„Bonn von Hindenburg befreien!"

Straßenumbenennung: Erfolg zivilgesellschaftlichen Engagements

von Armin Lauven

Vor etwa zehn Jahren haben engagierte Bonner Bürger*innen damit begonnen, ihre Stadt von „Hindenburg zu befreien“. Es wurden erste praktische Schritte unternommen, einen Platz (im Stadtteil Dottendorf) und eine Allee (in Plittersdorf), die den Namen Hindenburg tragen, umzubenennen und Hindenburg die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen (1).
Hindenburg war an Kriegsverbrechen im 1.Weltkrieg maßgeblich beteiligt, er hat einen früheren Waffenstillstand bzw. Friedensschluss systematisch verhindert und damit weitere Kriegsopfer billigend in Kauf genommen.
Hindenburg war Urheber der sog. Dolchstoßlüge: Das angeblich „im Felde unbesiegte Heer“ sei „von hinten“ (von der nach Frieden und Demokratie strebenden Zivilbevölkerung) „erdolcht“ worden, was zur militärischen Niederlage geführt habe.
Hindenburg hat Hitler zum Reichskanzler ernannt; er war daher Totengräber der Weimarer Republik, Steigbügelhalter Hitlers und Wegbereiter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Hindenburg ebnete mit Notverordnungen, die u.a. die Grundrechte auf Dauer außer Kraft setzten, den Weg zur Errichtung der faschistischen Diktatur. 
Formale Grundlage für aktives politisches Engagement vor Ort bietet u.a. § 24 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen: „Jede Einwohnerin oder jeder Einwohner der Gemeinde ... hat das Recht, sich ... mit Anregungen ... in Angelegenheiten der Gemeinde an den Rat oder die Bezirksvertretung zu wenden“ (2).
Der zweite (im März 2020) gestellte Bürgerantrag (3) hat nun endlich zu ersten Erfolgen geführt: der Hindenburgplatz ist in Loki-Schmidt-Platz umbenannt – so das Votum der Anwohner*innen (4) –, die Haltestelle ebenfalls, Fahr- und Stadtpläne werden entsprechend geändert. Auch die Hindenburgallee erhält einen neuen Namen, den ebenfalls die Anwohnerinnen bestimmen werden (Beschluss der zuständigen Bezirksvertretung vom 6.10.2021 (5)).
Die Mühlen der politisch Verantwortlichen mahlen extrem langsam: Vertagung, ablehnende Stellungnahmen der für die Umbenennung zuständigen Stadtverwaltung, Änderungsanträge am Wortlaut des Bürgerantrags, Gegenanträge, verzögerte Abstimmungsprozeduren, eine manchmal unsägliche Debattenkultur in den kommunalpolitischen Gremien. Befreiung im Schneckentempo? Ein eindeutiges Ja, aber für Resignation und Entmutigung besteht überhaupt kein Anlass, auch wenn die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde Hindenburgs weiterhin auf sich warten lässt und die Streichung Hindenburgs aus der Ehrenbürgerliste immer noch nicht erfolgt ist. Im Gegenteil: Der Beschluss des Bürgerausschusses des Bonner Stadtrates („Die Verwaltung wird gebeten, im Zuge der Erarbeitung des Gesamtkonzepts „Aktive Erinnerungskultur“ Lösungsansätze zu erarbeiten, um dem Antragsinhalt (Aberkennung der Ehrenbürgerwürde) in geeigneter Weise zu entsprechen.“(6)) bietet die Möglichkeit, „Aktive Erinnerungskultur“ konkret zu gestalten und wirksam werden zu lassen. So sollten die Erstellung (und Umsetzung) eines Konzepts „Erinnerungskultur Hindenburg“ selbstverständlich gemeinsam mit Interessierten der Stadtgesellschaft und der (un-)mittelbaren Nachbarschaft der beiden Orte erfolgen (z.B. Anwohner*innen sowie Mitglieder der Schulgemeinde zweier sich dort direkt befindender bzw. in der Nähe liegender Gesamtschulen). Ein sog. Geschichtspfad oder Informationsweg und dessen Begleitung und „Pflege“ (wie in Bad Tölz vorbildhaft entwickelt (7)) könnten u.a. ein Ziel sein, in Abständen veranstaltete „Geschichtswerkstätten“ ein mögliches weiteres Projekt. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt!
Auf diese Weise kann auch dem von pensionierten Oberstudienräten und emeritierten Hochschulprofessoren („alte weiße Männer“!) gerne in Leserbriefen an die Lokalpresse erhobenen völlig absurden Vorwurf angemessen begegnet werden, die Umbenennungen sollten „historische Tatsachen ... nachträglich löschen“, vergessen machen oder gar „ausradieren“.
Gerne werden auch in anderen Orten „Hindenburg-Befreiungsaktivitäten“ nach Kräften unterstützt und das die bisherige Arbeit der Bonner Initiative begleitende Kampagnenkonzept mit entsprechenden praktischen Aktionsvorschlägen für die kommunalpolitische Umsetzung sowie eine umfangreiche Materialsammlung für die Unterrichtspraxis in der Schule zur Verfügung gestellt.
Anmerkungen
1 Die öffentliche Debatte über „Erinnerungskultur“ (s. z.B. https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/geschichte-und-erinnerung/3...)
gewinnt zunehmend an Bedeutung; warum entscheidende Akteure in Gesellschaft und Staat, aber auch der Geschichtswissenschaft Jahrzehnte benötigen, sich z. B. der Problematik von Straßenbenennungen bzw. Ehrenbürgerschaften zu widmen, ist schwer nachvollziehbar, sprengt den Rahmen dieses Artikels und sollte an anderer Stelle erörtert werden.
2 https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_detail?sg=0&menu=0&bes_id=6784&anw_n...
3 https://www.wissenskulturen.de/wp_wissenskulturen/wp-content/uploads/202...
4 https://www.bonn.sitzung-online.de/public/to020?TOLFDNR=2007496&SILFDNR=437 bzw. https://ga.de/bonn/stadt-bonn/bonn-aus-dem-hindenburgplatz-wird-der-loki...
5 https://www.bonn.sitzung-online.de/public/to020?8-1.-dokumenteHeaderPane...
6 https://www.bonn.sitzung-online.de/public/to020?TOLFDNR=2000129
7 https://infoweg-hindenburgstrasse.de/

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Armin Lauven ist Mitglied der Pax-Christi-Gruppe Bonn.