Einladung zur Tagung vom 1. - 3. Dezember 2000 Jugendhof im Bessunger Forst bei Darmstadt

Was bedeutet "Gewaltfreie Bewegung" heute?

von Wolfgang HertleKlaus Vack
Initiativen
Initiativen

Liebe Freundinnen und Freunde des Archiv Aktiv für gewaltfreie Bewegungen!

Wir leben in einer Zeit massenmedialer Sprachregelungen und auch gezielter Sprachpolitik. Der Begriff "gewaltfrei" verschiebt sich dabei - und wird auch verschoben. Heutzutage wird vieles, was keine direkte Brutalität erkennen lässt, als "gewaltfrei" bezeichnet. Gleichzeitig wird Gewalt begrifflich verdeckt, etwa dann, wenn ein Krieg als "humanitäre Intervention" bezeichnet wird. Deutet sich darin an, dass Gewalt weniger als früher auf öffentliche Akzeptanz rechnen kann? Oder handelt es sich nur um eine neue Form von Herrschaft durch Sprache? Wird der Begriff "gewaltfrei" auf diese Weise im gesellschaftlichen Raum beliebig und inhaltsleer?

Es stellt sich vor allem die Frage: Wie können mit dieser fortschreitenden staatsmächtigen Umfunktionierung des Wortes "gewaltfrei" diejenigen Gruppen, Organisationen und Kampagnen umgehen, die seit den siebziger und achtziger Jahren gewaltfreien Widerstand gegen Umweltzerstörung und Rüstungs- oder Kriegspolitik praktiziert haben, durch Verweigerungen, Besetzungen, Blockaden, Boykotte etc.

Seit dem Fall der Mauer und den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien wirkt die Friedens- und Ökologiebewegung geschwächt. Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung bestehen aber weiterhin bewährte Organisationen und vielfältige neue Basisinitiativen für gewaltfreien Widerstand gegen gesellschaftliche Missstände. Zwar beteiligten sich während des Kosovo-Krieges weniger Menschen an direkten gewaltfreien Aktionen und Zivilem Ungehorsam als noch während des Golf-Krieges. Jedoch: Kampagnen wie die "Gewaltfreie Aktion Atomwaffen abschaffen" erinnern beharrlich daran, dass Abrüstung lebenswichtig bleibt. In regelmäßigen Aktionen an der militärischen Kommandozentrale Eucom wird unbeirrt gewaltfreier Widerstand geleistet. In der Jugendumweltbewegung sind Aktionsformen aus der gewaltfreien Anti-AKW-Bewegung und der Friedensbewegung der siebziger und achtziger Jahre selbstverständlich geworden. Die Kampagne "X-tausend mal quer" arbeitet seit den spektakulären Massenblockaden gegen die Castor-Transporte im Wendland systematisch weiter. Bei den nächsten Transporten ist bundesweit mit gut vorbereiteten Aktionen zu rechnen. Die anfänglich marginal erscheinenden Initiativen gegen einen weiteren Großausbau am Frankfurter Flughafen finden mehr und mehr Zulauf. Eine Kampagne gegen dieses größenwahnsinnige und Umweltzerstörung fördernde Staatsprojekt dürfte, wenn die Bauarbeiten beginnen, die Region wie zwanzig Jahre zuvor in Atem halten. Darüber hinaus gibt es viele weitere Aktivitäten gegen Militäreinrichtungen, gegen Gentechnologie, gegen Ausländerfeindlichkeit, für Versöhnung in Bürgerkriegsregionen und vieles mehr.

 

Dennoch: Können wir weiterhin von einer, ja von der gewaltfreien Bewegung reden?
Verstehen sich die verschiedenen Gruppen, seien sie christlich, menschenrechts-ethisch oder anarchistisch, die Kampagnen der Verweigerung und der Blockaden, die Einrichtungen für gewaltfreie Bildungs- und Trainingsarbeit, die Projekte für konstruktive Alternativen als Teil einer Bewegung mit einem gemeinsamen Kern an Selbstverständnis und politischen Zielen? Viele nicht reflektierte, aber blockierende Erfahrungen lassen Zweifel aufkommen. Sie führen zu Fragen, die nur im Gespräch zwischen den verschiedenen Richtungen geklärt werden können.

Das Archiv Aktiv für gewaltfreie Bewegungen möchte diesen Reflexionsprozess fördern und lädt daher VertreterInnen von Organisationen, Initiativen und Kampagnen gewaltfreien Widerstands zum Austausch von Meinungen und Erfahrungen ein. Auch Einzelne, vor allem mit langjährigen Erfahrungen in gewaltfreien Aktionen, sind als Teilnehmerinnen erwünscht.

Rückmeldungen auf erste Anfragen lassen bereits ein reges Interesse an einem solchen Austausch erkennen.

Das Archiv Aktiv wird zur Vorbereitung der Tagung einen Fragenkatalog entwickeln, der das Gespräch anregen und strukturieren hilft. Dieser wird allen an der Tagung Interessierten etwa vier Wochen vor derselben zugehen. Das Ergebnis kann helfen; gezielter strukturelle und aktuelle Probleme zu diskutieren sowie Perspektiven zu entwickeln. Unser politisches Selbstverständnis und der Begriff gewaltfreie Aktion stehen im Mittelpunkt. Gemeinsames wie Trennendes in den Motivationen oder im Verhältnis zu Institutionen und zum Gesellschaftssystem sollen bewusster werden. Über die Auswirkungen der veränderten politischen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen werden wir nachdenken.

Auch darüber:

  • Wie kann langfristiges Handeln im gewaltfreien Widerstand gefördert werden? Ist privates und familiäres Leben auf Dauer mit Engagement in gewaltfreien Bewegungen vereinbar?
  •  Wie können bei uns die Generationen besser miteinander ins Gespräch kommen? Kann das Bewusstsein für die Geschichte der gewaltfreien Bewegung gefördert werden? Welche Möglichkeiten sehen die gewaltfreien Gruppierungen und Organisationen, sich gegenseitig in ihrer Arbeit zu stärken?
     
  •  Wie stark sind die Gemeinsamkeiten, um uns nach außen hin als zusammengehörende Bewegung identifizierbar zu machen?
     

Das ist gewiss genug spannender Stoff für eine Tagung. Wir freuen uns auf eure Teilnahme!

Mit sommerlichen, freundschaflichen und gewaltfreien Grüßen

Ausgabe

Rubrik

Initiativen