Aktionsbericht zur sechsten Entzäunungsaktion des Atomwaffenlagers Büchel/Südeifel

Ziviler Ungehorsam am 54. Jahrestag des Grundgesetzes

von Hermann Theisen

Am 23. Mai 2003 wurde die sechste Entzäunungsaktion am Fliegerhorst bei Büchel in der Südeifel durchgeführt. Es war nicht die erste Aktion zivilen Ungehorsams, die bewusst an einem Jahrestag des Grundgesetzes stattfand. Bereits 1989, also am 40. Jahrestag, organisierte das Komitee für Grundrechte und Demokratie eine groß angelegte Sitzdemonstration vor den Toren des Giftgaslagers Fischbach (Pfalz), an der Menschen aus der ganzen Bundesrepublik teilnahmen und sich deshalb in den darauffolgenden Jahren vor den Gerichten in Pirmasens und Zweibrücken wegen des Vorwurfs der versuchten Nötigung zu verantworten hatten.

Jener 40. Jahrestag unserer Verfassung wurde damals auf zivil ungehorsame Weise begangen, um gegen die Lagerung von Giftgas zu protestieren und zugleich, um an fundamentale Werte unserer Verfassung zu erinnern, gegen die - damals wie heute - durch die völkerrechtswidrige Lagerung (nebst Einsatzdrohung) von Atomwaffen verstoßen wird.

Hanne und Klaus Vack, jene unermüdlichen Friedensaktivisten der ersten Stunde der (nachkriegs)deutschen Friedensbewegung, schrieben damals in ihrem Einladungsschreiben zu den Sitzdemonstrationen: "Machen wir für uns und andere diesen 40. Jahrestag zu einem Tag des Friedens und der Demokratie! Demonstrieren wir unseren friedlichen Mut und unsere gewaltfreie Wut und unsere noch nicht zerbrochenen Hoffnungen. Auch wenn die atomaren Mittelstreckenraketen verschrottet werden, auch wenn ernstzunehmende Abrüstungsinitiativen diskutiert und hoffentlich verwirklicht werden, sind die Gefahren und Gefährdungen, die uns bedrohen, noch immer turmhoch. Wir dürfen die Hände nicht tatenlos in den Schoß legen, denn Frieden ist nicht als Geschenk einer Obrigkeit zu erwarten, er ist nur als gemeinsame Anstrengung der Völker erreichbar. Solange der ABC-Tod und auch ökologische Krisen die Menschheit bedrohen, gilt: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt, und wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt in ihr um!"

Auch wenn seitdem bereits 14 Jahre vergangen sind, scheint jene Botschaft aktueller denn je zu sein, hätte sie doch durchaus wortwörtlich für einen Aufruf zur Entzäunungsaktion am 23. Mai d.J. übernommen werden können.

Der Fliegerhorst bei Büchel
Auf dem Fliegerhorst bei Büchel in der Nähe von Cochem (Südeifel) werden seit 1965 Atomwaffen der USA gelagert. Zur Zeit vermutlich zehn Atombomben vom Typ B 61, die Schätzungen zufolge einer Sprengkraft von über 150 Hiroshima-Bomben entsprechen. Auf dem Fliegerhorst ist das Jagdbombergeschwader 33 der Bundesluftwaffe stationiert. Es stellt mit seinen Tornado-Kampfflugzeugen die Trägersysteme für die Atomwaffen bereit und eben damit die nukleare Teilhabe der Bundeswehr an der Atomwaffenstrategie der USA dar.

Somit setzt sich die Bundesregierung über ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes vom 8. Juli 1996 hinweg, wonach der Einsatz von Atombomben mit jenen Anforderungen in Einklang zu bringen sein muss, die sich aus dem für bewaffnete Konflikte geltenden Völkerecht ergeben. Aufgrund ihrer verheerenden Wirkung vermögen Atomwaffen diesen Anforderungen nicht zu genügen, weshalb ihr Einsatz bzw. auch schon die Einsatzdrohung als völkerrechtswidrig zu betrachten sind. Diese Auffassung wird freilich von der Bundesregierung nicht geteilt. Für sie stellt die Tatsache, dass in Deutschland Atomwaffen gelagert sind und ihr potentieller Einsatz geübt wird, keine Drohung und Gefahr für den Weltfrieden dar.

Noch im Februar des vergangenen Jahres hatte der damalige Verteidigungsminister Scharping - so eine Meldung von Phoenix online unter Berufung auf die Nachrichtenagentur AP - darauf hingewiesen, dass in Deutschland auch weiterhin US-Atom-Sprengköpfe stationiert bleiben und die Bundeswehr die von ihr bereitgestellten Tornado-Jagdbomber voraussichtlich bis zum Jahr 2020 zur Verfügung stellen wolle. Da Deutschland, so Scharping damals, in einem gemeinsamen Sicherheits-Bündnis über Jahrzehnte Vorteile gehabt habe, müsse es auch Verantwortung übernehmen. Die Frage, inwieweit jene Verantwortung die Grenzen unserer Verfassung überschreitet, blieb für Scharping offenbar irrelevant - ebenso wie aktuell für seinen Nachfolger Struck. Obwohl doch die gegenwärtige militärpolitische Entwicklung in den USA, die Otfried Nassauer treffend als die Rückkehr der Atomkrieger charakterisiert, Struck bzw. die Bundesregierung geradezu drängen müsste, die eigene nukleare Teilhabe am neu entfachten atomaren Rüstungswettlauf der USA kritisch zu reflektieren.

Die Entzäunungsaktion am 23. Mai 2003
Der Tag begann früh morgens mit einer Zug- und Busfahrt durch die Eifel. Der Busfahrer hielt uns (sechs Aktivisten und fünf Unterstützer) für eine Wandergruppe und wies uns immer wieder auf die wunderschöne Landschaft hin, insbesondere als er uns direkt an verschiedenen Eifeler Maaren vorbeifuhr. Am frühen Nachmittag erreichten wir nach einer etwa halbstündigen Wanderung, zunächst entlang eines Baches und später durch den vorsommerlichen Wald (insofern hatte der Busfahrer ja eigentlich Recht) um 14:45 Uhr unser Ziel, den Fliegerhorst Büchel. Mit Seitenschneidern durchtrennten wir den Militärzaun und gelangten bereits nach wenigen Minuten auf das Bundeswehrgelände. Da wir symbolisch eine Inspektion des Atomwaffenlagers durchführen wollten, trugen wir weiße Schutzanzüge, hatten einen Geigerzähler mitgebracht sowie ein Transparent mit der Aufschrift: "Atomwaffen abschaffen" und eine regenbogenfarbene Pace-Fahne. Somit waren wir bereits von weitem deutlich als Zivilisten erkennbar - dachten wir zumindest. Einer der Aktivisten blies zudem noch laut ein Horn, um uns damit akustisch erkennbar zu machen. Doch weder optisch noch akustisch schienen wir den Alltag des Atomwaffenstützpunktes in irgendeiner Weise zu stören. So liefen wir etwa 10 Minuten unbehelligt über das Gelände, bis wir zur Rollbahn gelangten, von der es noch am Vormittag Starts und Landungen von Kampfjets gegeben hatte.

Zu unserem Erstaunen war auch hier kein Soldat zu sehen, das ganze Militärgelände machte einen ausgestorbenen Eindruck. So liefen wir über die Rollbahn in Richtung der Tornado-Hangars. Dabei befanden wir uns über einen längeren Zeitraum in Sichtweite des Towers, von welchem wir aber offensichtlich ebenso unbemerkt blieben. Auch in der Ferne vorbeifahrende Soldaten schienen keinen Anstoß an uns zu nehmen. Erst um 15.10 Uhr, also 25 Minuten, nachdem wir den Militärflugplatz betraten, erschien ein Militärjeep mit zwei Soldaten. Einer davon stellte sich als Umweltschutzoffizier vor, der sich mit seinem Kollegen gerade auf dem Nachhauseweg befand. Da unsere Entzäunungsaktion bereits fünf Vorläufer hatte, schien er sofort über unser Anliegen im klaren zu sein und empfing uns freundlich und gelassen. Er informierte die Cochemer Polizei und wies uns darauf hin, dass sich möglicherweise freilaufende Hunde auf dem Militärgelände befinden könnten, weshalb wir zu unserem eigenen Schutz unverzüglich stehen bleiben sollten. Wir beschlossen jedoch, unsere Inspektion fortzusetzen und liefen weiter in Richtung der Tornado-Hangars, gefolgt von einem in Schritttempo fahrenden Militärjeep.

Etwa nach weiteren 25 Minuten erschien die Cochemer Bereitschaftspolizei, nahm unsere Personalien auf und beschlagnahmte die mitgebrachten Seitenschneider als Tatwerkzeuge. In der Zwischenzeit waren auch eine Reihe von Bundeswehrsoldaten erschienen, mit welchen wir über den Hintergrund unserer Aktion sprachen. Auf die Bitte, den Kommodore sprechen zu können, um von diesem Auskunft über die gelagerten Atomwaffen zu erhalten, wurde uns mitgeteilt, dass sich dieser gerade in Kabul befände, und er ohnehin nicht - so der Umweltoffizier - mit uns darüber reden würde. Dazu sei niemand befugt. Auf die Frage, wie es denn sein könne, dass wir so lange unentdeckt geblieben sind, wurde mitgeteilt, dass zwar bekannt gewesen sei, dass die Aktion stattfinden werde, aber eben nicht an welchem Tag. Auch die Bundeswehrsoldaten schienen sichtlich überrascht darüber gewesen zu sein, dass wir uns 25 Minuten unbehelligt auf dem Atomwaffenstützpunkt aufgehalten hatten.

Schließlich wollte uns die Bereitschaftspolizei von der Bundeswehr zum Ausgang des Geländes bringen lassen, beschloss aber dann - inzwischen war es 17.00 Uhr -, uns mit auf die Polizeiwache nach Cochem zu nehmen, um uns dort zu vernehmen bzw. eine erkennungsdienstliche Behandlung durchzuführen. Dort wurden wir einzeln vernommen und teilweise erkennungsdienstlich behandelt. Einige von uns lehnten die erkennungsdienstliche Behandlung als unverhältnismäßig im Sinne der Strafprozessordnung ab, worauf die Polizei sehr unterschiedlich reagierte und in drei Fällen keine, in einem Fall eine teilweise sowie in zwei Fällen eine komplette erkennungsdienstliche Behandlung durchführte. Um 18.30 Uhr verließen wir die Polizeistation, wo wir bereits von unseren Unterstützern erwartet wurden und denen an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für ihre ausgesprochen gute und hilfreiche Arbeit gedankt werden soll.

Unser Aktionstag endete schließlich mit einer Auswertung in der Cochemer Bahnhofsgaststätte, wo wir alle noch ein wenig unter dem Eindruck standen, es nicht fassen zu können, wie einfach es war, unsere Entzäunungsaktion durchzuführen.

Weitere Entzäunungsaktionen
Vielleicht regt dieser Aktionsbericht einige Leser an, sich auch auf zivil ungehorsame Weise gegen die völkerrechtswidrige nukleare Teilhabe der Bundeswehr zu engagieren?! Es wird weitere Entzäunungsaktionen am Fliegerhorst Büchel geben! Jeder und jede ist dazu aufgerufen, sich an diesen Aktionen zu beteiligen! Weitere Informationen dazu: Hermann [dot] Theisen [at] t-online [dot] de.

Rubrik

Initiativen