Internationaler Tag der Menschenrechte

Tag des Protests

von Elke Steven
Initiativen
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Am 10. Dezember 1948 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die allgemeine Erklärung der Menschenrechte angenommen. Zwei Jahre später forderte sie alle auf, in jedem Jahr den 10. Dezember als Tag der Menschenrechte zu begehen. Seit Jahrzehnten also sollte an diesem Tag der Verletzungen der Menschenrechte gedacht und Abhilfe geschaffen werden.

Die Bundesregierung nutzt diesen Tag allerdings jährlich, um die eigene Arbeit als ständige Arbeit für das Wohl aller darzustellen. Menschenrechtsverletzungen in der Bundesrepublik werden schlicht geleugnet. Auf die Menschenrechtsverletzungen in den anderen, "innerlich schwachen" Staaten wird aufmerksam gemacht, um nachzuweisen, wie sehr sich die bundesdeutsche Regierung auch hier für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzt. Ein Tag der Verschleierung, Unaufrichtigkeit und Scheinheiligkeit also, gäbe es da nicht auch die vielen Menschenrechts-, Bürgerrechts- und Friedensorganisationen, die jährlich diesen Tag nutzen, um auf die vielfältigen Verletzungen von Menschenrechten und die Verantwortlichkeiten der Regierenden hinzuweisen. In den Medien allerdings werden meist die offiziellen Vertreter staatlicher Politik zitiert, die Widersprüche zu der aktuellen Lage nicht aufgedeckt. Die Kritik, die Informationsveranstaltungen und Proteste haben da kaum eine Chance erwähnt zu werden.

Viele Gruppen, Initiativen und Organisationen haben den Tag der Menschenrechte 1997 wiederum genutzt, um auf die Verletzungen der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland aufmerksam zu machen. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hatte im Vorhinein den Aufruf "Asyl ist Menschenrecht!" veröffentlicht und für Unterschriften geworben. In Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 heißt es "Jedermann hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen." Dies ist in der Bundesrepublik Deutschland und in EU-Europa schon lange nicht der Fall. Die Verletzungen von Grund- und Menschenrechten in der Bundesrepublik werden immer vielfältiger und zahlreicher, im Umgang mit Flüchtlingen und AsylbewerberInnen nehmen sie ihren schlimmen Anfang. In dem Aufruf heißt es: "Heute, mehr als vier Jahre nach dem Asylkompromiß, ist absehbar, in welchem Ausmaß diese Grundgesetzänderung greift und was dieselbe weiterhin bewirken wird: eine Gesellschaft, die nicht mehr auf Integration setzt, sondern auf Aussonderung und Diskriminierung. Grundrechte können beinahe willkürlich zur Disposition gestellt werden." Über 600 Initiativen und Einzelpersonen hatten den Aufruf, der am 5.12.1997 als Anzeige in der ZEIT erschien, unterzeichnet und eigene Aktivitäten zum Tag der Menschenrechte angekündigt.

Das Grundrechtekomitee rief dazu auf, den Tag der Menschenrechte insbesondere zu nutzen, um die Verantwortung der Bundesregierung für die rigorose Abschiebepraxis von Flüchtlingen anzuprangern. An vier Flughäfen, den zentralen Orten, an denen die Verweigerung der Einreise und die Abschiebungen von Flüchtlingen stattfinden, organisierte das Komitee Mahnwachen. Ca. 450 Menschen haben an den vier Flughäfen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/M. und Hamburg all derer gedacht, die Opfer der Mißachtung des Menschenrechts auf Asyl geworden sind. Von 12.00 bis 13.00 Uhr wurden an diesen zentralen Orten der Opfer gedacht und die Verantwortlichen angeklagt. Die TeilnehmerInnen protestierten gegen die Asylverweigerung in der Bundesrepublik, gegen Abschiebehaft und gegen Abschiebungen, bei denen Menschen oft in Länder verbracht werden, in denen sie verfolgt, verhaftet, gefoltert und ins Gefängnis geworfen werden. "Asyl ist Menschenrecht!" war das Motto, unter dem alle Demonstrationen standen. Auf Plakaten, Flugblättern, T-Shirts, Taschen und Luftballons war es zu finden.

Auf den Mahnwachen in den Flughäfen wurde aus Abschiebehaftanstalten und aus der alltäglichen Arbeit mit Flüchtlingen berichtet. Flüchtlinge aus Afghanistan schilderten, wie aussichtslos die Situation vieler Flüchtlinge ist. Die Verantwortung der Bundesregierung für die rigorose Abschiebepraxis von Flüchtlingen wurde angeprangert. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, endlich das eigene Haus zu bestellen, statt den Menschenrechtstag regelmäßig dazu zu nutzen, Menschenrechtsverletzungen im Ausland hervorzuheben und sich selbst menschenrechtsprächtig darzustellen. Die Grund- und Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land, am schlimmsten gegenüber Flüchtlingen und AusländerInnen praktiziert, wurden aufgezeigt und die dringende Notwendigkeit politischer Veränderungen herausgestellt.

Die Demonstrierenden gedachten der Menschen, die in direktem Zusammenhang mit der Asylverweigerung in der Bundesrepublik Deutschland und in EU-Europa zu Tode gekommen sind: Vor den Küsten von Italien und Spanien sind Hunderte ertrunken, in Oder und Neiße sind mehr als hundert ertrunken, 44 Selbsttötungen aus Angst vor Abschiebung sind bekannt.

Die Mahnwachen wurden teilweise mit Musik (Trompeten, Saxophon) unterstützt, die zwar die Mauern nicht zum Einstürzen brachte, wie die Posaunen von Jericho, aber die Forderungen kräftig unterstützte. Eine Kabarettistin karikierte mit ihrem Wortwitz und ihrer Ironie die Situation von Flüchtlingen und die Verlogenheit der PolitikerInnen.

Trotz der Mittagszeit an einem normalen Arbeitstag kamen viele Menschen jeden Alters zu diesen Mahnwachen, sie kamen aus Friedens-, Asyl- und Flüchtlingsgruppen, aus kirchlichen und aus bürgerrechtlichen Zusammenhängen. In Frankfurt/M. beteiligten sich zwei Schulklassen an der Mahnwache im Flughafen - im Oktober war ein Schüler aus ihrer Mitte herausgerissen, in Handschellen gelegt und in die Türkei abgeschoben worden. Rücksichtslos und ohne jede Menschlichkeit funktioniert diese bürokratische Abschiebemaschinerie, die die SchülerInnen beklagten.

Die Materialien mit dem Aufdruck "Asyl ist Menschenrecht!" und erklärende Flugblätter wurden an die Gäste im Flughafen und die dort arbeitenden Menschen verteilt. Die Luftballons wurden an Kinder verschenkt, der Flughafen damit dekoriert, ein Transparent vor die Abflugtafel hochgelassen. Es gab Zustimmung und Verständnis für diese Aktionen. Erschreckend aber waren manche Kommentare am Rande, die vielleicht manchem erst deutlich machten, wie weit verbreitet die Ablehnung gegenüber allen AusländerInnen in diesem Lande ist.

In den Flughäfen in Düsseldorf, Frankfurt und Hamburg wurden diese mittäglichen Mahnwachen von den Fluggesellschaften und der Polizei toleriert. Zumindest den Fluggesellschaften waren sie vorher angekündigt worden. Die "Flughafen Hamburg GmbH" bestätigte schon vorher brieflich, daß sie die Mahwache dulde, "wie dies die jeweilige Verkehrssituation erlaubt". Ein Vertreter der Flughafengesellschaft in Düsseldorf teilte ebenfalls mit, daß sie sich entschlossen hätten, die Mahnwache zu dulden. Er betonte auch, daß diese Abschiebungen nicht in ihrem Namen geschähen, sondern vom BGS durchgeführt würden, dessen Arbeit sie tolerieren müßten.

Nur in der neuen Hauptstadt Berlin wollte die Flughafengesellschaft jedweden Protest untersagen und verhindern. Der Verkehrsleiter der Berlin-Brandenburg-Flughafen-Holding GmbH meinte, daß der Flughafen, insbesondere Tegel, keine Gedenkstätte sei. Die Mahnwache, die deshalb vor dem Gebäude stattfand und von Musikern der Philharmonie begleitet wurde, wurde von der Polizei behindert. Polizeibeamte räumten Plakate mit der Aufschrift "Asyl ist Menschenrecht!" ab und kassierten diese.

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Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.