Perspektiven der Friedenspolitik

Wie sich eine Friedenspolitik gegen Terrorismus und Krieg verhalten sollte

von Thomas Carl Schwoerer
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Der gefährlichste Bundeswehreinsatz findet in Mali statt. Der Bundestag hat im Mai die Bundeswehr-Beteiligung an der UN-Mission MINUSMA verlängert – bis zum 31. Mai 2022 und wie bisher mit bis zu 1.100 Soldat*innen. Darüber hinaus können künftig bis zu 600 statt vorher 450 Bundeswehr-Soldat*innen an der EU-Truppenausbildungsmission EUTM in Mali teilnehmen. Deutschland hat seit Juli die Führung des Einsatzes übernommen und wird in der zweiten Jahreshälfte ein militärisches Ausbildungszentrum eröffnen. „Der Schwerpunkt des sicherheitspolitischen Engagements der Bundeswehr verlagert sich in rasantem Tempo von Afghanistan in Richtung Sahelzone", sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johann Wadephul.

Die UN-Mission MINUSMA mit mehr als 18.000 Entsandten dient der Sicherung eines Waffenstillstands und ist die weltweit gefährlichste „Peacekeeping“-Operation, mit bisher 241 getöteten Blauhelmsoldat*innen. Darunter könnten künftig auch deutsche Soldat*innen sein, wie der erste große Terroranschlag auf die Bundeswehr in Mali Ende Juni gezeigt hat. Unmittelbar danach hat die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen in einer Presseerklärung den Abzug der Bundeswehr aus Mali und Verhandlungen mit den dortigen Dschihadisten gefordert, um weitere Anschläge oder die Tötung von Blauhelmsoldat*innen zu verhindern.

Der Ende Mai vom Militär gestürzte Premierminister Malis, Moctar Ouane, und Burkina Fasos Premierminister Christophe Dabiré, so diese Presseerklärung, drängten bzw. drängen auf solche Verhandlungen – Dabirés Regierung hat sie schon auf örtlicher Ebene erfolgreich durchgeführt. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lehnen sie hingegen ab. Macron hat nicht zuletzt als Druckmittel dagegen den hälftigen Abzug der 5.100 französischen Soldat*innen und das schrittweise Ende des Antiterroreinsatzes Barkhane verkündet – auch weil 57 französische Soldat*innen dabei umkamen und sich die Terrorgruppen schnell nach Niederlagen regenerieren. Zugleich starben letztes Jahr mehr malische Zivilist*innen durch einheimische Sicherheitskräfte als durch Dschihadisten, und in Burkina Faso, Mali und Niger kamen fast 6500 Zivilist*innen um. Nach einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung Ende 2019 waren fast 80 Prozent der Malier*innen nicht mit MINUSMA zufrieden.

Mali ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der seit 20 Jahren geführte Krieg gegen den Terror, der laut Edward Snowden eine Million Menschenleben gekostet hat, gescheitert ist, und dass es keine Alternative zu Verhandlungen auch mit den Dschihadisten in den jeweiligen Ländern gibt. Die stattdessen angewendete Doktrin von Härte und Gnadenlosigkeit etwa durch Bombardements führt nur zu vielen zivilen Opfern, neuen Rekruten für den Terror, die sich für die Opfer rächen wollen, und Anschlägen auch in Europa.

In Mali steht eine politische Lösung noch aus. Die Vereinbarung von 2014, die dem von MINUSMA zu sichernden Waffenstillstand zwischen Tuareg-Rebellen und Regierung zugrunde liegt, ist extrem wackelig und kurzfristig angelegt. Seit den 1960er-Jahren fordern die Tuareg im Norden Malis einen unabhängigen Staat. Doch nicht einmal föderale Strukturen, die Anerkennung ihrer kulturellen Eigenständigkeit und der Zugang zu grundlegenden sozialen Leistungen stehen zur Diskussion. Solange es keine politische Lösung gibt, die diese Anliegen der Bevölkerung im Norden berücksichtigt, sind ein Waffenstillstand und seine militärische Sicherung völlig unzulängliche Ersatzhandlungen.

Eine solche politische Lösung unter Einbeziehung aller beteiligten Parteien, also auch der Dschihadisten, wäre für die Bevölkerung besser. Die umfangreichen Gold-, Phosphat-, Öl-, Gas- und Uranvorkommen in Mali könnten durch Verständigung und Verhandlungen dann zum Vorteil aller Akteure statt unter dem Druck militärischer Mittel abgebaut werden.

Gegen die Forderung nach Verhandlungen mit Dschihadisten wird eingewendet, dass man mit Verbrechern nicht verhandeln könne, die im Übrigen gar nicht verhandeln wollten.
Aber können wir uns darüber so sicher sein? In der langen Geschichte von Behauptungen über Terrorgruppen wie der allesamt skrupellosen und brutalen IRA in Nordirland, den  Taliban in Afghanistan und der FARC in Kolumbien, kehrt das Muster immer wieder, sie seien so übel, dass man nicht mit ihnen verhandeln könne. Außerdem wollten sie gar nicht verhandeln. Schließlich kam es regelmäßig doch zu Verhandlungen, aber erst nach langer Zeit und dem unnötigen Tod Tausender von Menschen. Da wäre es nicht nur aus pazifistischer Sicht sehr wichtig, Menschen am Leben zu lassen und frühestmöglich solche Verhandlungen einzuleiten. Es müssen doch nicht wie in Kolumbien vorher 50 Jahre vergehen mit Hunderttausenden Toten! Die Beweislast liegt deshalb bei denen, die behaupten, dass Verhandlungen nicht möglich seien.

Im Übrigen ist die Eskalation in Mali seit 2014 eine Folge des von Frankreich maßgeblich geführten und gescheiterten Krieges in Libyen sowie der enormen Klimaschwankungen in Mali. Letztere lassen sich nicht militärisch lösen, sondern nur mit einer Klimapolitik, die die bisher in Rüstung investierte Mittel benötigt.

Realistische Friedenspolitik
Außerdem sollten wohlhabende Staaten die Länder des gesamten Krisenbogens von Marokko bis Pakistan wirtschaftlich und damit auch politisch stabilisieren, Mächte wie Saudi-Arabien davon abhalten, terroristische Gruppen weiterhin zu unterstützen und Rüstungsexporte unterlassen, die über kurz oder lang in die Hände solcher Gruppen gelangen. Sie sollten die Bevölkerung für sich gewinnen, statt diese und ihre Schulen und Krankenhäuser etwa in Mossul und Rakka zu bombardieren und Mossul dem Erdboden gleichzumachen – ein Wiederaufbau ist nicht in Sicht. Militärische Lösungen sind eine Illusion, die von Hilflosigkeit und altem Denken zeugt. Der Islamische Staat hat zwar seine Territorien verloren, ist aber „noch nicht“ geschlagen, so Regierungssprecher Seibert im Juli 2019. In Syrien und im Irak halten sich ca. 30.000 IS-Kämpfer auf. Hinzu kommen jene in anderen Weltgegenden sowie weitere Terrorgruppen.

Es ist ein realistisches Ziel, Terrorist*innen zu isolieren und ihre potenziellen Rekrut*innen gegen sie zu immunisieren. Einen Krieg gegen den Terrorismus als solchen führen und gewinnen und ihm „Rückzugsräume“ nehmen zu wollen – eine häufig strapazierte Begründung für Auslandseinsätze - , ist es hingegen nicht. Terrorgruppen können auch ohne diese „Rückzugsräume“ jederzeit einen Kämpfer in irgendein Café schicken und eine Bombe zünden lassen.

Gewiss lassen sich Terroranschläge besser als bisher verhindern. Die Haupttäter der Brüsseler Anschläge von 2016 waren bereits zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt, die sie nicht verbüßt haben – sie hätten im Gefängnis sitzen müssen. Letzteres gilt auch für den Attentäter von Berlin. Wir brauchen EU-weite Regeln und Zusammenarbeit für die Suche nach Terrorist*innen und für den Austausch von polizeilichen und geheimdienstlichen Informationen. Bisher ist stattdessen die Polizeibehörde Europol weit entfernt von echter Schlagkraft, was nicht verwundern kann: Nur 5 von 28 Ländern teilen ihre Erkenntnisse mit allen europäischen Partnern. Deutschland zählt nicht zu diesen fünf.

Friedenspolitik und politischer Pazifismus sind weitaus realistischer als die sogenannte „Realpolitik“. Wie der amerikanische Schriftsteller und Weltkriegsveteran Norman Mailer sagte: „Krieg zu führen, um wieder etwas in Ordnung zu bringen, taugt genauso viel wie ein Bordellbesuch, um eine Geschlechtskrankheit zu kurieren.“

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