Herbsaktivitäten 88

von Werner Rätz

Die notwenige Kürze dieses Beitrags erlaubt keine ausführliche. Analyse aller Aktionen dieses Herbstes. Die angesprochenen Punkte bleiben notwendig skizzenhaft.  

Das Ausfälligste an den diesjährigen Herbstaktionen war, daß sie kaum auffielen, Selten wurde mit so viel Aufwand-so wenig in Bewegung gesetzt.

Das gilt für die verschiedensten Bereiche, von der Beeinflussung der öffentlichen Diskussion bis hin zur quantitativen Beteiligung, und für alle Aktionen, von Böblingen bis zur Aktions-konferenz Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz. Es ist auch weitgehend unabhängig von den Trägerbündnissen, ob dem KA. wie in Linnich oder regionalen Bündnissen wie in Hamburg. Die Themen spielen ebenfalls kaum eine Rolle, ob Militärachse Bonn-Paris wie in Böblingen oder "3.Welt"/Rüstungsexporte wie in Eschborn. Einzige  Ausnahmen in allen Aspekten waren die Aktionen gegen die IWF/Weltbank-Tagung in Westberlin.

Das ist. kaum damit zu erklären, daß es .eine in der Tat sorgfältige Vorbereitung gab - das. gilt auch für manche andere Aktion. Auch die Tatsache, daß es die einzigen Aktionen in Berlin wa-ren, während überall anders viele Sachen stattfanden, reicht nicht zur Erklärung: auch in Berlin gab es eine . Vielzahl von Veranstaltungen, die nur deshalb stattfinden konnten, weil nicht nur zur Demo weit überdurchschnittlich erfolgreich mobilisiert  werden könnte. Die Unterschiede liegen woanders.

Von Anfang an wurde die Mobilisierung von einer noch halbwegs funktionierenden Struktur von "3.Welt"Gruppen getragen. Diese suchten eine scharfe politische Zuspitzung, was ihnen nicht zuletzt dadurch erleichtert  wurde, daß es einen von außen gegebenen, unmittelbar einleuchtenden Anlaß gab, warum gerade zu dem Zeitpunkt an . dem Ort etwas geschehen sollte.  Zusätzlich sind bei aller vorhandenen politischen Vielfältigkeit die Illusionen darüber, was man von diesem imperialistischen Staat BRD erwarten darf, in der "3.Welt"-Bewegung sehr viel kleiner als in der Friedensbewegung. Das stärkt die Bereitschaft und Fähigkeit, Dinge beim Na-men zu nennen.

Schließlich mobilisierten Senat und Bundesanwaltschaft zusätzliche Unterstützung aus Gründen prinzipieller Verteidigung demokratischer Rechte. Diese Situation der Zuspitzung und Konfrontation, auch der damit  verbundene Streit mit sozialdemokratischen Bündnispartnern, wirkte mobilisierend und nicht abschreckend. Sie schuf Aufmerksamkeit und neue Gründe, sich zu beteiligen.

In puncto Anlaß und Medienaufmerksamkeit war Linnich natürlich nicht vergleichbar, aber Zuspitzungsmöglichkeiten gab es auch dort genug. Sie wurden aus vielen Gründen nicht ge-nutzt: Es gab eine völlige Blockade der Sozialdemokratie, weil sie keine Nato Kritik wollte. Die DKP las ihr auch diesen Wunsch von den Augen ab, teilweise formulierte sie sogar noch schärfere Töne.. Diese Strömungen verbindet eine fast zwanghafte Vorstellung, daß die Friedensbewegung "Mehrheitsbewegung" sein müsse. Ein Kampf um Mehrheiten aus einer Minderheitenposition  heraus ist  ihnen fremd. So wurde auf Harmonie gemacht, wo es gegolten hätte zu polarisieren.

Stattdessen richtete sich die DKP im KA gegen alle, diewenigstens Reste des Anspruchs einlösen wollten, "Radikalität in den Inhalten" zu suchen. Das be- und verhinderte lange Zeit . auch jede praktische Mobilisierung. Die Besetzung der AG-Linnich mit nicht entscheidungsbefugten Men-schen und die öffentliche Rücknahme von deren Absprachen ist nicht aus dein Zustand innerer Auflösung der DKP zu erklären. Dahinter steckte die Absicht, Linnich nicht zu einer Aktion mit "linkem" Image werden zu lassen - dann schon lieber klein und fein.

Zwar nicht von der praktischen, aber von der inhaltlichen Seite war  es in Böblingen ähnlich. Die militärische Zusammenarbeit mit Frankreich wäre ein höchst aktuelles Thema, das sich für eine scharfe . Auseinandersetzung mit den Aufrüstern geradezu aufdrängt. Ein solcher Versuch brächte notwendig Konflikte mit der SPD, die ja ausdrücklich französische Atomwaffen nur kritisiert, wenn sie nicht tief genug ins Gebiet der WVO reichen. Das ist auch den Sozialdemokraten im KA bekannt, einige (wie Wolfgang Biermann) sind an den entsprechen. den SPD internen Absprachen direkt beteiligt Deren Schonung verträgt sich nicht mit der Kritik französischer Aufrüstung. Also scheuen Teile der Friedensbewegung davor zurück wie der Teufel vor dem Weihwasser, dieses Thema zugespitzt in den Vordergrund zu rücken. In Böblingen ließen sie Katrin Fuchs sprechen, die im Bundestag einem deutsch-französischen Protokoll zustimmen will, das die atomare Abschreckung festschreibt.

Die Tendenz, Aktionen nicht von der Sache her, sondern von ihrer Verträglichkeit mit sozialdemokratischen Regierungsambitionen zu betrachten, war in diesem Herbst, durchgängig. So kann es nicht verwundern, daß die Friedensbewegung zunehmend handlungsunfähig wird und reale Aufrüstung wie nach dem INF-Abkommen als Beginn einer neuen Epoche der Abrüstung bejubelt. Wer braucht schon eine solche "Bewegung'?

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Werner Rätz ist aktiv bei der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn und für diese im Koordinierungskreis von Attac Deutschland, ebenfalls im Blockupy-Kokreis. Webseite: www.werner-raetz.de