Freiwillig war gestern?

Zur Diskussion um Wehrpflicht oder Pflichtdienst

von Jan Gildemeister
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Beide Themen sind nicht neu, die Diskussionen kochen seit Aussetzung der Wehrpflicht 2011 immer wieder hoch: Die Forderung, den Wehrdienst für Männer zu reaktivieren, und die Forderung nach Einführung einer Dienstpflicht für alle jungen Menschen.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine löste eine Diskussion darüber aus, ob Deutschland in der Lage wäre, sein Territorium zusammen mit den NATO-Bündnispartnern militärisch zu verteidigen – zumal laut einer Umfrage bei einem Angriff alleine ein Viertel aller jungen Männer ins Ausland flüchten würde. (1) Die offenbar vorhandene „mangelnde Wehrbereitschaft“ schlägt sich auch darin nieder, dass seit März 2022 junge Männer einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen (wollen), obwohl sie aktuell noch nicht einmal automatisch gemustert werden.

Hinzu kommt das offensichtliche Rekrutierungsproblem der Bundeswehr – jede zehnte Stelle ist unbesetzt. Dabei soll die Zahl der Soldat*innen bis 2031 um 31.000 auf dann 203.000 steigen, trotz einer gegenläufigen demografischen Entwicklung. Die Hoffnung ist, dass bei einer (erneuten) Pflicht zum Wehrdienst ausreichend viele als Berufssoldat*in hängen bleiben würden. Befürworter*innen einer Wehrpflicht erhoffen sich zudem eine bessere Akzeptanz der Bundeswehr (und der Soldat*innen) in der Gesellschaft. Weiter gibt es die Hoffnung, dass der Anteil waffenaffiner, demokratiefeindlicher Soldat*innen in der Bundeswehr sinken würde - aber es gibt keine Beweise dafür, dass aktuell der Anteil Rechtsradikaler in der Bundeswehr überdurchschnittlich hoch ist.

Die aktuelle Diskussion über die Einführung einer Dienstpflicht haben wir dem Bundespräsidenten zu verdanken, der sich einen besseren sozialen Zusammenhalt erhofft, wenn alle (jungen) Menschen einen Dienst für die Gesellschaft leisten. Wenn, wie dies die CDU Baden-Württemberg vordenkt, der Pflichtdienst auch in der Bundeswehr ableistbar wäre, könnte dies das Rekrutierungsproblem verringern: „Neben der kurzfristigen Entschärfung des Personalmangels durch die Gesellschaftsjahrleistenden kann so der Reservistenpool aufgestockt und (können) Soldatinnen und Soldaten auch langfristig für den Arbeitgeber Bundeswehr begeistert werden. Durch die Schaffung von Anreizen wie eine höhere Anerkennung der Dienstzeit auf die Wartezeit für einen Studienplatz kann die Attraktivität der Absolvierung des Gesellschaftsjahres bei der Bundeswehr nochmals gesteigert werden.“ (2) Eine Alternative wäre das „schwedische Modell“, wo die Aussetzung der Wehrpflicht (für alle jungen Menschen) aufgehoben wurde, aber nicht des Zivildienstes. Faktisch werden von 100.000 eines Jahrganges nach einer Auswahl durch Fragebogen und Musterung nur die 6.000 eingezogen, die dies auch wünschen und geeignet sind.

Es spricht aber viel dafür, dass weder die Wehrpflicht noch ein Pflichtdienst junger Menschen kommen wird:

Für eine Beendigung der Aussetzung der Wehrpflicht müsste der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit einen militärischen Angriff Deutschlands, zumindest eine akute Bedrohungslage feststellen. Ansonsten wäre damit zu rechnen, dass spätestens das Bundesverfassungsgericht den damit verbundenen einschneidenden Eingriff in die Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte junger Männer untersagen würde. Gefordert wird die Wehrpflicht aber (fast) nur vom Präsidenten des Reservistenverbandes der Bundeswehr, der 2010 als einziger CDU-Abgeordneter gegen deren Aussetzung gestimmt hat. Selbst der Bundesverteidigungsminister würde im Zweifelsfall sein Bedauern über die damalige Aussetzung der Wehrpflicht relativieren. Und die AfD, die die Forderung im Parteiprogramm hat, hat das Thema erst auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt, dann aber einen Rückzieher gemacht.

Abgesehen von einem immensen finanziellen Aufwand, die Voraussetzungen für die Unterbringung, Ausbildung und Beschäftigung von weit mehr als 100.000 Wehrpflichtigen zu schaffen, dürfte mindestens 10 Jahre erfordern. Zudem würden diese unter militärischen Gesichtspunkten nur zur unwahrscheinlichen Territorialverteidigung benötigt, für den Fall einer Bündnisverteidigung gegen Russland oder für weltweite Militäreinsätze werden Soldat*innen benötigt, die mindestens 15 Monate ausgebildet und eingesetzt wurden.

Für die Einführung eines Pflichtdienstes bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Grundgesetzes und eine inhaltliche Begründung, die vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte. Befürwortet wird diese aber nur von Teilen der CDU und SPD. Als Begründung dürfte dabei nicht ausreichen, dass junge Menschen für einen sozialen Beruf oder die Bundeswehr gewonnen werden oder das ausbaden sollen, was ihre Eltern und Großeltern an gesellschaftlichem Zusammenhalt und Stärkung der Demokratie nicht auf die Reihe bekommen (Stichwort Generationengerechtigkeit). Hinzu kämen die immensen Kosten für den Aufbau einer Verwaltung, die 700.000 Dienstleistende erfasst, gesundheitlich untersucht, ihren Einsatz überwacht etc. – dies in einer Zeit, wo überall gespart werden soll, nur nicht bei der Bundeswehr. Und ob sich genügend geeignete Einsatzstellen finden lassen würden, wäre zweifelhaft.

So bleibt der Eindruck, dass sich die Befürworter*innen der Wehrpflicht oder eines Pflichtdienstes Aufmerksamkeit für Defizite erhoffen, die sie sehen. Solange eine Bundestagsmehrheit dafür ist, die Stärke der Bundeswehr beizubehalten oder sogar auszubauen, sind dies für Befürworter*innen einer Wehrpflicht primär Rekrutierungsprobleme. Vielleicht haben sie die Hoffnung, dass beispielsweise die Akzeptanz dafür steigt, dass Jugendoffiziere de facto Schulunterricht übernehmen oder die Bundeswehr noch offensiver um junge Menschen buhlt und Minderjährige rekrutiert?

Bezogen auf die Pflichtdienstdebatte bleibt die Hoffnung der Freiwilligendienst-Träger, die von einer massiven Kürzung ihrer Bundesförderung ab 2024 bedroht sind, dass der Bundestag diese um der Glaubwürdigkeit willen zurücknimmt. Perspektivisch wünschen sie sich einen Rechtsanspruch junger Menschen auf einen geförderten Freiwilligendienst. Verbunden mit einer umfassenden Information aller Schulabgänger*innen sowie verbesserter Rahmenbedingungen und größerer Anerkennung würden sich dann vermutlich weitaus mehr junge Menschen freiwillig für ein Jahr sozial, ökologisch oder auch politisch im In- und Ausland engagieren als heute.

Anmerkungen
1 Im Falle eines militärischen Angriffs auf Deutschland würden sich laut einer Umfrage nur rund fünf Prozent der Bundesbürger*innen zum Kriegsdienst melden. Jeder Zehnte wäre zumindest darauf eingestellt, das Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Laut der YouGov-Erhebung im Auftrag der dpa will fast jeder vierte Deutsche im Kriegsfall so schnell wie möglich das Land verlassen. (aus: https://www.deutschlandfunk.de/wehrpflicht-debatte-bundeswehr-100.html)
2 https://cdufraktion-bw.de/wp-content/uploads/2023/04/2023-04-25-Position...

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Jan Gildemeister ist Geschäftsführer der AGDF.