Unterstützungsarbeit für Deserteure aus dem ehemaligen Jugoslawien

von Rudi Friedrich

Während diese Ausgabe des Friedensforums erscheint, wird sich die Situation für die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien weiter verschlechtert haben. Kritisch war es schon zum Ende der letzten Duldungsfrist, dem 30. September 1993. Im August letzten Jahres hatte der Innenminister von Baden-Württemberg gemeinsam mit dem Botschafter Kroatiens behauptet, daß "in 78% des kroatischen Staatsgebietes Frieden herrscht" und daher das "Aufenthaltsrecht in Baden-Württemberg enden wird". Bis. zum letzten Moment wurden die Flüchtlinge im Ungewissen gelassen. Erst am 29. September letzten Jahres wurden die Duldungen verlängert. Dabei waren sich alle Innenminister einig: "Bund und Länder haben die feste Absicht bekundet, den Aufenthalt von Personen aus Kroatien zu beenden." Flüchtlinge aus Kroatien erhalten danach letztmalig Duldungen bis zum 31.01.1994. Sie sollen die Bundesrepublik bis zum 30.4.94 verlassen haben.

Für Menschen aus Bosnien ist eine weitere Verlängerung der Duldungsregelung möglich. Derzeit ist sie bis zum 31. März 1994 befristet. Eine Verlängerung hängt von der Einschätzung der Situation in Bosnien von der Innenministerkonferenz ab.

Deserteure und Kriegsdienstverweigerer wurden schon in der Vergangenheit mittels "Ausreiseaufforderungen" zur Ausreise genötigt bzw. tatsächlich abgeschoben. Sie haben nach wie vor in ihren Heimatländern mit Haftstrafen rechnen. Die Stigmatisierung als Verräter und vielfältige nichtgesetzliche Repressionen stehen ihnen dort bevor. Eine Amnestie ohne eine 'erneute Einberufung, die ihnen ein Minimum an Schutz gewähren könnte, gibt es bislang in keiner der am Krieg beteiligten Republiken des ehemaligen Jugoslawiens.

Im August letzten Jahres hatten wir zu einem Koordinationstreffen von Gruppen und Einzelpersonen, die vor Ort Deserteure unterstützen, nach Frankfurt eingeladen. Ein Ergebnis dieses Treffens war eine Unterschriftensammlung, die Ende September als Anzeige in der Frankfurter Rundschau erschienen ist. Wir wollten mit dem Aufruf "Für offene Grenzen und ein Bleiberecht für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus dem ehemaligen Jugoslawien" eine möglichst breite Unterstützung für die relativ weitgehenden, aber notwendigen Forderungen mobilisieren. Auch Initiativen vor Ort haben Unterschriftensammlungen für "ihren" Fall oder auch grundsätzlicher Art gestartet. Ende März wollen wir diese gemeinsam dem Bundesinnenminister übergeben und mit einer öffentlichen Aktion begleiten, um so auf die besondere Situation der Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aufmerksam zu machen.

Auf Initiative des Europäischen Bürgerforums wurde Anfang diesen Jahres ein europäischer "Aufruf zugunsten der Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus dem ehemaligen Jugoslawien" initiiert, in dem es u.a. heißt: "Wir Bürgerinnen und Bürger Europas, (...) empört über die Doppelzüngigkeit der europäischen Staaten, die einerseits diesen Krieg verurteilen, andererseits die Deserteure, Stellungsflüchtlinge und Kriegsdienstverweigerer in keiner Form unterstützen, und sie z.T. sogar zurückschaffen, (...) begrüßen die vom Europäischen Parlament soeben einhellig verabschiedete Entschließung, in der die Europäische Gemeinschaft und die EG-Mitgliedstaaten aufgefordert werden, «Deserteure und Kriegsdienstverweigerer, die sich den verschiedenen Streitkräften, die sich auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens bekämpfen, entzogen haben, aufzunehmen, zu unter-stützen und als Flüchtlinge anzuerkennen»; (...)

verlangen(…) entsprechend den Forderungen des europäischen Parlaments:

  • «Normen zu ihrem Schutz aufzustellen,
  • geeignete Maßnahmen zur Aufnahme vorzusehen,
  • ihnen einen Rechtsstatus zu gewähren, und sich klar gegen Ausweisungen zu wenden,
  • Programme und Vorhaben zu entwickeln, um Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten für sie zu schaffen»
  • und auf die Regierungen des ehemaligen Jugoslawien den nötigen Druck auszuüben, damit ihnen eine generelle Amnestie und ein Schutzvor einer erneuten Einberufung gewährt wird."

Dieser Ende letzten Jahres schon von über 150 Prominenten unterzeichnete Aufruf soll bis zur Mitte diesen Jahres auf europäischer Ebene Öffentlichkeit für die Betroffenen schaffen. Um die Deserteure und Kriegsdienst­verweigerer selbst zu unterstützen, um Informationen über Aufenthaltsrecht, Visabestimmungen und andere Rege­lungen aus den Exil-Ländern auszutau­schen und· die· Antikriegsgruppen im ehemaligen Jugoslawien zu unterstüt­zen, hat sich im März diesen Jahres wieder das seit einem Jahr bestehende "Internationale Deserteursnetzwerk" getroffen. In diesem Netzwerk arbeiten inzwischen Gruppen aus über zehn eu­ropäischen Ländern mit.

Rudi Friedrich ist Mitinitiator der AG "Kriegsdienstverweigerung im Krieg", c/o Franz Nadler, Querstr. 23, 63065 Offenbach, Tel.: 069/815128 oder Connection e.V., Brüder-Grimm-Sir. 63, 63069 Offenbach, Tel. und Fax: 069/845016.

 

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Krisen und Kriege