Erfahrungen und Perspektiven

Transnationale Zusammenarbeit in der Friedensbewegung

von Andreas Speck
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Es erscheint notwendiger denn je, dass auch die Friedensbewegung(en) transnational zusammenarbeiten - auf militärischer Ebene gehört internationale Zusammenarbeit mittlerweile zum Standard, und es ist auch ein alter Hut, dass die meisten Konflikte eine internationale Dimension haben. Nun könnte man es sich leicht machen und sagen, "das ist doch auch in der Friedensbewegung ein alter Hut" - schließlich wurde z.B. der Internationale Versöhnungsbund 1919 gegründet, die War Resisters` International 1921, um nur zwei "Internationale" zu nennen. Doch so einfach ist das in der Praxis nicht.

Die Friedensbewegung ist bereits auf lokaler Ebene eine heterogene Mischung unterschiedlicher Initiativen, die nicht immer einfach unter einen Hut zu bringen sind. Unterschiede ideologischer Art, in Alter, Arbeitsstil, Schwerpunktsetzung, Zeitbudget, usw. spielen dabei eine Rolle. Die Zusammenarbeit ist da schon auf lokaler Ebene nicht immer einfach - und manchmal schlicht unmöglich. Wie soll das da auf internationaler Ebene funktionieren?

Internationale Kampagnen
Die "Coalition to Stop the use of Child Soldiers" ist eine in letzter Zeit sehr erfolgreich geführte internationale Kampagne01, in der sich verschiedene nationale und internationale Organisationen, u.a. Amnesty International und Human Rights Watch, zusammengeschlossen haben. Ähnliches gilt für die internationale Landminenkampagne.02 Hier arbeiten professionelle Nichtregierungsorganisationen zu einem sehr konkreten Thema und mit einem begrenzten Ziel gut und professionell zusammen, und die Erfolge, die sie erzielen, sind beachtlich: der Landminenvertrag, oder die Ergänzungen zur UN-Kinderrechtskonvention sind trotz ihrer Einschränkungen beachtliche Erfolge.

Allerdings: in diesen internationalen Kampagnen arbeiten im wesentlichen Politprofis - "global denken, lokal handeln" kommt dort selten zum Ausdruck, denn es gibt wenig "Bewegung". Und, bedeutender, die Ziele sind sehr eng gesetzt, und die Argumentation dieser Kampagnen beschränkt sich auf systemimmanente Argumente - eine Notwendigkeit, wenn Lobbying die wesentliche "Aktionsform" ist. Die Zusammenarbeit funktioniert auch deswegen, weil die AkteurInnen Teil einer internationalen professionellen "NGO-Kultur" sind - ob diese "Professionalisierung" aber langfristige gesellschaftliche Veränderung bewirkt ist zumindest fraglich.03

Graswurzelvernetzung
Die War Resisters` International setzt woanders an - bei der Vernetzung von Graswurzelaktivitäten in verschiedenen Ländern und auf verschiedenen Kontinenten. Das Gemeinsame ist dabei weniger ein konkretes Kampagnenziel, sondern die Grundsatzerklärung der WRI: "Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschheit, ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und für die Beseitigung aller seiner Ursachen zu kämpfen."04 Dies führt zu ganz anderen Problemen.

Die Mitgliedsorganisationen der WRI - und davon gibt es mittlerweile ca. 90 in ca. 45 Ländern auf fünf Kontinenten - konzentrieren sich in der Regel auf die Arbeit in ihrem eigenen Land: Organisierung von Kriegsdienstverweigerern, Friedenspädagogik oder -publizistik, Empowerment an der Basis, Friedensforschung und vielerlei andere Aktivitäten nehmen sehr viel Zeit in Anspruch. Die "Internationale" schwebt da oft eher als abstrakter Anspruch über allem, als das sie in der täglichen Kleinarbeit von Bedeutung wäre. Das heißt aber nicht, dass sie unbedeutend ist.

Die Graswurzelvernetzung spielt eine große Rolle im Austausch von Erfahrungen und von Aktionsformen. Über die War Resisters` International kamen gewaltfreie Aktionstrainings nach Deutschland und ebenso direkte gewaltfreie Aktionen Zivilen Ungehorsams.05 Erfahrungen aus anderen Ländern werden aufgenommen, und an die Situation im eigenen Land angepasst. Es entstehen neue Aktionsformen, und neue Erfahrungen, die dann wiederum zurückfließen - oder in andere Länder weiterfließen können. In Zeiten des Internet bedarf es dafür oft keiner Treffen mehr, auch wenn ich davon überzeugt bin, dass es nichts Fruchtbareres gibt, als den persönlichen Austausch zwischen AktivistInnen auf einem internationalen Treffen.

Solidaritätsarbeit
Internationale Vernetzung auf Graswurzelebene funktioniert oft erstaunlich gut, wo es um konkrete Solidarität mit von Verfolgung bedrohten Friedens- und MenschenrechtsaktivistInnen geht, und nicht um Solidarität mit einem anonymen, sich (angeblich) befreienden "Volk". Seit mehr als 10 Jahren arbeiten Gruppen der WRI zur Solidarität mit Kriegsdienstverweigerern in der Türkei, und - hierin liegt meines Erachtens die Stärke der Graswurzelsolidarität - dabei sind persönliche Beziehungen zu AktivistInnen in der Türkei entstanden, die über das politische Engagement hinausgehen. Die beeindruckende Solidarität mit Osman Murat Ülke, der wegen seiner Kriegsdienstverweigerung für mehr als 2 « Jahre inhaftiert war, ist da nur ein Beispiel. Weiter zurück liegen Solidaritätskampagnen mit Kriegsdienstverweigerern in Italien und Spanien. Aktueller sind Solidaritätskampagnen mit Kriegsdienstverweigerern in Jugoslawien.06 Wichtig an dieser Arbeit ist, dass sie keine Einbahnstraße darstellt, sondern über den persönlichen Kontakt gegenseitige Lernprozesse eingeleitet werden, die ein Verständnis der jeweiligen Situation im Land ermöglichen.

Und im Krieg?
Während des Krieges gegen Jugoslawien waren die transnationalen Kontakte, die die WRI bot, von ganz besonderer Bedeutung. Sie ermöglichten es, der Stimme der jugoslawischen Anti-Kriegs-Gruppen Gehör zu verschaffen. Der Slogan der Frauen in Schwarz aus Belgrad - "Am Himmel die NATO, am Boden Milosevic!" - wurde vor allem in Deutschland von der Friedensbewegung aufgegriffen, brachte er doch auf den Punkt, dass die Position der Friedensbewegung nicht an der Seite Milosevic` zu finden war, sondern eine grundsätzliche Ablehnung von Krieg und Gewalt aller Seiten beinhaltete. Kontakte im "gegnerischen" Land - unabhängige Kontakte, so möchte ich betonen - ermöglichen es der Friedensbewegung, die eigene Position gegen jede Form von Krieg und Gewalt glaubwürdiger darzustellen, und erschweren es der "Gegenseite", uns "als fünfte Kolonne", z.B. Milosevic` oder Saddam Husseins abzutun. Allerdings - im Falle des Irak sieht es mit diesen Kontakten eher schlecht aus: unabhängige Gruppen gibt es dort nicht.

Eine internationale Friedensbewegung?
Eine internationale Friedensbewegung, die in der Lage wäre, koordiniert zu handeln, gibt es meines Erachtens nicht. Wie oben beschrieben, funktioniert die Zusammenarbeit im wesentlichen bei konkreten Kampagnen, und bei der Solidaritätsarbeit. Gerade in Krisensituation - wie z.B. nach dem 11. September 2001, oder jetzt bei dem zu erwartenden Krieg gegen den Irak - sind aber die vielen lokalen und nationalen Friedensorganisation so mit der Arbeit im eigenen Ort/Land beschäftigt, dass für internationale Koordination keine Zeit mehr bleibt. Zudem gibt es keine "zentrale" internationale Koordinationsinstanz - sozusagen eine Koordination der nationalen Koordinationen (die es auch nur in wenigen Ländern gibt). Und so führen zahlreiche Aufrufe zu internationalen Aktionstagen oder sonstiger Vernetzung - meist per Email verschickt oder im Internet veröffentlicht - eher zu zufälligen Resultaten, aber nicht zu wirklicher Vernetzung oder gar internationaler Koordination.

Ist das unbedingt schlecht? Ich denke nicht, denn langfristige Veränderung von unten - von den Graswurzeln her - ist nachhaltiger als kurzfristige Lobbying-Erfolge. Trotz unserer revolutionären Ungeduld und der Verzweiflung angesichts gegenwärtiger und bevorstehender Kriege muss es uns darum gehen, unbeirrt an langfristiger Gesellschaftsveränderung zu arbeiten, und ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, das den Herrschenden das Führen von Kriegen erschwert und letztlich unmöglich macht. Hierbei können wir international voneinander lernen und uns unterstützen, doch geht es nicht um kurzfristige (Medien-)Aufmerksamkeit, sondern um die Veränderung an den Graswurzeln.

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Andreas Speck war Pressesprecher von Action AWE während des Burghfield Disarmament Camp. Seit Mitte September lebt er in Sevilla und engagiert sich im Red Antimilitarista y Noviolenta de Andalucia (RANA). mail@andreasspeck.info, http://andreasspeck.info