiert, und bis heute wurde in keiner friedenspolitischen Kampagne in Deutschland mehr Strafverfolgung provoziert als damals.

Wohlgemerkt: Die Rede ist hier von Zivilem Ungehorsam, also von Aktionen, bei denen die TeilnehmerInnen keine körperliche Gewalt gegen Menschen androhen oder anwenden und bei denen sie nicht versuchen, der anschließenden juristischen "Aufarbeitung" aus dem Wege zu gehen. Hierbei werden oftmals die rechtlichen Folgen nicht nur riskiert, sondern regelrecht provoziert, beispielsweise durch Selbstanzeigen und dadurch, dass in Strafprozessen die Einstellungsangebote der Justiz abgelehnt werden. Letzteres war in der "Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung" recht häufig der Fall. So kam es, dass wegen der damaligen Blockaden rund 3.000 Menschen wegen "Nötigung" verurteilt wurden. Rund 200 von ihnen sind infolgedessen im Gefängnis gewesen – die meisten aber nicht deshalb, weil sie zu Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, sondern weil sie es ablehnten, Geldstrafen zu bezahlen, und stattdessen demonstrativ die Ersatzfreiheitsstrafen antraten. Die Inhaftierungen – manchmal als "Mahnwachen hinter Gittern" bezeichnet – wurden oft selbst wieder zu politischen Aktionen, begleitet von guter Presse- und spektakulärer Soli-Arbeit.

Das gilt grundsätzlich noch heute, nur kommt der Gang ins Gefängnis inzwischen nicht mehr oft vor. Im Zivilen Ungehorsam wird staatliche Repression nicht nur angeprangert, sondern es wird auch versucht, die dahinter stehende Absicht (Abschreckung, Ausgrenzung, Entpolitisierung) zu unterlaufen und ins Gegenteil zu verkehren. Die Aktiven finden es zwar nicht in Ordnung, dass sie angeklagt werden, aber wenn der Staat partout anklagen will, dann nehmen sie auf der Anklagebank Platz – auch um selbst etwas einzuklagen, nämlich ihr Recht auf gewaltfreien Widerstand gegen staatliches Unrecht. (Dazu fällt mir die Anekdote von der Frau ein, die 2009 ein Go-In mit zwei Mitstreitern in die Kaserne von Cochem-Brauheck unternommen hatte, dann aber bei der Strafverfolgung – im Gegensatz zu den beiden anderen – von der Justiz "vergessen" wurde. Fast flehentlich schrieb sie: "Ich will meinen Prozess!") Wie schon die Aktion selbst, so soll und kann auch ihre Kriminalisierung nochmals zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit führen. Und die Chancen, dass die politischen Ziele und Mittel der Aktiven in einer breiteren Öffentlichkeit auf Sympathie stoßen, werden dadurch gesteigert, dass die Aktiven mit StaatsanwältInnen, RichterInnen etc. auch dann respektvoll umgehen, wenn sie diese als RepräsentantInnen des kritisierten politischen und juristischen Systems nicht akzeptieren können.

Nach den 1980er Jahren
Gewaltfreie Blockaden hat es nach den 1980er Jahren in der deutschen Friedensbewegung immer wieder gegeben; außerdem gab es in den letzten Jahren Entzäunungsaktionen, unerlaubtes Betreten von Militärgelände, Veranstaltung von nicht angemeldeten oder auch ausdrücklich verbotenen Versammlungen, öffentliche Aufrufe zu Zivilem Ungehorsam, Fahnenflucht / Totale Kriegsdienstverweigerung / Gehorsamsverweigerung, demonstrative Meinungsäußerungen mit dem Tenor "Soldaten sind Mörder" und anderes.

Wegen solcher Aktionen sind nur noch wenige Menschen ins Gefängnis gesperrt worden. BlockiererInnen wurden oft gar nicht mehr strafverfolgt, sondern allenfalls wegen angeblicher Ordnungswidrigkeiten belangt oder zur Zahlung von Polizeieinsatzkosten ("Wegtragegebühren") aufgefordert. So war es zum Beispiel infolge der Blockaden, die im März 2003 von der "resist"-Kampagne aus Protest gegen die von deutschem Boden ausgehende Unterstützung des damaligen Irakkriegs organisiert wurden: an der europäischen Kommandozentrale der US-Streitkräfte in Stuttgart (EUCOM) und an der US-Airbase in Frankfurt/Main. In den Fällen aber, in denen "resist"-Blockierende dann doch wegen "Nötigung", also wegen Begehens einer Straftat, in erster Instanz verurteilt wurden, sind diejenigen, die dagegen Berufung einlegten, letztlich rechtskräftig freigesprochen worden. Eine andere Aktion führte jedoch noch mal eine Blockiererin in den Knast: Sie hatte im Februar 2008 einen Munitionstransport-Zug bei Husum durch Anketten an das Gleis gestoppt und wurde deswegen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. 35 Tage hat sie im Frühjahr 2012 "abgesessen", dann übernahm die Soli-Aktion "Knastpatenschaft" die verbliebenen 55 Tagessätze durch Freikauf.

Totale Kriegsdienstverweigerung
Wegen Totaler Kriegsdienstverweigerung sind mehrere Haftstrafen ohne Bewährung ausgeprochen worden. Das härteste Urteil betrug 22 Monate Knast ohne Bewährung; das liegt allerdings schon lange zurück. Andererseits sind einige TKDVer mit einer Verwarnung "davongekommen". Die letzten Verurteilungen, von denen ich erfahren habe, stammen aus den Jahren 2008 und 2010, sie lauteten auf Geldstrafen von 60 bzw. 50 Tagessätzen.

Go-Ins
Bei den Go-Ins sind vor allem die Aktionen der EUCOMmunity und der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen (GAAA) zu nennen, bei denen unerlaubt Militärgelände betreten und häufig auch Militärzäune aufgeschnitten wurden. Die folgenden Strafprozesse führten meistens zu rechtskräftigen Verurteilungen. Wegen der neun Entzäunungsaktionen am EUCOM zwischen 1990 und 2005 durch die gewaltfreie Aktionsgruppe EUCOMmunity sind 13mal AktivistInnen im Gefängnis gewesen; die Haftdauer lag zwischen 7 und 66 Tagen. Aus Protest gegen die Lagerung von Atombomben in Büchel/Südeifel hat die GAAA 17 Aktionen des Zivilen Ungehorsams zwischen 1997 und 2013 (mit)organisiert. Acht dieser Aktionen wurden "Zivile Inspektionen" genannt, das heißt: Die AktivistInnen durchschnitten oder überkletterten den Zaun des Bundeswehr-Fliegerhorsts und erklärten ihre Absicht, überprüfen zu wollen, inwiefern mit der dort praktizierten "nuklearen Teilhabe" gegen das Völkerrecht verstoßen wird. Die meisten Eindringlinge wurden zu Geldstrafen verurteilt, in ein paar Fällen wurden aber auch rechtskräftige Freiheitsstrafen gegen "Wiederholungstäter" verhängt. Die längste davon dauerte sieben Wochen an. Insgesamt waren bisher zehnmal Aktive wegen Zivilen Ungehorsams in Büchel inhaftiert. Es gab jedoch auch den Fall, dass die Verfahren gegen zwei selbst ernannte "Inspekteure" eingestellt wurden, obwohl sie sich zum Aufschneiden des Zauns bekannt hatten. Und nach einer weiteren Go-In-Aktion, bei der es keine Sachbeschädigung gab, erkannte das Gericht auf "Verwarnung mit Strafvorbehalt" – die Angeklagten hatten "lediglich" Geldbußen zu bezahlen.

Das unerlaubte Betreten eines nicht „befriedeten“ (also nicht eingezäunten oder ummauerten) Militärgeländes wird in der Regel nicht als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit angesehen. So hat es beispielsweise wegen Begehungen des Truppenübungsplatzes Altmark/GÜZ durch die BürgerInneninitiative "OFFENe HEIDe" mehrere Owi-Verfahren gegeben. Die Betroffenen sind von der zuständigen Wehrbereichsverwaltung mit Bußgeldern von jeweils 100 Euro belegt worden. Dieser Betrag hat sich bisher (Stand Juli 2014) auch bei „MehrfachtäterInnen“ nicht erhöht: Wer drei Mal beim Betreten des Geländes gestellt wurde, erhielt drei Bußgeldbescheide über jeweils 100 Euro.

Aufrufe
Fünf Mal verteilten GAAA-Aktive in Büchel und dem nahe gelegenen Cochem Flugblätter, mit denen Soldaten zur Verweigerung von Befehlen aufgerufen wurden. Die Verteilungen wurden vom Cochemer Amtsgericht als Straftaten gewertet – wer aber gegen eine Verurteilung Rechtsmittel einlegte, wurde in höheren Instanzen freigesprochen. Gegen einen jedoch, der seine Berufung zurückgezogen hatte, wurde eine zweimonatige Haftstrafe rechtskräftig. Er war 27 Tage im Gefängnis für eine "Tat", die letztlich als rechtmäßig anerkannt worden war – dann erst wurde ihm die Reststrafe "auf dem Gnadenwege" erlassen.

Mit einem anderen Flugblatt wurden Menschen zur Teilnahme an der Büchel-Blockade, die im August 2013 stattfand, aufgerufen. Deswegen kam es zu (bisher) zwei Gerichtsverhandlungen – und zu der kuriosen Situation, dass ein Verwaltungsgericht befand, hier sei nicht zu strafbaren Handlungen aufgefordert worden, während eine Strafrichterin die gegenteilige Auffassung vertrat und den Flugblattverteiler zu einer Geldstrafe verurteilte. (Dies ist noch nicht rechtskräftig.)

Derselbe Angeklagte war kurz zuvor (im April 2014) in letzter Instanz rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 2.600 Euro wegen "Aufforderung zum Geheimnisverrat" verurteilt worden, weil er im Juli 2012 MitarbeiterInnen des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann in München per Flugblatt aufgefordert hatte, Boykott- und Sabotagehandlungen gegen die Lieferung von Leopard-II-Kampfpanzern an Saudi-Arabien zu begehen.

Aus Platzmangel kann in diesem Artikel nicht auf die Strafverfolgung von "Pflugschar"-AktivistInnen, von "Soldaten sind Mörder"-Äußerungen und von LeiterInnen unangemeldeter Versammlungen eingegangen werden. Aber dieser Überblick ist ja – wie gesagt – eh nicht vollständig. Gerne lasse ich mich über weitere, hier nicht erwähnte Strafverfahren informieren, die in den letzten Jahren auf Grund von Aktionen des Zivilen Ungehorsams im Rahmen der Friedensbewegung in Deutschland geführt wurden.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt