Test Peace Instead

von Axel Pfaff-Schneider

Statt Atomtests - Friedenstests. Das ist das Motto der US-Friedensorganisation "American Peace Test", die vom 7. - 15. April ’89 wie schon in den Jahren zuvor zu Aktionen zivilen Ungehorsams an das Atomtestgelände in Nevada eingeladen hatte. Tausende waren diesem Aufruf, zum Zeitpunkt der Bombe zu marschieren, gefolgt. Mit dabei war eine Delegation der bundesdeutschen Friedenstestkampagne. Axel Pfaff berichtet von diesen beeindruckenden Aktionen.

Es ist still hier in der Wüste Nevadas. In einmaliger Schönheit versinkt die Sonne hinter den Jucca-mountains. An meinem letzten Abend im peace-camp lasse ich die Ereignisse noch einmal im Geiste an mir vorbeiziehen.
Erst im November ’88 hatten wir in Stuttgart die “Friedenstest-Kampagne - Ziviler Ungehorsam bis zum Atomteststopp" gegründet. Angeregt hat uns dazu APT (american peace test), die seit 1985 Aktionen am Testgelände durchführt. Seit 1945 haben alleine die USA 835 0ber- und unterirdische Test (Stand Dezember ’88) durchgeführt; die meisten hier in Nevada, mit all ihren schrecklichen Auswirkungen, die noch immer viel zu wenig bekannt sind. APT hat sich zum Ziel gesetzt, mit seiner ganzen gut organisierten Kraft auf diese Verbrechen aufmerksam zu machen und letztlich alle Tests zu stoppen.
Für uns Europäer ist ein direktes Eingreifen in das Testen nicht möglich. Was wir jedoch tun können, ist an den Auswirkungen dieser Tests - jetzt aktuell die Modernisierung der Lance durch ATACMS - anzusetzen und Zusammenhänge mit dem weilentfernten Testgelände herstellen. Wenn wir einen Teststopp bewirken, dann wäre dies auch das Ende der immer wieder neuen Stationierungen. So wuchs bei uns der Wunsch, direkt vor Ort in Nevada dabei zu sein und die amerikanischen Freunde und Freundinnen mit einer Delegation zu unterstützen, und das ist uns gelungen.
Eine Zeltstadt in der Wüste
Als ich am 7. April im Friedenscamp ankomme, habe ich eine Stunde Wüstenfahrt von Las Vegas aus hinter mir. Das Camp bietet schon einen ungewohnten Anblick: Massen bunter Zelte inmitten dieser eigenartig reizvollen Steinwüste. Etwa 400 Menschenwerden während der Aktionswoche hier leben und am zweiten Wochenende einen Ansturm von 4000 bis 5000 Menschen erleben.
APT hat gut vorgearbeitet. Neben dem Anmeldezelt stehen ein Sanitätszelt und das große Gemeinschaftszelt. Weiter dahinter ist eine richtige Müllsortieranlage für das Recycling aufgebaut. "Seeds of Peace" (Saat  des Friedens) heißt die Truppe, die uns aus ihren vier Bussen und LKW heraus hervorragend mit Vollwertkost und Wasser versorgen wird.
Einige sehr staubige Mulden sind abgesperrt. Hier hat der seltene Regen eine höhere radioaktive Konzentration hineingespült. Ansonsten ist das Gelände nicht stärker belastet als sonstwo südlich der Test-Seite, z. B. in Las Vegas.
An diesem ersten Abend treffen wir uns Europäer und sind selbst angenehm überrascht, mit vierzehn Deutschen, fünf Holländerinnen von "Frauen für den Frieden" und zwei Osterreichern eine doch recht stattliche Delegation darzustellen. Fast alle wollen beim Zivilen Ungehorsam mitmachen.
Ins Testgelände hinein...
Corbin Harney, der geistliche Führer der Western-Shoshone, führt die Eröffnungszeremonie durch und erinnert daran, daß dieses Land nach dem Vertrag von Ruby Valley 1863 seinem Stamm gehört. Corbin hat eine stämmige Figur mit ruhigen und bedächtigen Bewegungen; seine Art zu sprechen ist einfach, bildhaft und beeindruckend. Es ist klar, daß er jetzt mit dem Häuptling und anderen Freunden auf seinem Land einen Spaziergang machen wird, um damit gegen die Atomtests zu protestieren. So gehen sie als erste über das "cattle-guard" (Viehstolperfalle), den Haupteingang. Japanische Mönche singen und schlagen ihre Trommeln, einige Hippies trommeln auf der anderen Straßenseite, ein buntes Bild, Beifall, Anfeuerungsrufe...
Dort auf der anderen Seite stehen Staatspolizei, Antiterroreinheiten und Wachmannschaften des
D.O.E. (Department of Energy: die Energiebehörde führt die Tests durch!); Wer über das
cattle-guard geht, wird in Plastikhandschellen gelegt, abgetastet und durchsucht. Dann wird mensch in einen riesigen Maschendrahtpferch gesperrt. Es gibt eine Frauen und eine  Männerabteilung, die je gut 500 Personen fassen können. Nach einigen Stunden werden wir in Busse verfrachtet und etwa eine Stunde weit weg nach Beatty gefahren. Unterwegs werden die Personalien aufgenommen, allerdings anders als in der BRD. Keiner fragt nach dem Ausweis, und so gibt es immer wieder Leute mit dem Namen Jane oder John Doe (Wortspiel D0e=D.O.E.). Wir bekommen Strafbefehle zu 250 $, die allerdings die reine Farce sind. Im Falle des Widerspruchs bei Gericht wird das Verfahren eingestellt. In Beatty, wo schon die Unterstützerlnnen auf uns warten, werden die Handschellen gelöst und wir werden freigelassen.
 …Massen gehen über die Zäune.
In den nächsten Tagen wiederholt sich diese Prozedur noch oft, und neue Aktionsformen kommen hinzu. Gruppen steigen durch den nur aus wenigen Stacheldrähten bestehenden Zaun und laufen ins Testgelände hinein oder halten im Kreis mit ihren Freunden außerhalb über den Zaun hinweg ein Picknick. Andere blockieren die Zufahrt zum Haupteingang. Wieder andere fallen im "die-in" quer auf die Zufahrt und werden weggetragen oder -geschleift. Das Verhalten der Wachmannschaften wechselt dabei zwischen einigermaßen korrekt, grob und brutal, vor allem bei Blockaden, die in den USA noch recht ungewohnt und selten sind.
Etwa sechs km weit entfernt von dieser Szenerie liegt Mercury, vom Camp aus als weißer Streifen am Fuße einer Bergkette sichtbar, eine künstliche Stadt für 3000 Arbeitende und ihre Angehörigen. Erst dahinter, ungefähr zehn Kilometer weiter nördlich, beginnt das eigentliche Testgelände mit alten und neuen Kratern. Mercury ist das Hauptquartier, von dem aus alle Tests vorbereitet werden.
Immer wieder ist dieser Ort Ziel nächtlicher Aktionen. Insgesamt über 120 Personen gelingt es, bis dorthin vorzustoßen oder noch weiter vorzudringen. Einige werden in Mercury beim Aufhängen von Transparenten oder aus der Telefonzelle heraus festgenommen. Andere kommen unbehelligt zurück. Die Festgenommenen werden aber anders behandelt als erwartet. Nach der Gesetzeslage müßten diese "Eindringlinge“ mit Gefängnisstrafen bis zu einem halben Jahr rechnen. Sie werden jedoch wie alle anderen in den Pferch gesperrt.
APT kann sich dies als Erfolg verbuchen. Es wird sichtbar, daß die politisch Verantwortlichen die Masse politischer Prozesse fürchten. Bei früheren Aktionen hat APT sämtliche Knäste Nevadas überfüllt! Kurz vor den Aktionen hatte der Bezirksrichter angekündigt, daß er keine Prozesse führen würde und er das Ganze als Angelegenheit für das Bundesgesetz betrachte, für das er nicht zuständig sei. Ganz klar, der Bezirk hatte kapituliert. Angesichts dieser Verweigerung auf unterer Ebene hat APT nun die Chance, mit neuen und weiterreichenden Aktionen die politisch Verantwortlichen erneut herauszufordern und mit ihrer Politik des Schreckens zu konfrontieren.
Deutsche im Gefängnis
Unsere Friedenstestgruppe ist mit zwei Aktionen beteiligt. Die Sandaktion beginnt mit einer Andacht im Kreis, bei der der Medizinmann seinen Segen für das Land spricht. Dann gehen zwölf Deutsche und zwanzig Amerikanerlnnen mit uns über den Zaun, um jede/r eine Handvoll Test-Site-Sand zu holen. Mit dieser symbolischen Menge planen wir eine Aktion hier in der BRD vor einem A-Waffenlager. Wir wollen so die Zusammenhänge von Tests in Nevada und ständiger Neustationierung bei uns verdeutlichen. Beim Aufstellen einer Fahne werden wir festgenommen. Und dann passiert, worauf wir nicht vorbereitet sind. Die Polizei merkt, daß hier etwas nicht stimmt bei soviel fremden Akzent. Sie informiert die Einwanderungsbehörde und holt neun von uns wieder aus dem Pferch und packt sie in Kleinbusse. Einige haben ihre Passe im Camp und können sie vorzeigen. Die anderen Ausweise fahren mit dem Unterstützerautos in Richtung Beatty. Schließlich sind es drei Frauen und ein Mann, die nach Las Vegas ins Gefängnis gesteckt werden, bis wir am nächsten Tag die Ausweise mit den Visa vorlegen können
Der Höhepunkt
Unter dem Motto "7000 Atombomben in unserem Land sind genug – wir bringen die erste davon zurück" wollen wir mit unserer zweiten Aktion augenfällig verdeutlichen, daß wir die Waffen die in Nevada getestet werden, nicht wollen. Also basteln wir mit Draht und Pappe eine große Pershing II und bringen sie am letzten Tag, der Hauptaktion, zur Kundgebung.
Wir haben hier die Ehre, uns als europäische Delegation vor einigen Tausend Menschen vorzustellen und erfahren in deren Beifall noch einmal die Begeisterung und Solidarität, mit der uns die Menschen im Camp aufgenommen haben. Unser Besuch ist für sie ein wichtiges Zeichen, daß auch wir in Europa erkannt haben, daß ohne die Tests die Weiterentwicklung neuer atomarer Systeme unmöglich wird und wir dann von ständigen Neustationierungen verschont blieben. Für sie und uns sind die Tests ein Knackpunkt im Kampf für echte Abrüstung. Dies macht vor allem Daniel Ellsberg, ehemaliger Präsidentenberater, in seinem Redebeitrag deutlich.
Janet Gordon von der Gruppe "Downwinders" (das sind Menschen, die unter dem radioaktiven Wind leben und leiden) bewegt mich persönlich am stärksten. Ihre erschütternden Berichte über tausende von Krebsopfern der Tests, über die Ignoranz von Gerichten und Regierung und ihr leidenschaftliches Engagement haben mich noch einmal besonders eindringlich wissen und spüren lassen, daß wirklich jeder Test, auch die angeblich harmlosen unterirdischen, ein Verbrechen ist. Andere Rednerlnnen representieren die ganze bunte Vielfalt an diesem Tag; Großmütter für den Frieden, Veteranen, ein Sprecher von "Freeze". Schließlich ist es soweit, daß sich die Menschen auf den Weg machen an den Zaun und vor das Tor.
Wir recyceln eine Pershing II
Wieder sind es die Indianer, die als erste das Testgelände betreten. Die amerikanischen Freunde sind begeistert davon, wie sich unsere schwarze Rakete in der Masse derer, die ins Testgelände drängen, langsam auf den Haupteingang zuschiebt. Während unserer Festnahme greifen Hände irritierter Polizisten nach der Rakete und werfen sie schließlich in einen Müllcontainer. Ein sehr guter Platz, wie wir finden.
Allein für diesen Tag zählt APT 1060 Festnahmen. Mit den Festnahmen unter der Woche sind es insgesamt mindestens 1560. Ein stolzer Erfolg der Bewegung. Mit den Festnahmen bei Aktionen anderer, vor allem religiöser Gruppen, hat APT die Gesamtzahl in diesem Jahr schon auf über 2300 angehoben.
Es ist erstaunlich und unbegreiflich für viele Friedensleute in den USA, daß die Medien die Aktionen bisher weitgehend ignoriert haben. Und das, nachdem in den letzten drei Jahren über 8000 Menschen beim Betreten des weit ab der großen Städte gelegenen Atomtestgeländes festgenommen wurden.
Dies ist umso erstaunlicher, als dies laut einem Organisator von APT weit mehr Festnahmen sind als zu den Hochjahren der Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren.
Über den Atlantik hinweg
Für uns Europäer waren die Aktionen eine großartige Erfahrung mit vielen menschlich sehr interessanten Begegnungen.
An meinem letzten Abend denke ich auch an all die Menschen, die in der BRD und anderswo in dieser Zeit aktiv waren, um einen Teststopp herbeizuführen. Unter anderem fand in Bonn eine Fastenaktion mit Mahnwachen vor den Botschaften der Atommächte mit Gedenksteinniederlegungen und einer öffentlichen Diskussion unter Teilnahme von Botschaftsangehörigen statt.
Während der Auftaktkundgebung in Nevada erreichte uns die Nachricht, daß zur selben Zeit in Leningrad und Moskau eine unabhängige Friedensorganisation mit Menschenketten gegen sowjetische Atomtests  demonstrierte. Der Name dieser Gruppe: Nevada!
Wir wollten mit unserer Beteiligung im fernen Nevada dazu beitragen, den internationalen gewaltfreien Widerstand gegen Atomtests zu stärken. Nicht nur, weil wir weltweit von den Auswirkungen betroffen sind. Wir´fühlen uns verpflichtet, mit den amerikanischen Freunden gemeinsam zu handeln. Als wir Nevada verlassen, läuft in Mercury ein gespenstisches "Spiel". Über Funk kann mensch hören, wie in sogenannten Trockendurchläufen die Countdowns zu den erwarteten Tests "Tulia“ und "Ladue“ geprobt werden. Gleichzeitig befinden sich zu diesem Zeitpunkt nach tagelangen Märschen noch immer drei Menschen im Zentrum des Testgebiets...

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Axel Pfaff-Schneider arbeitet mit bei der Friedenstestkampagne in Tübingen.