El Salvador:

Vom Waffenstillstand zum Rechtsstaat zum Frieden?

von Roger Peltzer
Schwerpunkt
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Anfang der 80er Jahre provozierte die TAZ-Kampagne "Waffen für El Salvador" Empörung auf seiten der politischen Rechten und anderer staatstragender Kräfte. Zu Zeiten einer starken Friedensbewegung spal­tete sich gleichzeitig die kritische Öffentlichkeit über die Frage der Legi­timität des bewaffneten Kampfes in El Salvador. Viele ergriffen Partei. Knapp 5 Mio. DM wurden vom TAZ-Waffenkonto an die Guerillabewe­gung FMLN überwiesen.

10 Jahre später scheint es sicher, daß der Bürgerkrieg in El Salvador beendet ist. Nach mehreren Anläufen verhandelten die FMLN und die Regierung El Salva­dors unter Federführung der UNO mehr als ein Jahr über einen Waffenstillstand und die Modalitäten der Reintegration der Guerilla in das zivile Leben. Am 1.2. diesen Jahres trat das Abkommen in Kraft. In einer feierlichen Versammlung in San Salvador, an der neben dem Prä­sidenten Christiani die Spitzen der politi­schen Parteien und alle bedeuten­den Guerillaführer teilnahmen, wurde der Friedensschluß besiegelt. In dem Ab­kommen wird festgelegt, daß die Armee schrittweise verkleinert und die Sicher­heitskräfte (Finanz-, Nationalpo­lizei und Nationalgarde) aufgelöst wer­den sollen. Die Guerilla soll bis zum 31.10.1992 schrittweise entwaffnet, ihre Waffen vernichtet werden.

Das am 16.1.1992 in Mexiko unter­zeichnete Abkommen stellt eine Zäsur in der Geschichte des Landes dar. Die Frage der Legitimität des Befreiungs­kampfes kann jetzt im Lichte der Er­gebnisse eines konkreten historischen Prozesses neu diskutiert werden.

Die Erinnerung an die Toten, Ver­triebenen und Verstümmelten
Die Stimmung unter der Bevölkerung El Salvadors ist zur Zeit euphorisch. Die Freude über die Beendigung des Krieges geht mit der Erwartung einher, daß sich die wirtschaftliche Lage rasch bessern wird. In der Linken ist die Einschätzung und das Gefühl verbreitet, daß vor dem Hintergrund der aktuellen Kräftever­hältnisse in der Welt relativ viel erreicht worden ist. Diese Stimmung verleitet dazu, die Opfer der letzten Jahre zu ver­gessen.

75.000 Tote soll der über 10 Jahre an­dauernde Bürgerkrieg gekostet haben. Hinzu kommen Hunderttausende von Flüchtlingen und Obdachlosen, Kriegs­waisen, Verletzte und insbesondere von Minen verstümmelte Zivilisten und Sol­daten, materielle Zerstörungen in Milli­ardenhöhe. Der immanenten Logik des bewaffneten Kampfes zuzurechnen sind sicher auch die innerhalb der Guerilla­gruppen bekanntgewordenen Morde. Aus pazifistischer Sicht wird man ange­sichts dieser Realität mit Recht fragen, ob das Beispiel El Salvador nicht zeigt, daß die bewaffnete Zuspitzung gesell­schaftlicher Konflikte nicht fast zwangsläufig dazu führt, daß die Opfer in keinem Verhältnis zu dem stehen, was realistischerweise mit einer solchen Strategie erreicht werden kann.

Nur, die Entscheidungen der Jahre 1980 und 1981 lassen sich nicht aus heutiger Sicht bewerten. Nachdem die gesamte Führung der politischen Oppositions­front FDR auf dem Weg zu Verhand­lungen ermordet und anschließend grau­sam entstellt worden war, nachdem Dutzende von Katecheten, Ordens­schwestern und Priestern umgebracht und zivile Demonstrationen mit scharfer Munition auseinandergetrieben worden waren, gab es einen verbreiteten gesell­schaftlichen Konsens aller "fortschrittli­chen" Kräfte in El Salvador bis hin zu bedeutenden Teilen der Christdemokra­tie und führenden Reprä­sentanten der katholischen Kirche wie Erzbischof Romero, daß der bewaffnete Aufstand die einzige verbliebene Option dar­stellte.

Kein Frieden ohne Gerechtigkeit?
Die soziale Lage des großen Teils der Bevölkerung hat sich durch den Bürger­krieg sicher nicht verbessert. An den Besitzverhältnissen und der extremen Ungleichverteilung von Land und Reichtum hat sich wenig verändert und wird sich auch durch den Waffenstill­stand wenig ändern. Waren die Jahre des Kampfes deshalb umsonst?

El Salvador war ein Land, in dem die Landbevölkerung bis weit in die 70er Jahre über Gesetze und ein ausgeklü­geltes repressives System daran gehin­dert wurde, sich zu organisieren. Das System der Todesschwadronen war in El Salvador perfektioniert.

Wesentliches Ziel der Volksbewegung war es deshalb auch, Freiheit von einem Zustand zu schaffen, in dem jederzeit ein Cherokee mit getönten Scheiben und Bewaffneten in Zivil vorfahren konnte, um Freunde, Nachbarn und Verwandte auf Nimmerwiedersehen mitzunehmen.

Das Abkommen zum Waffenstill­stand: Ein Schritt in Richtung Rechtsstaat und Demokratie
Die eigentliche Bedeutung des zwischen FMLN und der Regierung ausgehan­delten Waffenstillstandsabkommens liegt hier: bei der Durchsetzung von Menschenrechten und Rechtsstaatlich­keit und damit bei der Schaffung von Voraussetzungen für eine funktionie­rende Demokratie.

Das Abkommen ist da eindeutig und präzise, wo es um die Reduzierung und Säuberung der Armee, die Auflösung der Aufstandsbekämpfungseinheiten und der speziellen Sicherheitskräfte (Polizei, Nationalgarde, Finanzpolizei, Geheimdienst), d.h. der Institutionen, die nachweislich in die Aktivitäten der Todesschwadronen involviert waren, geht.

Das Abkommen sieht darüber hinaus die Schaffung einer neuen Polizei unter zi­viler Leitung vor, in die Ex-Kämpfer der FMLN auf allen Hierarchieebenen inte­griert werden sollen. Die gesamte Aus­bildung des Heeres und dessen Beförde­rungspolitik sollen grundlegend geän­dert werden, eine Maßnahme, die nicht zuletzt auf die Brechung der Loyalität der Jahrgangsklassen (Tandonas) zielt, deren Mitglieder in der Vergangenheit unabhängig von ihrer persönlichen Lei­stung schubweise in der Hierarchie auf­rückten. Mit der Festschreibung in der Verfassung, daß das Militär der zivilen Gewalt untergeordnet ist und nur zur Verteidigung der nationalen Souveräni­tät eingesetzt werden darf, wird der in Lateinamerika verbreiteten Doktrin der "Nationalen Sicherheit", mit der die Militärs ihren Einsatz gegen die innere "Subversion" legitimierten, der Boden entzogen.

Zur Durchsetzung der Menschenrechte wird eine Art Bundesanwalt mit beson­deren Befugnissen eingerichtet, für die Reform des Justizwesens sind präzise Festlegungen getroffen worden. Die Umsetzung des gesamten Abkommens einschließlich der Überwachung der Menschenrechte wird durch eine Frie­denstruppe der UNO (UNOSAL) und eine Kommission zur Überwachung der Abkommen (Copaz), der Mitglieder der Regierung, der Parteien und der Gueril­lagruppen angehören, sichergestellt.

Die Realitätstüchtigkeit des Abkom­mens ist danach zu bewerten, inwieweit es an die gesellschaftliche Realität El Salvadors anknüpft. Und da sind die Voraussetzungen nicht so schlecht. Un­ter dem Druck der Verhältnisse -- d.h. der internationalen Öffentlichkeit, der internen sozialen Bewegungen und nicht zuletzt der Erfordernisse ökonomischer Rationalität -- setzte sich die "moderne" Rechte in El Salvador in den letzten Jah­ren zunehmend von den Teilen der ein­heimischen Oligarchie ab, die die Zei­chen der Zeit nicht erkennen wollten. Im Kampf gegen die Repression und für eine politische Lösung des Konfliktes haben Zivilität und Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in allen Parteien, ge­sellschaftlichen Gruppen und den Insti­tutionen deutlich an Boden gewonnen. Seit 6 Monaten arbeitet eine Voraus­truppe von UNOSAL als Resultat eines ersten Teilabkommens zwischen FMLN und Regierung in El Salvador. Das Er­gebnis ist eine deutliche Verbesserung der Überwachung von Menschenrechts­verletzungen.

Das jetzt abgeschlossene Abkommen kann so dazu beitragen, die nach wie vor starken reaktionären Kräfte so ent­scheidend zu schwächen, daß sie in ab­sehbarer Zeit nicht die Initiative zurück­gewinnen können. Das wäre ein ent­scheidender historischer Durchbruch in El Salvador.

Ohne das Faustpfand "militärische Schlagkraft" der FMLN wäre das Ab­kommen vom 16.1. nicht möglich gewe­sen. Das, was ungezählte Berater aus den USA in zahlreichen Missionen nicht durchsetzen konnten, wie z.B. eine grundlegende Reform des Justizwesens, rückt nun in den Bereich des Möglichen. Der von der "modernen" Rechten in El Salvador gewünschte wirtschaftliche Wiederaufschwung war nur bei Beendi­gung des Bürgerkriegs zu haben. Dazu mußten gegenüber der FMLN entschei­dende Konzessionen gemacht werden.

El Salvador: Zur Wirkmächtigkeit Sozialer Bewegungen
Die reale Solidaritätsarbeit zu El Salva­dor hatte viele Facetten. So konnte die Guerilla in den von ihr kontrollierten Zonen immer auf die Unterstützung von Ausländern zählen, die dort als Ärzte, Priester oder Computerspezialisten, die die Codes zur Verschlüsselung des Funkverkehrs der Gegenseite knackten, tätig waren. Sie haben Anteil daran, daß die FMLN trotz der massiven militäri­schen, wirtschaftlichen und politischen Intervention der USA ihre Kampfkraft im wesentlichen behaupten konnte.

Ab 1983/84 gewann die direkte Unter­stützung von den schrittweise wieder le­gal operierenden sozialen Bewegungen in San Salvador einen zentralen Stel­lenwert. Durch Finanzzuweisungen -- Gelder für den Freikauf politischer Ge­fangener eingeschlossen --, Zeitungsan­zeigen, persönliche Präsenz, Interven­tionen über die vor Ort vertretenen Bot­schaften u.ä. hat die Solidaritätsarbeit einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, den politischen Spielraum wieder schrittweise auszudehnen.

Die intensive Öffentlichkeitsarbeit in den Metropolen zielte u.a. auf die De­batte über Menschenrechtskriterien für die Wirtschafts- und Militärhilfe in den USA oder über die Entwicklungshilfe der Bundesregierung.

Auch wenn die politischen Verhältnisse wie z.B. in der Bundesrepublik aufgrund von Parteiloyalitäten festgefahren wa­ren; die Tatsache, daß die Administra­tion der USA die Christiani-Regierung in El Salvador zuletzt deutlich unter Druck gesetzt hat, das Waffenstillstandsab­kommen zu akzep­tieren, hängt nicht nur mit der verän­derten Weltlage zusam­men. Eine Vor­aussetzung war sicher die jahrelange intensive Arbeit von Men­schenrechts- und Solidaritätsgruppen in den USA, die es geschafft hatten, daß sich ihre Regie­rung Jahr für Jahr sehr intensiv mit der Menschenrechtslage in El Salvador be­fassen mußte.

Die Durchsetzungsfähigkeit von Eman­zipationsbewegungen in der Dritten Welt hängt heute mehr denn je davon ab, ob sie ihr Anliegen der internatio­nalen Öffentlichkeit vermitteln können. Solidaritätsarbeit kommt da eine wich­tige Funktion zu, nicht nur in eine Richtung: In dem Maße wie die Weltöf­fentlichkeit für die Menschenrechtslage in El Salvador sensibilisiert wurde, mußte sich auch die FMLN kri­tisch hin­sichtlich ihrer Menschenrecht­spraxis hinterfragen und untersuchen lassen.

In der internationalen völkerrechtlichen Diskussion und Praxis gewinnt eine mit der Durchsetzung von Menschenrechten begründete Intervention, bzw. Ausset­zung des Souveränitätsprinzips, rasch zunehmende Bedeutung. Die Tatsache, daß beide Bürgerkriegsparteien in El Salvador übereingekommen sind, die Menschenrechtslage in ihrem Land de­tailliert durch UN-Inspektoren vor Ort überwachen und verifizieren zu lassen, stellt in diesem Zusammenhang einen neuen qualitativen Schritt dar.

El Salvador ist auch eines derjenigen Länder, in denen sich die dort ansässi­gen EG-Botschafter -- darunter auch diejenigen der Bundesrepublik -- schon seit Jahren intensiv in Menschenrechts­fragen "einmischen". Ein deutscher Bot­schafter mußte daraufhin aufgrund von Drohungen der extremen Rechten das Land verlassen.

In beiden Bereichen hat die Solidaritäts­bewegung wichtige Vorarbeit geleistet. Ihre Mitglieder haben durch ihre per­sönliche Präsenz Wiederansiedlungen von Flüchtlingen vor Armeeübergriffen, Gewerkschafts- und Menschenrechtsak­tivisten vor Terroranschlägen und Ver­haftungen "geschützt". Durch perma­nentes Nachfassen vor Ort und in der Öffentlichkeit wurde eine relativ neue Dimension diplomatischer Tätigkeit an­gestoßen und ausgeweitet.

Perspektiven
Sicher, die elenden Lebensbedingungen von Millionen von Salvadoreanern wer­den sich so schnell nicht ändern. Gerade in seinen sozioökonomischen Teilen bleibt das vereinbarte Abkommen weit­gehend bei relativ vagen Absichtserklä­rungen. Dies ist Konsequenz der Tatsa­che, daß auch die Linke in El Salvador über kein Patentrezept zur raschen Ver­wirklichung von mehr Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit verfügt.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn der Weg hin zu Demokratie und Rechts­staatlichkeit konsolidiert werden könnte. Hier bieten sich für die weitere Solida­ritätsarbeit zwei Ansatzpunkte:

Die Kontakte mit sozialen Bewegungen in El Salvador müssen ausgebaut wer­den. Die Solidaritätsbewegung sollte sich darauf konzentrieren, die Interven­tionsfähigkeit von Gewerkschaften, Bauern-, Frauenverbänden etc. zu erhö­hen. Die Stärke und Durchsetzungsfä­higkeit dieser Verbände wird für die Konsolidierung des eingeleiteten De­mokratisierungsprozesses mitentschei­dend sein.

Von der Bundesregierung sollte gefor­dert werden, daß sie Einsichten der ent­wicklungspolitischen Diskussion der letzten Jahre am Beispiel El Salvadors exemplarisch umsetzt.

Demnach kommt es in der Entwick­lungspolitik nicht so sehr darauf an, dort ein Krankenhaus zu planen und hier eine Brücke zu bauen, sondern vielmehr darauf, die Rahmenbedingungen für die Schaffung von mehr Demokratie und sozialer Gerechtigkeit zu verbessern.

Das Friedensabkommen bietet dazu hervorragende Ansatzpunkte. So könnte die Bundesregierung in der wieder auf­zunehmenden Entwicklungszusam­menarbeit u.a. folgende Maßnahmen vorsehen:

-   Einrichtung eines Reintegratinsfonds für demobilisierte Mitglieder der FMLN und der Sicherheitskräfte, mit dem der Prozeß der Reintegration ins Zivilleben begleitet wird.

-   Finanzielle Subventionierung des Haushaltes des neu geschaffenen Ge­neralanwaltes für Menschenrechte.

-   Finanzielle und technische Assistenz bei der Reform des Justizwesens.

-  Technische Assistenz bei den durch­zuführenden Agrarreformmaßnah­men bzw. der betriebswirtschaftli­chen Konsolidierung existierender Kooperativen.

Vor dem Hintergrund, daß die Bürger­kriegsparteien in El Salvador es ge­schafft haben, sich gemeinsam über zentrale gesellschaftliche Reformen zu verständigen, sollte es denkbar sein, daß es auch in der Bundesrepublik zwischen der Bundesregierung und den Nichtre­gierungsorganisationen, die seit Jahren zu El Salvador arbeiten, zu einem Dia­log über die zukünftige Entwicklungs­zusammenarbeit mit El Salvador kommt.

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