7. Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden in Heidelberg

Zivil-militärische Zusammenarbeit – Militarisierung auch im Inneren

von Renate Wanie
Initiativen
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Deutschland führt Krieg in Afghanistan! Das hat weitreichende Folgen. Die Auf- und Umrüstung der Bundeswehr zu einer Armee im Kriegseinsatz verändert die Bundesrepublik auch im Inneren und prägt eine neue allumfassende Sicherheitsarchitektur zivil-militärischer Zusammenarbeit (ZMZ). Immer mehr gesellschaftliche Bereiche werden offen oder verdeckt in die neue Militärstrategie eingebunden. Und das auf „leisen Sohlen“. Kritische Stimmen sind kaum zu hören.

Ziel der 7. Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden vom 12. bis 13. Februar 2010 in Heidelberg war, die schleichende Normalisierung des Militärischen nach innen und außen in der Öffentlichkeit bekannter zu machen, Optionen ziviler Konfliktaustragung gegenüberzustellen und erste Gegenstrategien für gemeinsamen Protest und Widerstand in den sozialen Bewegungen zu verabreden. Zu Gast war die Tagung diesmal bei der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, und dem Heidelberger Friedensratschlag. Nachfolgend ein Streifzug durch die Konferenzthemen.

Militarisierung im Inneren
Unverkennbar sind Bestrebungen, die Streitkräfte in die „innere Sicherheitsarchitektur“ einzubinden, das Militär in die inneren Angelegenheiten hineinzuziehen und die Bevölkerung an die Präsenz zu gewöhnen. Während es bei den Auslandseinsätzen unter dem Stichwort „zivil-militärische Zusammenarbeit“ primär um die Einbindung von Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen geht, handelt es sich im Inland um die Vermischung von militärischen und zivilen Aufgaben (Katastrophenschutz, Zivilschutz, Polizei). Werden jetzt auch im Inland zivile Ressourcen eingebunden, um militärische Ziele zu erreichen?

Nicht zu übersehen ist jedenfalls die zivil-militärische Zusammenarbeit im Inland, z.B. bei der  Einbindung von öffentlichen Institutionen für die Nachwuchsrekrutierung der Bundeswehr (bei Arbeitsagenturen, in Schulen), der Privatwirtschaft (z.B. Fuhrparkmanagement, Sicherheitsfirmen), der Erhöhung der Reservistenzahl oder bei der Amtshilfepraxis durch den Bundeswehreinsatz (Fußball-WM 2006, G8-Gipfel / Heiligendamm) – letzteres ein Missbrauch der Amtshilfe im Art. 35 GG als Einfallstor für die Militarisierung des öffentlichen Raumes.

Militarisierung des öffentlichen Raums
„Zivil-militärische Zusammenarbeit übernimmt das Kommando in Rathäusern, Arbeitsagenturen und Landratsämtern“ titelte Uli Sander von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten/-innen (VVN-BdA) in einer Arbeitsgruppe der Konferenz. Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit seien gefallen. Die ZMZ von Bundeswehr, Polizei, Geheimdiensten, Katastrophenschutzorganisationen und anderen Institutionen sei mit Krisenstäben und Kreiskommandos in allen deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten etabliert. Militärische Kompetenz und Service stünden im undefinierten Krisenfall beratend und unterstützend zur Verfügung. Nicht mehr die Bürgermeister oder die Landräte hätten das Sagen, sondern militärische Vorgesetzte. Eine große Gefahr sei die Unterwanderung von rechtsextremen Reservisten: Bekannte Namen aus der NPD und der verbotenen Neo-Nazi-Organisation „Blood and Honour“ sind Mitglieder in Reservisten- und Bundeswehrverbänden. Nach einer Gesetzesänderung könnten Reservisten jetzt bis zum 60. Lebensjahr einberufen werden. Nicht mehr nur mit Übungen sei zu rechnen, sondern auch mit Einsätzen wie 2007 in Heiligendamm. In den Informationen der Truppe (IfdT 3/2002) werden „Chaos-Gruppen, wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner“ in die Reihe von Feinden gestellt. Aufklärende Aktionen seien angesagt wie auch Anfragen an Verwaltungen, Aktionen bei Luftfahrtschauen oder  z.B. auch Reservisten-Verweigerungskampagnen.

Psychotherapie soll die Heimatfront beruhigen
Nach der Einschätzung der Psychotherapeutin Michaela Müller und des Journalisten Cruse Klings werde die Medizin heutzutage „wieder missbraucht“. Hintergrund ist ein Aufruf im Bundesmitgliederrundbrief der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung, das Bundesverteidigungsministerium zu unterstützen. Trotz der internen Behandlungsmöglichkeiten bei der Bundeswehr sollten sich PsychotherapeutInnen präventiv für die wachsende Zahl traumatisierter SoldatInnen in Auslandseinsätzen zur Verfügung stellen. Das beigelegte Formblatt gipfelte in der Anforderung, „den Aufgaben der Bundeswehr in ihren Auslandseinsätzen nicht ablehnend“ gegenüber zu stehen. Müller kritisierte die Abfrage der politischen Gesinnung wie auch die vorauseilende Kriegsbefürwortung. Nicht nur die „Kollaboration des DPtV“ befremdete sie, auch der „verräterische Umgang mit dem Begriff „Traumatisierung“. Es werde der Eindruck erweckt, als lasse sich „ein posttraumatisches Belastungssyndrom mit ein wenig Therapie dauerhaft beheben“. Es ginge hier außerdem nicht um die traumatisierten zivilen Opfer, sondern um Zeugen versehentlicher Erschießungen an deutschen Kontrollposten.

In einer öffentlichen Stellungnahme hat Müller die Kriegsunterstützung im Inland bereits abgelehnt und an ihre KollegInnen appelliert, sich keiner Ideologie zu unterwerfen. Ihr Appell: immer wieder publizieren, aufklären und Fakten zur Militarisierung im Gesundheitswesen sammeln und damit Inhalte vorgeben. Motto „Frieden macht gesund! – Kriege machen krank!“ (Kontakt: angelika-claussen [at] web [dot] de (IPPNW), kathrinvogler [at] bundestag [dot] de (Die Linke)).

Hochschulen forschen für den Krieg
Ausweitung und Vertiefung von Rüstungsforschung an Hochschulen ist ein zentraler Bestandteil der neoliberal-konservativen Militarisierungspolitik. Nach Dietrich Schulze (KIT) ist das wichtigste Konzept dafür die Durchdringung von ziviler Forschung für militärische Zwecke. Dies sei nicht gerade neu, aber jetzt eingebettet in eine umfassende zivil-militärische Strategie für alle Bereiche der Innen- und Außenpolitik. So bestimmen beispielsweise am KIT (Institut für Technologie in Karlsruhe) Angehörige der Bundeswehr Forschungsprogramme. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die „Exzellenzinitiative“ für Elite-Universitäten und die Ökonomisierung der Hochschulen. Ein ermutigendes Beispiel ist hingegen die Universität Konstanz, wo der Große Senat bereits 1991 erklärte, dass die Forschung für Rüstungszwecke keinen Platz habe. (Kontakt: dietrich [dot] schulze [at] gmx [dot] de)

Militarisierung der EU-Außengrenzen
Die EU habe „nur wenige gemeinsame Asylrechtsstandards, aber sehr starke gemeinsame Abschottungstendenzen mit dem sehr hohen Preis, dass die Friedhöfe um Europa herum Tag für Tag größer werden“, so Karl Kopp von Pro Asyl. Bei den Verhandlungen um ein gemeinsames Asylsystem in der EU gelte das Prinzip der Abschreckung: Hochrüstung an den Außengrenzen, Entrechtung im Asylverfahren, Auslagerung des Flüchtlingsschutzes. „FRONTEX“ ist die 2004 vom EU-Ministerrat beschlossene „Europäische Grenzschutzagentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der EU“. Finanziert wird die Agentur aus Zuschüssen der EU und Beiträgen der EU-Staaten. Bei den Aufgabenbereichen verschwimmen die Grenzen von Polizei und Militär zunehmend. Deutsche Militärflugzeuge sind Teil der „vernetzten Sicherheit“. Die 2.000 Toten, die FRONTEX 2008 in Kauf genommen hat, zeigen, dass es "für Schutzsuchende und bestimmte Migrantengruppen eine Festung Europa gibt", so Kopp. Ein kleiner Erfolg von Menschenrechtsorganisationen und Opposition im EU-Parlament und Bundestag sind neue Leitlinien für die ausdrückliche Beachtung (!) der Rechte von Flüchtlingen, die zudem nicht in die Verfolgerstaaten zurückgeschoben werden dürfen.

Zivil-militärische Zusammenarbeit nicht akzeptieren!
Die Enttabuisierung des Militärischen in der deutschen Außenpolitik seit dem Ende des Kalten Krieges wie auch die seit 1999 weltweit operierenden Bundeswehreinsätze tragen wesentlich zu einer Politik der Vermischung von zivilen und militärischen Aufgaben bei. Das Weißbuch 2006 liefert die politische Grundlage dafür. Überdies können sich Politik und Militär nicht mehr der Erkenntnis verschließen, dass die Konfliktaustragung mit militärischen Mitteln nicht zum Sieg verhilft. Der mehrjährige Krieg in Afghanistan ist das aktuelle Beispiel dafür. Eine undurchsichtige „vernetzte Sicherheitsarchitektur“ soll Abhilfe schaffen und Vorstellungen von einem effektiveren sowie gleichberechtigten Miteinander von Zivilem und Militärischem vermitteln. Doch das Militär gibt die Ziele vor, die Zivilen sollen sie erreichen.

Um dies politisch zu verhindern, muss die Friedensbewegung eine Gesamtstrategie entwickeln, die die Einzelaktivitäten in eine Strategie einbindet. Am Ende der Strategiekonferenz verwies Andreas Buro auf die vielen unterschiedlichen Aktionsformen der Friedensbewegung. Aufgaben könnten sein: ständige Analysen von Militärdoktrinen (und deren Delegitimierung), Rüstung und der Entwicklung politischer Konflikte, regelmäßige Kritik an dem Kult des „ehrenhaften Militärs“, sog. Alarmierungskampagnen, die ZMZ und den Zusammenhang mit den Kriegseinsätzen der Bundeswehr aufdecken und die Folgen in der Bevölkerung bewusst machen, sowie Beispiele für die Zivile Konfliktbearbeitung in konkreten Konflikten ausarbeiten (vgl. Monitoring-Projekt). Es geht darum, zivil-militärische Vorgehensweisen auch im Inneren öffentlich nicht zu akzeptieren, und dabei die Zusammenarbeit mit anderen sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Kirchen zu intensivieren – ein tragfähiges breites Bündnis aus allen gesellschaftlichen Bereichen bilden, das sichtbar und auch hörbar wahrgenommen wird!   

Programm und Beiträge der 7. Strategiekonferenz: www.koop-frieden.de. Dort finden sich auch Handlungsoptionen und Texte aus allen acht Arbeitsgruppen.

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