Zivilgesellschaft und Frieden

Vertrauen in den Friedensprozess kann nur die Zivilgesellschaft schaffen

von Elizabeth Winter

Der Friedensprozess in Afghanistan kann vielleicht als stotternd beschrieben werden. Afghanen beklagen, dass sie nur wenig darüber wissen, was, wenn überhaupt etwas, getan wird und von wem. Außerdem fühlen sich Akteure der Zivilgesellschaft weder konsultiert noch einbezogen. Viele Menschen glauben, dass die Unterstützung benachbarter Länder und regionaler Akteure für die Gegenkräfte in Afghanistan den Konflikt verlängert hat. Presseberichte über Verhandlungen sind widersprüchlich und  zum größten Teil negativ, und es wird gesagt, dass bis zu den US-Wahlen wenig passieren wird. Die Menschen sind eines Konfliktes müde, der jetzt in seinem vierten Jahrzehnt ist, aber der Wunsch, dass er enden möge, hat sich bislang nicht in einer nationalen Bewegung für Frieden umgesetzt.

Die Zivilgesellschaft in Afghanistan ist aber lebendig und stärker, als man gemeinhin annimmt. Der Begriff “Zivilgesellschaft“, übersetzt als Jama e Madani, ist in Afghanistan seit über zehn Jahren weit verbreitet. Trotzdem gibt es kein generell akzeptiertes Verständnis des Begriffs, besonders nicht in den ländlichen und halb-ländlichen Gebieten des Landes. Es wäre nützlich, wenn es eine Arbeitsdefinition gäbe, die für alle klar und akzeptabel wäre. Das würde dabei helfen, die Rollen und Aussagen von zivilgesellschaftlichen Akteuren zu klären, Zusammenarbeit zwischen und Unterstützung für zivilgesellschaftliche Organisationen und ihre Aktivitäten erleichtern, und das Bewusstsein für den Sektor bei Gebern und der allgemeinen Bevölkerung zu wecken. Es könnte auch helfen, das Verständnis von Freiwilligenarbeit wiederzubeleben, das früher in Afghanistan bestand, besonders wenn Wissen über das, was ziviles Handeln in den letzten 150 Jahren erreicht hat, mit einem Sinn von Macht verbunden würde, das Mitgliedschaft in Zivilgesellschaft schaffen kann. (1)

Unabhängige Evaluierungen von friedensbildenden Programmen afghanischer NROs kommen zu dem Schluss, dass sie zu einer Reduzierung von Konflikt auf lokaler Ebene, zu positiven Verhaltensänderungen und zu einer Reduzierung des Aufgabenpensums für Beamte beitrugen. Unglücklicherweise entschieden nach anfänglichem Enthusiasmus die Geber, dass sie wenig Einfluss auf den nationalen Konflikt hatten, und die Mittel für diese Programme wurden runtergefahren. Aber in jüngerer Zeit ist das Interesse wieder angewachsen; manche internationale Akteure erkannten, dass lokale Konflikte den nationalen Konflikt anheizen können und das lokale Programme die Basis für Verhandlungen mit regierungsfeindlichen Elementen legen können. Ein Klima des Friedens wäre ein wertvolles Oberziel.

Die Entwicklung von Zivilgesellschaft erfordert Zeit, Anstrengungen von Seiten der Einheimischen, Evaluation und angemessene internationale Unterstützung sowie die Anerkennung der Macht kollektiver Stimmen und Aktion. Mitglieder der internationalen Gemeinschaft sollten anerkennen, dass ihre Rolle ist, durch langfristiges Engagement die Entwicklung von echter afghanischer Zivilgesellschaft zu fördern, anstatt anzunehmen, dass sie da sind, um einem unterentwickelten Volk Wissen zu bringen. Bislang hat es wenig konsistente, substantielle oder hilfreiche internationale Unterstützung gegeben. Man wird sehen müssen, ob jüngere Initiativen wie die von der EU geförderten Tawanmandi oder US-finanzierten  IPACS Programme effektiv sind. 

AfghanInnen sahen die primäre Rolle der Internationalen Gemeinschaft darin, dem Land Sicherheit zu bringen, aber dachten auch, dass sie eine Rolle bei der Entwicklung von Zivilgesellschaft durch langfristiges Engagement hätte. Aber lokale zivilgesellschaftliche Akteure müssen auch besser deutlich machen, welche Art von Unterstützung sie brauchen, und die Wirkung ihrer eigenen Aktionen erkennen und einschätzen. Es gibt auch die Frage, welche Initiativen Geld brauchen und welche von AfghanInnen ohne externe Unterstützung erfolgreich durchgeführt werden können.

Erfolgreiche Programme zu dokumentieren und zu evaluieren, ist ein wichtiger vorhergehender Schritt, um sie zu replizieren und dem Gefühl von Hilflosigkeit, das zivilgesellschaftliche Akteure befallen kann, entgegenzuwirken. Eine Untersuchung dessen, was erreicht wurde und welche autochthonen Ideen des Peacebuildings es gibt, wurde von der Zivilgesellschaft immer geschätzt.

Tagung in Dublin
Zu diesem Zweck haben die Britischen und Irischen “Agencies Afghanistan Group” (BAAG) und das Glencree Zentrum für Frieden und Versöhnung in diesem Jahr eine Tagung in Dublin mit Angehörigen der Zivilgesellschaft aus Afghanistan durchgeführt. Ziele waren, Peacebuilding zu diskutieren, Ideen zu der Rolle der Zivilgesellschaft in Friedensprozessen auszutauschen und dabei Perspektiven von Menschen mit einzubeziehen, die mit den Friedensprozessen in Nordirland und dem Balkan zu tun hatten. (2)

Es wurde dort festgestellt, dass Akteure der Zivilgesellschaft eine Schlüsselrolle bei der Konfliktbearbeitung in Nordirland gespielt haben. Ihre verstreuten Friedensinitiativen hatten einen kumulativen Effekt auf fünf entscheidende Aspekte der Situation: politisch, zwischen den Gemeinschaften, Konfliktlösung, Ungerechtigkeit und Diversität. Schlüssellehren für Friedensverhandlungen waren:
1. es gibt keine Gewinner oder Verlierer,
2. es gibt keine einfachen Lösungen
3. Akteure müssen diejenigen mit einbeziehen, die sie vertreten, sie davon überzeugen, dass die Bedürfnisse der anderen Seite berücksichtigt werden müssen und dass es Konzessionen im Interesse des Gemeinwohls bedarf.

Zivilgesellschaft war auch in Schlüsselgebieten in Bosnien und Herzegowina aktiv, in der Arbeit für Gerechtigkeit und Menschenrechte, in lokaler Regierung und in der Förderung gegenseitigen Verständnisses.

In beiden Konflikten war es für die Zivilbevölkerung wichtig, sich mit schwierigen Fragen darüber, was Frieden und Versöhnung bedeuten, auseinanderzusetzen und zu einem Punkt zu gelangen, wo sie einen Übergang von gewaltsamer zu politischer Aktion befürworteten.

Drei Szenarien für die Zeit nach 2014
Drei politische und Sicherheits-Szenarien wurden für Afghanistan nach 2014 entworfen:

1. politische Kontinuität trotz eines auf niedriger Ebene fortgesetzten Aufstandes der Taliban
2. Eskalierende Gewalt bis hin zum Bürgerkrieg
3. Eine Friedensregelung mit einer Beendigung aller größerer Gewalt.

Beim Prüfen der Bedrohungen und Möglichkeiten in diesen Szenarien kamen die TeilnehmerInnen zu dem Schluss, dass es eine große Herausforderung sein würde, den Bedrohungen zu widerstehen und die Chancen zu nutzen, speziell in Bezug auf die Teilnahme von Frauen an den Friedensprozessen. Es ist für Frauen besonders wichtig, beteiligt zu sein, da sie grundlegende Themen auf den Tisch legen, die ansonsten nicht angesprochen würden, und die zu wichtigen Initiativen für zukünftigen Frieden führen.

Große Gefahren in allen drei Szenarien schließen das Fehlen der Herrschaft des Rechts und von Transparenz und Inklusion der gegenwärtigen Friedensprozesse in Afghanistan ein. Der Fokus der bestehenden Initiativen wurde als zu eng gesehen. Notwendig sei, ein Momentum für Frieden in allen Provinzen zu schaffen und so größeres Vertrauen in die Möglichkeit von Frieden zu schaffen.

Während des gesamten Workshops, und trotz des beschriebenen Konflikts, wurde die kritische Rolle von Zivilgesellschaft und die Art und Weise, wie sie sich einen unabhängigen Raum schaffen und schützen kann, um neue politische Optionen zu erforschen, betont. Diejenigen im Konflikt müssen sich nicht gegenseitig vertrauen, aber sie müssen dem Prozess trauen. Jeder Friedensprozess muss die Frage beantworten, wie er am besten eine gerechte Zukunft für alle erzielen kann. Es sei deshalb entscheidend, dass mehr Schlüsselgruppen in die Prozesse einbezogen werden – einschließlich der Geistlichen, der Sicherheitskräfte, des privaten Sektors, der Familien der Kämpfer, politischer Parteien, Opfergruppen und der Medien.

Folgende Prioritäten für sofortiges Handeln wurden identifiziert:

  • Fähigkeit für Peacebuilding generell zu entwickeln
  • Jugend als Akteure des Wandels zu mobilisieren
  • Frauen zu ermächtigen
  • Vertrauen auf allen Ebenen zu bilden
  • Gute Regierungsführung zu ermutigen
  • Mitglieder von Zivilgesellschaft als neutrale unabhängige Mediatoren zu mobilisieren
  • Regionale und internationale Unterstützung aufzubauen
  • Friedenserziehung zu entwickeln
  • Den Hohen Friedensrat zu reformieren
  • Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist eine Schlüsselkomponente allen Wirkens in Afghanistan, da das Fehlen legaler Einkommensmöglichkeit ein wesentlicher Faktor dafür ist, dass Menschen sich Oppositionsgruppen im Konflikt anschließen.

Man war sich einig, dass es notwendig sei, in all diesen Aktionen Legitimität und Authentizität zu sichern, damit die Gemeinschaft ihnen vertraut. Es wurde betont, dass die Schlüsselwerte des Prozesses die sozialen und religiösen Werte Afghanistans, eine Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten, guter Regierungsführung und zu ausschließlich friedlichen Mitteln bei der Beilegung von Differenzen seien, wobei man auf einem islamischen Verständnis von Frieden aufbauen muss.

Eine Zeit der Ungewissheit
Es ist dennoch eine Zeit der Ungewissheit in Afghanistan. Es gibt verschiedene Sichtweisen über die Folgen des Abzugs der internationalen Truppen und ob Bürgerkrieg unvermeidlich ist. Manche, die es sich leisten können, haben ihre Familien ins Ausland geschickt. Internationale Akteure, die mit Hilfe und Analyse zu tun haben, haben angefangen, sich weniger willkommen zu fühlen. Andere haben mehr Vertrauen in die Fähigkeit gebildeter Mitglieder der jungen Generation, Afghanistan zu einem Erfolg zu führen, sei es bei wirtschaftlichen Programmen oder Programmen von Regierung und Zivilgesellschaft. Ein Konsortium von Mediengruppen plant, Geschichten hervorzuheben, die Erfolge zeigen, die erzielt wurde und wie durch sie das Leben verbessert wurde.

Die Akteure der Zivilgesellschaft auf dem Workshop waren sich einig, dass die Zivilgesellschaft ihre Verantwortung akzeptieren muss, eine aktive Rolle im Friedensprozess zu spielen.

Anmerkungen
1 Die folgende Arbeitsdefinition wird vom Centre for Civil Society an der LSE verwendet und hat sich als hilfreich bei Diskussionen mit Zivilgesellschaft erwiesen: Zivilgesellschaft wird geformt durch individuelle und kollektive freiwillige Aktion um geteilte Werte, Interessen, Zwecke und Standards herum, die das Leben von afghanischen Männer, Frauen und Kindern verbessern sollen, ohne ihre Würde zu verletzen. Aktion kann verschiedene nicht auf Gewinn ausgerichtete Formen annehmen, von gemeinnütziger Arbeit über kulturelle Aktivitäten hin zu Lobby- und Kampagnenarbeit. Zivilgesellschaftliche Organisationen können registrierte NROs, Gemeinde- und Selbsthilfegruppen, Kunst- und kulturelle Organisationen, Frauenorganisationen, Berufsverbände, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, religiöse Organisationen, Dachverbände und Koalitionen sein.

2 Siehe Report of Peace-Building Workshop in Dublin, Ireland, 23-27 February 2012.

Übersetzung des Artikels: Red.

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Elizabeth Winter ist eine unabhängige Expertin für Afghanistan und Beraterin für afghanische und internationale NROs, die UN und Regierungen. Sie besucht Afghanistan regelmäßig, konzentrierte sich in letzter Zeit auf die Entwicklung der dortigen Zivilgesellschaft und ist Autorin des Buches “Civil Society in Afghanistan” (London School of Economics, 2010).