Verfolgt werden wieder einmal die Falschen

von Elke Steven
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Ein großer, mit der Zeit wachsender Teil der bundesdeutschen Bevölkerung war gegen diesen die Menschenrechte missachtenden und die Menschen missbrauchenden Bombenkrieg der NATO-Staaten gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Einige - zu wenige sicherlich - haben ihren Protest von Anfang des Krieges an - und selbstverständlich schon lange vor jedem kriegerischen Anfang - laut und deutlich zum Ausdruck gebracht. Sie haben militärische Stützpunkte blockiert und die Soldaten, alle beteiligten Soldaten, aufgerufen, grund- und völkerrechtswidrige Befehle zu verweigern, sich von der Truppe zu entfernen und zu desertieren. Sie nahmen die Menschenrechte, die mit diesem Krieg missbrauchend benutzt und damit desavouiert wurden, ernst. Sie sagten NEIN zu diesem Krieg. Sie begehrten nicht schuldig zu sein an diesem mörderischen Verbrechen. Und sie forderten andere auf, sich ebenfalls öffentlich zu distanzieren und sich nicht länger an diesen Untaten zu beteiligen.

Die aktiven KriegsgegnerInnen sind es, die - vorrangig erst nach Beendigung der direkten kriegerischen Gewalt - nun von Staatsanwaltschaft und Polizei wegen "Straftaten" verfolgt werden. Ermittlungen wurden teilweise schon eingeleitet, als die verschiedenen Aufrufe zur Desertion auf der Hardthöhe, vor den Kasernen in Calw und in Ellwangen, an anderen Orten und in Zeitungen verbreitet wurden. Das Karl-Kabat-Haus in Mutlangen wurde am 26.4.99 durchsucht und Flugblätter wurden beschlagnahmt. Nach Beendigung des Waffeneinsatzes werden nun weitere Ermittlungen durchgeführt, und es zeigt sich, dass diese Friedensproteste, die in den Medien so wenig Resonanz fanden, von den Staatsschützern aufmerksam verfolgt worden sind.
Der "Aufruf an alle Soldaten der Bundeswehr, die am Jugoslawien-Krieg beteiligt sind: Verweigern Sie Ihre weitere Beteiligung an diesem Krieg!" wurde am 21. April 1999 in einer Anzeige in "die tageszeitung" abgedruckt. Schon lange vorher war er jedoch verschickt und verteilt worden (vgl. auch Friedensforum 3/99, S. 17/18). Mit Brief vom 11. Juni 1999 teilte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin allen ErstunterzeichnerInnen (z.B. Wolf-Dieter Narr, Roland Roth, Hanne und Klaus Vack, Ekkehart Krippendorff, Manfred Stenner, Andreas Speck) mit, dass wegen "Aufforderung zu Straftaten" ( 111 des Strafgesetzbuches in Verbindung mit 16 und 20 Wehrstrafgesetz) ein Ermittlungsverfahren geführt würde. Am 15. Juni fand in Berlin eine Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung von Plakaten bei der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär statt. Die auch öffentlich ausgehängten Plakate enthielten die Textpassage "Desertiert aus allen kriegsführenden Armeen!". Auch die Polizeien in Bonn, Heidelberg und Köln haben im Juni ihre Ermittlungen öffentlich gemacht. Ermittelt wird gegen Martin Singe und Armin Lauven wegen der Verteilung des Aufrufs an alle Soldaten auf der Hardthöhe am 1.4.99, gegen Hermann Theisen wegen Verbreitens des Aufrufes und gegen Elke Steven wegen der mündlichen Aufforderung, grund- und völkerrechtswidrige Befehle zu verweigern und zu desertieren, in einer Rede auf der Hardthöhe während der vom Netzwerk Friedenskooperative angemeldeten Kundgebung am 8.5.99 im Zusammenhang mit der Blockade des Kriegsministeriums.

Nun verwundern diese Maßnahmen die Betroffenen nicht allzusehr. Die "Taten" werden sicher nicht abgestritten, sind sie doch alle in größtmöglicher Öffentlichkeit geschehen, ging es doch darum, möglichst viele mit diesem Protest und seinen Begründungen zu erreichen. Hausdurchsuchungen sind in diesem Zusammenhang völlig überflüssige Instrumente der Einschüchterung. Wichtig wäre vielmehr, dass die Auseinandersetzung um diesen Krieg endlich öffentlich geführt würde. Dass die tatsächlichen Straftäter angeklagt würden, nämlich die, die dieses Verbrechen des Krieges zu verantworten haben. Dass endlich öffentlich würde, in welchem Maße Soldaten der Nato-Staaten, also auch deutsche Soldaten, zu Mördern wurden. Dass auf höchsten Befehl, aber ohne jede menschenrechtliche Rechtfertigungsmöglichkeit, Menschen gezielt oder kollateral getötet und ihre Lebensbedingungen zerstört wurden. Dass noch immer die Opfer, alle Opfer auf allen Seiten, zur Rechtfertigung dieses Krieges missbraucht und zum zweiten mal zu Opfern gemacht werden. Dass öffentlich über die zivilen Folgen dieses Sieges des Militärischen gestritten würde, damit die Politik überhaupt wieder eine Chance erhalten könnte.
 

Ermittelt wird gegen die "Falschen". Strafprozesse gegen uns sind zwar nicht legitim, aber sie böten zumindest die Möglichkeit, unsere Anklage gegen die "Richtigen" öffentlich vorzubringen.
 

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Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.