NATO-Gipfel

Aktionen der internationalen Friedensbewegung in Lissabon

von Andreas Speck
Initiativen
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Am 19. und 20. November 2010 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der NATO in Lissabon, um ein neues strategisches Konzept der NATO zu verabschieden. Parallel zum Gipfel fanden zahlreiche gewaltfreie Protestaktionen statt.

Samstag, 20. November 2010, 9 Uhr morgens. Von verschiedenen Richtungen her nähern sich etwa 80 Personen der Kreuzung Avenida de Padua, einer der Zufahrtsstraßen zum NATO-Gipfel, mit der Avenida Infante Dom Henrique. Innerhalb weniger Minuten sitzen sie auf der Straße, und einige von ihnen sind in Dreiergruppen am Fuß mit Fahrradschlössern verbunden. Drei AktivistInnen aus Spanien, gekleidet in smarten Anzügen, übergießen sich mit roter Farbe, und liegen dann vor einem großen Transparent mit der Aufschrift „NATO – Game over“. Es ist geschafft – diese Zufahrt zum Gipfelgelände ist damit effektiv blockiert.

Mit dieser unangekündigten gewaltfreien Aktion zivilen Ungehorsams protestierte ein internationales Netzwerk antimilitaristischer Gruppen aus Belgien, Deutschland, England, Frankreich, Portugal, Schweden und Spanien, mit TeilnehmerInnen aus weiteren Ländern, gegen den NATO-Gipfel und den Krieg in Afghanistan. Auch wenn die portugiesische Polizei die Blockade recht schnell und unsanft räumte, wobei 45 Personen vorübergehend festgenommen wurden (alle Festgenommenen wurden am Abend und in der Nacht wieder freigelassen), so wurde die Aktion doch von allen Beteiligten als Erfolg gewertet.

Die Aktion war für die Beteiligten der Höhepunkt zahlreicher kreativer gewaltfreier Aktionen, die in Lissabon im Vorfeld und während des NATO-Gipfels stattfanden. In einem Land, in dem es wenig Tradition gewaltfreier Aktion gibt, und in dem soziale Bewegungen auch heute noch mit dem Hegemonieanspruch der Kommunistischen Partei Portugals und ihrer Frontorganisationen zu kämpfen haben, war es ein wichtiges Ziel der gewaltfreien Gruppen, andere Aktionsformen zu etablieren, und somit eine Wirkung über den eigentlichen Anlass hinaus zu erreichen.

Schwierigkeiten im Vorfeld
Der Weg zu den Anti-NATO-Aktionen in Lissabon war mit zahlreichen Hindernissen versehen, und das galt sowohl für die eher traditionellen, vom International Co-ordination Committee No to War – No to NATO (ICC) organisierten Aktionen wie den Gegengipfel, als auch für die Aktionen Zivilen Ungehorsams. Seit der Berliner Anti-NATO-Konferenz vom Oktober 2009 war an der Vorbereitung gearbeitet worden, und ein erstes Treffen fand bereits im Dezember 2009 in Lissabon statt. Bereits damals zeichnete sich ab, dass es schwierig sein würde, eine Kooperation mit dem von der KP Portugals kontrollierten Portugiesischen Rat für Frieden und Zusammenarbeit (CPPC) zu begründen – etwas, das sich am Ende als unmöglich erweisen würde.

Ursprünglich war vom ICC geplant, in Zusammenarbeit mit seinem portugiesischen Partner PAGAN einen „Friedensplatz“ als permanente öffentlich sichtbare Präsenz im Zentrum Lissabons, sowie einen Gegengipfel zu organisieren, sowie sich an der Demonstration der von der CPPC gegründeten Kampagne ‚Paz sim! NATO não!’ zu beteiligen. Erhebliche organisatorische und interne politische Probleme führten am Ende jedoch dazu, dass der Friedensplatz nicht verwirklicht werden konnte. Und auch wenn der Gegengipfel nicht so gut besucht war, wie es gewünscht war, so war er inhaltlich dennoch wichtig und erfolgreich.

Die OrganisatorInnen der Aktionen Zivilen Ungehorsams – darunter PAGAN sowie CAGA aus Porto (die Umbenennung der Gruppe in Porto erfolgte kurz vor dem Gipfel als Ergebnis interner Auseinandersetzungen innerhalb von PAGAN), War Resisters' International, Vredesactie/Bombspotting aus Belgien, und die spanische WRI-Sektion Alternative Antimilitarista – Moc – hatten mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. So z.B. gab es in Portugal keine Erfahrungen mit ähnlichen Aktionen, was die Entwicklung von Aktionsideen und die Planung erheblich erschwerte. So wurde erst Mitte Oktober während eines Treffens in Lissabon entschieden, eine Blockade vorzubereiten. Logistische Unklarheiten kamen hinzu. Erst zwei Wochen vor dem Gipfel war klar, dass es ein Aktionscamp in einer Lagerhalle sowie einen Ort für die notwendigen Aktionstrainings geben würde.

Repression
In den Wochen vor dem Gipfel begann eine Diffamierungskampagne in den portugiesischen Medien, in der PAGAN und dem ICC die Vorbereitung von Gewalt und „Chaos“ vorgeworfen wurden. Dies wurde unglücklicherweise von der KP Portugals und der CPPC unterstützt. Das Drohbild eines imaginären „Schwarzen Blocks“ wurde genutzt, um die Aussetzung des Schengen-Vertrages für die Zeit des Gipfels (und einige Tage davor) zu rechtfertigen, sowie für die portugiesische Polizei neue Aufstandsbekämpfungsmittel anzuschaffen.

Am Ende wurden mehr als 200 Personen an der Grenze zu Portugal abgewiesen – darunter Lukas Wirl, Mitglied von IALANA und einer der zentralen OrganisatorInnen des Gegengipfels, Mitglieder von AA-MOC, sowie ein Bus der finnischen WRI-Sektion AKL mit 35 finnischen AntimilitaristInnen.

Tiefpunkt der Repression war jedoch die Zusammenarbeit zwischen der Kampagne ‚Paz sim! NATO não!’ und der Polizei, um AktivistInnen von PAGAN und andere „unerwünschte Elemente“ aus der Demonstration herauszuhalten. In einem Polizeikessel mussten sie einige Meter hinter der „offiziellen“ Demonstration ihren Protest zum Ausdruck bringen. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten und Konflikte zwischen PAGAN und dem ICC auf der einen Seite, und der KP Portugals, CPPC bzw der Kampagne ‚Paz sim! NATO não!’ auf der anderen Seite darf es so etwas schlicht und einfach nicht geben. Hier zeigt sich, wie schwer sich die KP Portugals damit tut, den Verlust ihrer Hegemonie in der portugiesischen Linken zu akzeptieren, und konstruktiv an der Sache orientiert mit anderen zusammenzuarbeiten.

Der Gipfel
Während die Anti-NATO-Bewegung auf der Straße oder beim Gegengipfel ihren Protest und ihre Alternativen zum Ausdruck brachte, berieten im Palast der Nationen die Staats- und Regierungschefs der NATO über den Krieg in Afghanistan, Raketenabwehr, und das neue strategische Konzept der NATO. Was am Ende beschlossen wurde, bestätigt im wesentlichen die Kritik der Friedensbewegung, zeigt aber auch in häufig vagen Formulierungen, dass es innerhalb der NATO erhebliche Meinungsverschiedenheiten gab und gibt, die mit den neuen Konzept nicht gelöst, sondern lediglich zugekleistert werden.

So bekennt sich die NATO zwar in ihrem neuen strategischen Konzept dazu, „die Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen zu schaffen“, bekräftigt aber gleichzeitig, „dass die NATO ein nukleares Bündnis bleiben wird, solange es Kernwaffen in der Welt gibt.“ Die nukleare Teilhabe von Nicht-Atomwaffenstaaten wie z.B. Deutschland am Einsatz von auf ihrem Territorium stationierten US-Atomwaffen (Büchel) wird noch nicht einmal erwähnt.

Ebenso spricht die NATO davon, Sicherheit „auf dem niedrigst möglichen Streitkräfteniveau“ zu gewährleisten. Wie dies mit der Tatsache zu vereinbaren ist, dass mehr als 70% aller globalen Rüstungsausgaben auf die NATO-Länder entfallen, bleibt unklar.

Während die neue NATO-Strategie einerseits in Sachen NATO-Mitgliedschaft mehrmals betont, dass diese für alle demokratischen europäischen Staaten offen bleibt (und damit scheinbar einer globalen NATO eine Absage erteilt), so wird doch an mehren Stellen die Bedeutung der „globalen Partner“ der NATO „rund um den Globus“ betont, die auch stärker in die Entscheidungen zu den NATO-Operationen, an denen sie beteiligt sind, einbezogen werden sollen.

Andere zentrale Punkte des Konzeptes sind die Entwicklung einer zivilen Interventionskapazität der NATO (wenn auch bescheiden), und die Stärkung zivil-militärischer Zusammenarbeit. Die künftige Zusammenarbeit mit dem „strategischen Partner“ Europäische Union ist ebenfalls so neu und erschreckend im Strategischen Konzept, bestätigt sie doch die Kritik der Friedensbewegung am Lissabon Vertrag der EU.

Die Bedrohungsanalyse des Konzeptes ist ausufernder als je zuvor, und bleibt extrem vage. Terrorismus, „Krisen und Konflikte“ überall auf der Welt, Terrorismus, Angriffe auf Computernetze, Rohstoffe und ihre Transportwege, sowie die Auswirkungen von „Gesundheitsrisiken, Klimawandel, Wasserknappheit und steigende[m] Rohstoffbedarf“ sind Teil der Bedrohungen, denen die NATO begegnen muss.

In einem Treffen zwischen der NATO und Afghanistan bekräftigte die NATO ebenfalls ihre Verpflichtung gegenüber Afghanistan, und betonte, dass ein Truppenabzug nicht an einem Datum festgemacht werden kann.

Wichtiger als die konkreten Entscheidungen sind aber vielleicht die vielen offenen Fragen, die sich in den zahlreichen in der Abschlusserklärung erwähnten Arbeitsaufträgen widerspiegeln. Die Details eines NATO-Raketenschildes sollen im nächsten Jahr auf den Treffen der Verteidigungsminister (März 2011 und Juni 2011) weiter diskutiert werden. Das gleiche gilt für die Partnerschaftsmechanismen der NATO, die „leistungsfähiger und flexibler“ werden sollen, um im April 2011 von den NATO-Außenministern in Berlin weiter diskutiert zu werden. Dies sind nur zwei Beispiele, die zeigen, dass das neue strategische Konzept der NATO nicht wirklich widerspiegelt, was außen drauf steht. Es ist zu bezweifeln, dass dieses Strategische Konzept wirklich für die nächsten zehn Jahre Bestand hat. Doch ein neues Konzept war öffentlich angekündigt worden, und so musste auch etwas verabschiedet werden.

Die NATO ist weiterhin im Wandel, und entwickelt sich globaler und aggressiver, trotz aller Lippenbekenntnisse zu Abrüstung und Frieden.

Ausblick
Der nächste NATO-Gipfel wird im Jahr 2012 in den USA stattfinden. Für die Anti-NATO-Bewegung ist es aber wichtig, nicht nur zu Gipfeltreffen aktiv zu sein, sondern permanent an der Entlegitimierung der NATO zu arbeiten.

Im April 2011 wird in Dublin eine Anti-NATO-Konferenz des ICC stattfinden, in der auf europäischer Ebene (und mit Einbeziehung der USA) über die Weiterarbeit gegen die NATO diskutiert werden wird. Die antimilitaristischen Gruppen aus dem Umfeld der WRI planen für Juli 2011 ein Aktionscamp und Seminar in Luleå im Norden Schwedens, um mit Aktionen auf den auch von der NATO genutzte NEAT-Übungsplatz aufmerksam zu machen, in dem unter anderem der Einsatz von Drohnen geübt wird.

Neben internationalen Aktivitäten ist es aber wichtig, den Widerstand gegen die NATO in der lokalen Friedensarbeit zu verankern. Der Krieg in Afghanistan ist für die NATO kein Ausnahmefall, sondern zeigt deutlich, wofür die NATO auch in Zukunft stehen wird: Tod, Zerstörung, Sicherung westlicher Hegemonie und Dominanz. Frieden ist mit der NATO nicht zu haben.

Weitere Informationen:
ICC: http://no-to-nato.org

WRI gegen NATO: http://wri-irg.org/de/campaigns/nato-abschaffen

Die WRI ist für ihre Arbeit auf Spenden angewiesen. Spenden in Deutschland (steuerabzugsfähig) sind möglich auf folgendes Konto: Förderverein War Resisters' International e.V., Konto-Nr. 11787613, Kasseler Sparkasse, BLZ 520 503 53

Kampagne «Paz sim! NATO não!»: http://www.pazsimnatonao.org/de/category/paz-sim-de/

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Andreas Speck war Pressesprecher von Action AWE während des Burghfield Disarmament Camp. Seit Mitte September lebt er in Sevilla und engagiert sich im Red Antimilitarista y Noviolenta de Andalucia (RANA). mail@andreasspeck.info, http://andreasspeck.info