Hamburg: Drehscheibe des Waffentransports

Tribunal für den Frieden

von Martin Dolzer
Initiativen
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Über den Hamburger Hafen, eine der größten Drehscheiben für Waffentransporte in Europa, werden täglich 20 Tonnen Munition und zusätzlich unterschiedliche Mengen an Panzern, Panzerwagen, Raketenwerfern, Kriegsschiffen und mehr transportiert. Die tödliche Fracht wird in Länder wie die Türkei, Mexiko, Kolumbien, in afrikanische Staaten, die Arabischen Emirate und andere exportiert. Im Gegensatz zu dieser todbringenden Praxis wird die Hansestadt in der Landesverfassung als „Mittlerin des Friedens“ definiert. Auch im Grundgesetz, in der Europäischen Menschenrechtskonvention, in weiteren kontinentalen Menschenrechtskonventionen sowie in der Charta der Vereinten Nationen und Normen des Völkerrechts werden die Bevölkerungen und Regierungen jeweils zum Frieden und zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet.

Frieden und die Einhaltung der Menschenrechte, wie sie in diesen grundlegenden Verträgen und Gesetzeswerken definiert sind, in der Praxis durchzusetzen oder einzuklagen, ist oftmals sehr schwierig. In Bezug auf Frieden fehlt dazu bei vielen Verantwortlichen in Politik und Justiz der politische Wille. In Bezug auf eine Vielzahl von Aspekten fehlen jedoch auch ein die o.g. grundlegenden Gesetzeswerke und Verträge in der Praxis umsetzbar machendes juristisches Regulierungswerk oder die entsprechenden Institutionen dafür. Deshalb organisieren wir in Hamburg ein Tribunal gegen den Waffenhandel.
Jedes Tribunal hat seine besondere Ausrichtung und seine besondere Schönheit. Im letzten Dreivierteljahr haben wir ein Tribunal ins Leben gerufen, das sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass nicht nur ein Fachpublikum, sondern auch größere Teile der Bevölkerung aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen einbezogen werden.

Das internationale Hamburg Tribunal ist angelehnt an die Idee der Russell-Tribunale und anderer Tribunale, die für den Frieden und die Menschenrechte gewirkt haben. Das Tribunal, initiiert von der Volksinitiative gegen Rüstungsexporte und dem Kunsthaus am Schüberg, wird in Kooperation mit der Russell Peace Foundation, Global Net for Peace, Aktion Aufschrei, Weapon Watch Italy sowie weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen entwickelt und durchgeführt.

„Wir wollen das Tribunal im Rahmen des Möglichen nutzen, um die Verantwortlichen im Senat, im Bundessicherheitsrat, bei den Rüstungsunternehmen, auf der Grundlage des Völkerrechts, von Menschenrechtskonventionen und nationalem Recht sowie Strafrecht zu benennen und damit Druck für Veränderungen erzeugen“, so Axel Richter, Künstler und Mitinitiator des Tribunals. „Darüber hinaus wollen wir im Rahmen unserer Kapazität Impulse geben, die aufzeigen, warum Völkerrecht und Menschenrechte momentan schwer umsetzbar sind und dazu beizutragen, für die Zukunft bessere Instrumente, Regulierungen und Institutionen zu schaffen. Hierbei liegt ein entscheidender Aspekt, neben strafrechtlicher Verfolgung, auch auf der Prävention, Konfliktlösung und Konfliktheilung.“

Dass das Tribunal keine Mittel zur Durchsetzung der Urteile seiner Jury hat, ist den Veranstalter*innen bewusst. Sie setzen daher auf die Überzeugungskraft des Tribunals, seiner Urteile und seine öffentliche Wirkung. Dies soll verstärkt werden durch ein begleitendes Bildungsprogramm, durch die Rahmenveranstaltungen und die filmische wie schriftliche Dokumentation.

Konkret
Das Tribunal wird vom 30. Juni bis zum 3. Juli 2022 in Hamburg in der Kulturkirche St. Johannes, Hamburg-Altona stattfinden. In der Woche davor wird es ein Rahmenprogramm geben, sowie politische Veranstaltungen zu Themen wie Rüstungskonversion, Auswirkungen von Waffenexporten, Völkerrecht, Sicherheit, Flucht, Trauma sowie Kultur in Form von Konzerten und Performance. Ab April bieten zivilgesellschaftliche Organisationen, kirchliche Träger und Gewerkschaften Bildungsprogramme zum Tribunal an.

Die Jury des Tribunals wird geleitet von Prof. Dr. Norman Paech. Weitere Mitglieder sind: Jürgen Grässlin / Aktion Aufschrei; Antje Heider Rottwilm / Church for Peace; Ulrich Tilgner / Journalist; Dr. Gisela Pentecker / IPPNW, Menschenrechtlerin; Ece Temulkuran / Schriftstellerin; Vijay Prashad / Schriftsteller, Indien; Bill Bowring / Völkerrechtler, London; Seun Kuti / Musiker und Initiator einer Panafrikanischen Bewegung und weitere Personen.

Die Sitzungen des Tribunals werden am Freitag und Sonnabend stattfinden, das Urteil wird am Sonntag verkündet. Nach der Verlesung der Anklageschrift wird die Anklage zu vier Themengebieten vertieft: Afrin/Nordsyrien, Mexiko und Kolumbien, Saudi-Arabien/Jemen und Kindersoldaten in Uganda. Thematisiert wird in Bezug auf diese vier Themen auch die spezifische Situation von Frauen im Krieg. In der Gesamtbetrachtung wird zudem die Rolle des Hamburger Hafens als eine der weltweiten Drehscheiben für Rüstungstransporte sowie die Situation der Hafenarbeiter*innen in den Fokus genommen.

Das Tribunal wird die konkreten Auswirkungen der Hamburger Rüstungsexportpraxis benennen, Verantwortlichkeiten ermitteln und beurteilen. Anklagepunkte sind u.a.: Beihilfe zum Mord, Beihilfe zu Kriegsverbrechen, Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen und Bruch des Völkerrechts. Am Sonntag wird die Jury das Urteil verlesen. Die Beschuldigten werden eingeladen, an dem Tribunal teilzunehmen und sich zu verteidigen – sollte keine/r von ihnen anwesend sein, wird eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens deren öffentlich geäußerten Argumente als Verteidigung vortragen.

Das „Hamburg Tribunal“ wird auf dem Hamburger Rathausplatz als Kunst – Bild, als Standperformance, gestaltet von Axel Richter, gespiegelt. Die Spiegelung des Verfahrens wird in Form einer Liveübertragung durchgeführt, die auf das Rathaus gerichtet und mit zugewiesenen Sitzplätzen für Senat und Rüstungsfirmen, aber auch die Angeklagten sichtbar macht. Ein freier Stuhl ist für alle namenlosen Aggressoren reserviert, die den Frieden behindern. Kunst erreicht die Menschen mit dem Herzen. Im Rahmen des Kulturprogramms werden am Sonnabend, den 2. Juli Musiker*innen aus den Ländern der Zeug*innen und aus Hamburg gemeinsam musizieren und so eine Einsicht in die Gemeinsamkeit und Vielfalt der Kulturen ermöglichen. Auch so wird ein positiver Ausblick auf Konfliktheilung sowie ein friedliches Miteinander gegeben.

Homepage: www.tribunal-hamburg.de

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Martin Dolzer ist Musiker, Journalist und Politiker sowie einer von drei Öffentlichkeitsreferent*innen der Volksinitiative gegen Rüstungsexporte.