Antifaschismus-Arbeit

Zwei Generationen nach Ende des NS-Regimes

von Ulrich Sander

Der Mainstream-Antifaschismus von heute wendet sich gegen Gewalt und Intoleranz, steht für „Bunt statt Braun“. Es ist gut, dass es diesen Konsens in der Gesellschaft gibt, aber es reicht nicht. Wir brauchen wieder einen Antifaschismus in den Farben „Bunt statt Braun und Olivgrün“. Die sich selbst befreienden Häftlinge von Buchenwald schworen am 19. April 1945 ganz radikal: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig." Mit seinen Wurzeln, d.h. radikal.

Zu den Wurzeln gehören das Rüstungskapital, die uralte Militärtradition und –logik, der Drang nach Absatzmärkten, der jahrhundertealte Antisemitismus, der Rassismus. Wir brauchen die Wiedervereinigung von Antifaschismus und Antimilitarismus. Diese Einheit wurde spätestens 1999 mit dem auch von Deutschen geführten Krieg gegen Serbien zerstört.

Die Neonazis und die anderen Rechtsextremen sind – und da unterscheiden sie sich nicht von der offiziellen deutschen Militärpolitik – für eine starke Bundeswehr, gegen Abrüstung, für den „Kampf um deutsche Interessen“. Sie drängen in die Bundeswehr, allein schon um das „Waffenhandwerk“ im „Ringen für Deutschland“ zu erlernen. Sie sind zahlreich in den Reservistenverbänden vertreten. Sie stehen in der Tradition der Wehrmacht des deutschen Faschismus.

„Gegen eine von der extremen Rechten imaginierte Funktion der Einkreisung als Mittel der Schwächung und Niederhaltung Deutschlands fordert sie Deutschlands ‚Lebensrecht’ und Mission,“ schreibt Fabian Virchow in seiner Studie über „Internationale Beziehungen und Militär in den politischen Konzeptionen der extremen Rechten“, die der Neofaschismusexperte der Universität Düsseldorf unter dem Titel „Gegen den Zivilismus“ herausbrachte (Wiesbaden 2006). Die mit der „kleinstdeutschen Einheit vom Rhein zur Oder“ verbundenen Gebietsverluste werden beklagt: „Was ist schon ein Deutschland ohne Schlesien, Ostpreußen, Österreich oder Südtirol?“ (S. 112 bei Virchow) Die extreme Rechte, so Virchow, strebt mit ihrer Friedensrhetorik die Durchsetzung eines völkisch-arrondierten und mit umfassenden Gewaltmitteln ausgestatteten Groß-Deutschlands an. „Dieses soll nach weitreichender Militarisierung von Militär und Gesellschaft als imperiale europäische Ordnungsmacht und weltpolitisch als Gegenpol gegenüber den USA auftreten.“

Rechte Antikriegsaktionen
Seit acht Jahren begeht die rechte Szene in Dortmund am ersten Septemberwochenende – analog zum Antikriegstag der Friedens- und Gewerkschaftsbewegung - ihren bundesweiten „nationalen Antikriegstag“. Das ist eine der dreistesten „Diskurspiraterien“ – neben der sozialen Demagogie. Denn sie sind wie eh und je für den Krieg, nur nicht für die gegenwärtig von Deutschland mit geführten Kriege, denn diese seien US-amerikanische und israelfreundliche. Muslime mögen sie nicht als Nachbarn, aber als Mitstreiter gegen den „amerikanischen Imperialismus“. Den 11. 9. 2001 haben sie bejubelt.

Erstmals haben sich ältere Antifaschisten im Jahr 2008 diesem Treiben mit sowohl antifaschistischen als auch antimilitaristischen Äußerungen entgegengestellt. Eine „Aktion 65 plus“ führte am 6. September 2008 in Dortmund einen 700köpfigen spontanen Demonstrationszug an. Ihre Erklärung lautete u.a.:

„Aktion 65 plus – Wir haben es erlebt. Nie wieder. Bombennächte. Ständige Angst. Hausdurchsuchungen. Die Eltern im KZ. Verwandte sterben im Krieg. Nachbarn mit dem gelben Stern werden abgeholt. Nachts träumen wir davon. Die Nachfolger der Nazibande, die das verschuldete, erheben wieder ihr Haupt. Jahr für Jahr kommen sie nach Dortmund. Sie rufen „Nie wieder Krieg“ und fügen hinzu: „ ... nach unserem Sieg, dem Sieg des ‚nationalen Sozialismus’“. Das Maß ist voll. Sie reden von Frieden, Antikapitalismus, ja Sozialismus. Das taten Hitler und Goebbels auch. Es kam zum furchtbarsten aller Kriege. Zur schlimmsten Form des Kapitalismus: Nicht nur Ausbeutung durch Arbeit, sondern Vernichtung durch Arbeit. Es kam zur Versklavung und zum Holocaust.“

Bundeswehr als Staat im Staate
Die Bundeswehr war und ist ein Staat im Staate. Ihre Diskurse sind in der Republik unbekannt und werden von den Medien nicht hinterfragt. Rudolf Augstein hat vor 50 Jahren festgestellt: ”Die neue Armee wurde nicht gegründet, um den Bonner Staat zu schützen, sondern der neue Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen die Sowjets ins Feld zu stellen.” Die Generalität der Bundeswehr – es waren im Wesentlichen auch die Hitlers - nahm ihre Arbeit auf, indem sie die Politiker erpresste. Sie sagte vor 62 Jahren in ihrer Himmeroder Denkschrift: Wir wollen eine Ehrenerklärung für die Wehrmacht. Diese erfolgte durch Politik und Medien. Weiter: Wir stellen uns nur zur Verfügung, wenn die neue „Wehrmacht“, so nannten sie diese, uns annimmt, wie wir sind, wenn niemand für die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zur Verantwortung gezogen wird und die Täter sozial abgesichert werden. Die öffentliche Meinung gelte es „umzustellen“. Der große Adenauer erklärte zynisch, woher soll ich all die unbelasteten 18jährigen Generäle nehmen, die ich brauche? Und er nahm auch die Organisatoren des „Bandenkrieges“, wie die Vernichtung von Millionen Juden und Slawen genannt wurde. (Siehe Sander, Macht im Hintergrund – Militär und Politik in Deutschland“, Köln 2004, Seite 52 ff.)

In der Bundeswehr kursieren immer noch Papiere ehemaliger Generale, die die Abkehr von der Distanzierung zur Wehrmacht verlangen. Damals geschahen „Überreaktionen“, wie die Kriegsverbrechen in diesen Papieren genannt werden, und heute können diese wieder geschehen – und die Truppe muss von dem Risiko befreit werden, dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Es hat in Afghanistan unzählige Fälle von Körperverletzungen und Tötungen durch die Bundeswehr gegeben, zahlreiche Frauen und Kinder wurden getötet – und nicht ein einziges Verfahren führten die zuständigen Staatsanwaltschaften gegen Bundeswehrsoldaten durch. Das Massaker von Kunduz soll ebenfalls ohne Konsequenzen bleiben.

Neue Formen der Militarisierung
Militarismus und Demokratie schließen sich gegenseitig aus. Mit den Notstandsgesetzen von 1968 wurde festgelegt, die Bundeswehr auch gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen, wenn der Spannungsfall es verlangt und die eigene Bevölkerung sich nicht mehr fügt. Junge Menschen haben sich diesem Militarismus durch Kriegsdienstverweigerung entzogen. Die Wehrpflicht der Reservisten wurde 2005 auf das Alter von 60 Jahre verlängert. Mittels zivilmilitärischer Zusammenarbeit im Inneren wie Äußeren sollen die Reservisten verfügbar gehalten werden. Die Wehrpflicht wurde für die Reservistenjahrgänge ab 1951 beibehalten, nur ab Jahrgang 1993 wurde sie „ausgesetzt“. Neue Formen der Militarisierung der Jugend werden erprobt.

Heute engagieren sich weit weniger Menschen in Deutschland für den Frieden, als es vor 1989 der Fall war. Bemerkenswert ist gar die mangelnde Bereitschaft, die wirklich ernsten sozialen Probleme mit der Abrüstungsfrage in Verbindung zu bringen. So erklärten in einer Leipziger Studie (vorgelegt 2008 von Prof. Dr. Elmar Brähler, dem Leiter der Selbständigen Abteilung für Medizinische Psychologie und Soziologie der Universität Leipzig) trotz der grundsätzlichen Ablehnung von Kriegen 44 Prozent der Ostdeutschen, die Bundeswehr solle mit besserer Technik ausgerüstet werden, was lediglich 23 Prozent rundweg ablehnten (Westdeutschland: 36 zu 25 Prozent). Die Arbeitsplatzsicherheit in der Rüstungsindustrie scheint vielen wichtiger zu sein als die Bewahrung und Schaffung sozialer Standards durch Abrüstung. Ein Drittel der Menschen in Ostdeutschland (35 Prozent) meinte zudem, dass Krieg ethisch gerechtfertigt sein könne, um Freiheit und Menschenrechte zu schützen. Dieser Aussage stimmten nur 27 Prozent der befragten Westdeutschen zu. Das schwierige Verhältnis zum Militär wurde auch darin deutlich, dass 40 Prozent der Ostdeutschen meinten, der Staat müsse über militärische Stärke verfügen, um bei internationalen Konflikten glaubhaft verhandeln zu können. Im Westen schlossen sich nur 33 Prozent dieser Aussage an.

Dies sind nationalistische und rechte Positionen, die sich in der Leipziger Studie äußern. Sie müssen in Beziehung gesetzt werden zu den rund 20 Prozent Deutschen, die ein mehr oder weniger geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben.

Antifaschistischer Protest
Es ergab sich, dass im September vor vier Jahren nicht nur in Stuttgart und Berlin für den Frieden und den Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan demonstriert wurde, sondern auch in Köln gegen ein internationales Treffen von Rassisten und Ausländerfeinden, die sich auf Einladung der rechtsextremen „pro NRW“-Bewegung eingefunden hatten, um sich unter dem Vorwand der Islamkritik und der Ablehnung von Moscheen für die nächsten Wahlen zu positionieren. Über 50.000 Menschen aus Nordrhein-Westfalen bereiteten dem rechten Treffen eine schwere Niederlage.

Antifaschistischer Protest wird also stärker, antimilitaristischer schwächer? Das könnte man meinen. Es muss aber auch beachtet werden, dass „pro NRW“ auf einer Welle schwimmt mit jener kriegshetzerischen Position der Mitte, die unter dem Vorwand des Kampfes gegen den islamistischen Terrorismus für den Krieg agiert. Antifaschistischer Protest wird also damit auch zum Friedensengagement.

Schlussbemerkung
Ich möchte diesen Beitrag für das „Friedensforum“ dem jungen Christen Heinrich Glasmacher und 13 seiner Kameraden widmen. Am 5. Mai 1945 starben er, der 21jährige Bootsmannsmaat aus Neuss, und etwas später seine Kameraden als letzte Widerstandskämpfer. Das Mitglied der katholischen Jugend wurde mit Billigung der Briten, die seine Einheit schon gefangen genommen hatten, von Deutschen erschossen, weil er den Matrosenaufstand auf dem Minensuchboot M 612 Nahe der schleswig-holsteinischen Küste angeführt hatte. Er und seine Kameraden wollten nicht nach Ostpreußen fahren, um weiter gegen den „Bolschewismus“ – nun mit Billigung der Briten – zu kämpfen. Die Ermordeten wollten Frieden. Sie wurden die ersten Toten im sich abzeichnenden Kalten Krieg. Wir sollten ihrer in den gemeinsam handelnden Antifa- und Friedensbewegungen von heute gedenken.

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Ulrich Sander ist Bundessprecher der VVN-BdA.