Soziale Verteidigung voranbringen

Workshops für gewaltfreie Sicherheitspolitik

von Tobias Pastoors
Initiativen
Initiativen

Soziale Verteidigung, also Wehrhaftigkeit ohne Waffen, das sprengt für viele Menschen erstmal die Vorstellungskraft. Doch wenn man einen Raum schafft, in dem offen über Ziele der Verteidigung reflektiert werden kann, dann rücken gewaltfreie Verteidigungsoptionen automatisch in den Vordergrund.

Meine Erfahrung ist: Über Verteidigung haben sich bisher kaum Menschen in Deutschland ernsthaftere Gedanken gemacht. Viele hadern mit Gewalt und Militär, doch von Alternativen zu militärischer Verteidigung haben sie noch nie gehört. Ich habe in den vergangenen Monaten sieben Workshops zu Sozialer Verteidigung angeboten, etwa 80 Menschen sind insgesamt dazu gekommen – einer davon wusste grob, was Soziale Verteidigung ist.

Ich habe die Workshops daher mit einer kurzen Vorstellung der Grundideen Sozialer Verteidigung begonnen. Dann habe ich die Teilnehmer*innen aber zügig mit einer Frage in Kleingruppen geschickt: Was möchtet ihr im Falle einer militärischen Invasion erhalten? Oder anders gefragt: Was sind Eure Verteidigungsziele?

Denn das ist für mich der erste Schritt: Man muss sich bewusst sein, was man im Verteidigungsfall überhaupt erreichen möchte. Allein diese Frage hat bei vielen Teilnehmer*innen viel ausgelöst. Denn beim Ziel der Verteidigung denken die meisten erstmal einfach daran, den Gegner zurückzuschlagen. Das folgt eben einer militärischen Logik: Wenn der Feind besiegt ist, haben wir gewonnen. Stattdessen zu formulieren, was man eigentlich konkret in seinem Leben erhalten möchte, bricht diese Logik auf.

Ich habe lebhafte Diskurse in den Kleingruppen gesehen. Am Ende standen Werte wie Meinungsfreiheit, demokratische Wahlen und Selbstbestimmung, Rechtsstaatlichkeit oder freie Persönlichkeitsentfaltung auf den Karten. Aber auch das eigene Leben, die Unversehrtheit von Freund*innen und Familie, die Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung und anderer kritischer Infrastrukturen, Zugang zu ausreichend Wasser und Nahrung.

Ganz wichtig ist mir, dass es keine falschen oder richtigen Ziele gibt. Was Menschen verteidigen möchten, ist ihre Entscheidung. Soziale Verteidigung muss von Bürger*innen für ihre eigenen Ziele ausgeführt werden. Das ist einer der zentralen Unterschiede zu militärischer Verteidigung. Militärische Verteidigung wird von oben geplant und über eine Befehlskette von professionellen Soldat*innen ausgeführt. Soziale Verteidigung muss hingegen zu weiten Teilen von unten, von der Zivilbevölkerung geplant und ausgeführt werden. Das kann nur gelingen, wenn die Bürger*innen die Ziele ihrer Verteidigung selbst definieren.

Auf Basis der Ziele der Teilnehmer*innen haben wir uns dann gemeinsam Gedanken gemacht, wie wir unsere Ziele erreichen könnten. Dazu habe ich meist erstmal noch einen zweiten kurzen Impulsvortrag gehalten und einige Methoden der Sozialen Verteidigung vorgestellt. Von (dezentralen) Demonstrationen über Sabotage und Blockade bis zur Ansprache der gegnerischen Soldat*innen. Den Fokus habe ich dabei immer auf die Weiterarbeit ohne Kollaboration gelegt. Wir haben über die Vor- und Nachteile der Methoden auch immer direkt kritisch diskutiert – an zweifelnden Nachfragen mangelte es nie.

Zweifel habe ich immer dankbar aufgenommen. Ich preise Soziale Verteidigung nie als Allheilmittel an, mit dem jeder Konflikt leicht aus der Welt zu räumen wäre. Auch bei Sozialer Verteidigung würden Menschen leiden und sterben, auch wenn man sozial kämpft, kann man verlieren. (Man kann den Kampf aber zu einem anderen Zeitpunkt ggf. auch wieder aufnehmen.) Ich bin überzeugt, dass Soziale Verteidigung gegenüber militärischer Verteidigung viele Vorteile hat – aber ich sehe auch Szenarien, die für militärische Verteidigung sprechen. Beispielsweise dann, wenn eine gegnerische Armee militärisch zwar recht schwach aufgestellt ist, dafür aber über fanatische und skrupellose Kämpfer*innen verfügt. Wichtig für die Workshops ist mir: Offenheit! Meine Erfahrung ist, dass man andere Menschen nur dann wirklich erreicht, wenn man sich von ihnen auch wirklich erreichen lässt.

Wenn Zeit und Energie es zugelassen haben, habe ich noch einen zweiten interaktiven Teil gemacht. Ich habe die Teilnehmer*innen gebeten, ihre Verteidigungsziele auf einer Skala zwischen Sozialer und militärischer Verteidigung einzusortieren. Also einzuschätzen, mit welcher Methode, ihre Ziele eher zu erreichen wären. Das ist natürlich Spekulation, aber ein Bauchgefühl hat man dafür eben doch.

Die meisten Teilnehmer*innen hatten auch am Ende der Workshop noch viel Skepsis gegenüber den Gedanken der Sozialen Verteidigung – und doch landeten die meisten Verteidigungsziele bei der Sozialen Verteidigung. Die Begründungen der Teilnehmer*innen dazu lassen sich auf eine Formel bringen: Bei militärischer Verteidigung wird mit hoher Sicherheit sehr viel von dem zerstört, was verteidigt werden sollte.

Bisher habe ich den Workshop vor allem auf Techno-Festivals angeboten, also mit jungen Menschen aus eher links-grünen Milieus. Ich freue mich sehr drauf, diese Bubble mit dem Workshop-Konzept mal etwas zu verlassen! Wenn Euch/Ihnen eine Tagung, Veranstaltung oder ähnliches über den Weg kommt, wo ein solcher Workshop gut passen könnte, dann schreiben Sie mir sehr gerne: pastoors [dot] tobias [at] gmail [dot] com.

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Tobias Pastoors lebt in Köln und engagiert sich dort für einen lokalen Ansatz zu Sozialer Verteidigung.