Der Südkaukasus

Die NATO hat festen Tritt gefasst

von Bernhard Clasen

Afghanistan ist weit. Und wer in einem Land am anderen Ende der Welt Krieg führen will, hat meistens ein Problem mit dem Nachschub. Gerade jetzt, wo die NATO-Truppen weiter aufgestockt werden, gilt es, alles zu tun, um diesen Nachschub sicherzustellen. Und so erklärt sich auch die geradezu hektische Reisetätigkeit von NATO-Offiziellen in die Nachbarstaaten Afghanistans in Zentralasien, aber auch die Republiken des Südkaukasus. Im sog. Kampf gegen den Terror werden Staaten hofiert, die selbst grausame Regime sind, die sich aber von ihrer geographischen Lage und strategischen Bedeutung als Partner geradezu anbieten. Einer „unserer“ neuen Freunde ist Usbekistan, wo die Bundeswehr in der Grenzstadt Termez einen festen Stützpunkt betreibt. In Usbekistan werden jedes Jahr die meisten Schulkinder zu Zwangsarbeit in die Baumwollfelder geschickt, wo sie Entlaubungsgiften ausgesetzt sind und unter unmenschlichen Bedingungen in der Ernte eingesetzt werden. Ein weiterer Freund ist Armenien, wo 2008 zehn Demonstranten erschossen wurden, als die Regierung auf eine friedliche Demonstration schießen ließ. Deutschland übernimmt fast sämtliche Kosten von 40 armenischen Soldaten, die ab Frühjahr 2010 in Afghanistan eingesetzt werden sollen.

Am 27. Januar 2010 hatten der NATO-Chef, Anders Fogh Rasmussen, und der Außenminister Kasachstans einen Transit von NATO-Truppen und Waffen über Kasachstan nach Afghanistan vereinbart.

Im Juli 2009 hatte US-Präsident Obama bei seinem Russland-Aufenthalt eine Vereinbarung über den Transit von US-amerikanischen Militärgütern über Russland nach Afghanistan unterschrieben. Gleichzeitig lehnt Russland jedoch eine Beteiligung am Krieg in Afghanistan ab. Dies geht aus einer Erklärung von Nikolaj Patruschew, dem Sekretär des russischen Sicherheitsrates am 9. Februar 2010, hervor.

In derselben Erklärung warnte Patruschew vor einer weiteren NATO-Osterweiterung. "Die NATO ist für uns eine Bedrohung, eine sehr ernsthafte“, so Patruschew. Auf die Frage, ob die Erweiterung der NATO Russland sicherer mache, antwortete Patruschew: „Da haben wir tiefe Zweifel.“

Früher, so Patruschew, habe man doch versprochen, dass man die NATO nicht erweitern werde. Doch inzwischen habe sich seit dem Auseinanderbrechen des Warschauer Paktes die Zahl der NATO-Mitgliedsstaaten mehr als verdoppelt, von 12 auf 28 Staaten.

Insbesondere die Länder der Allianz, so Patruschew, hätten Georgien für einen Überfall auf Abchasien und Südossetien aufgerüstet. Und man fahre fort in der Aufrüstung des Regimes von Saakaschwili. „Doch warum nur? Wollen sie, dass erneut ein Angriff stattfindet? Nun, wenn sie es nicht wollen, brauchen sie es (gemeint ist Georgien, bc) doch auch nicht weiter mit Rüstung zu beliefern. Wir jedenfalls planen keinen Angriff.“ so Patruschew.

Im Folgenden sollen insbesondere die drei südkaukasischen Republiken und ihre Rolle in der NATO-Strategie beleuchtet werden.

Aserbaidschan
Am 4. Mai 1994 hatte Aserbaidschan als einer der ersten OSZE-Staaten ein Rahmendokument zur Mitwirkung im NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“ unterzeichnet. In einem weiteren Schritt wurde 1996 die konkrete Ausgestaltung dieser „Partnerschaft für den Frieden“ festgelegt. Am 3. August 2005 unterzeichnete Aserbaidschans Präsident Ilcham Aliew das individuelle Partnerschaftsprogramm (IPP) mit der NATO. Von 2003 bis 2008 waren 150 aserbaidschanische Soldaten unter den NATO-Besatzungsgruppen im Irak; derzeit befinden sich hundert aserbaidschanische Soldaten in Afghanistan.

Das wegen seiner reichen Ölvorkommen und seiner geographischen Lage für Russland und die USA wichtige Aserbaidschan, das sich von Russland weitgehend gelöst hat, erhofft sich von seinen guten Kontakten zu den NATO-Staaten eine Stärkung seiner Position gegenüber Russland und den Nachbarn Iran und Armenien. In einem mehrjährigen Krieg mit Armenien hatte Anfang der 90er-Jahre zehntausende Armenier und Aserbaidschaner ihr Leben verloren. Wenige Tage nach Eintritt in die „Partnerschaft für den Frieden“ schlossen Armenien und Aserbaidschan am 12. Mai 1994 einen bis heute gültigen Waffenstillstand. So haben die NATO-Länder auch ein Druckmittel in der Hand. Der Konflikt um das Gebiet Nagornij Karabach mit Aserbaidschans armenischem Nachbarn ließe sich jederzeit wieder anheizen.

Die USA und die anderen NATO-Staaten erhoffen sich, über Aserbaidschan Druck auf den Iran ausüben zu können. In einem Krieg mit dem Iran wäre Aserbaidschan für die USA ein ideales Aufmarschgebiet. Allerdings hat Aserbaidschans Präsident Aliew wiederholt wissen lassen, dass er bei einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Iran keine kriegführenden Truppen in seinem Land dulden werde. Ob er sein Wort halten würde, bleibt abzuwarten.

Aserbaidschans Mitwirkung bei den ISAF-Truppen in Afghanistan ist für die NATO eher von symbolischer und politischer Bedeutung.

Armenien
Vierzig Soldaten aus Armenien werden demnächst nach Afghanistan entsandt, wo sie unter deutschem Kommando als Teil der ISAF-Truppen unter anderem den Flughafen von Kundus bewachen sollen. Stationiert werden sollen die Armenier in der Region um Kundus, so der armenische Verteidigungsminister Sejran Oganjan laut „newsarmenia.ru“ im Dezember 2009. In diesem Gebiet, so beschwichtigte der Minister, sei es relativ ruhig, lediglich ein kleinerer bewaffneter Zwischenfall sei dort bisher zu verzeichnen gewesen. Sämtliche Aufenthaltskosten des armenischen ISAF-Kontingents, einschließlich der Kosten für den Transport der Soldaten, ihre Bewaffnung und Verpflegung, würden von den Deutschen getragen. Dies, so Oganjan, sei mit der deutschen Regierung vereinbart worden. Lediglich der Sold würde weiterhin von Eriwan bezahlt. Vor ihrer Entsendung nach Afghanistan würden die armenischen Soldaten in Deutschland auf ihren Einsatz vorbereitet. Auch dies, so der armenische Verteidigungsminister, werde von der deutschen Seite finanziert.

Für manche Beobachter kommt die Beteiligung Armeniens an der US-geführten Besatzung Afghanistans unerwartet, gilt doch Armenien als verlässlichster Bündnispartner Russlands im Südkaukasus. Wer in Armenien einreist, muss seine Papiere russischen Grenzsoldaten vorzeigen. Russische Soldaten bewachen die armenisch-türkische Grenze. Aserbaidschanischen Presseberichten zufolge seien russische Flugzeuge, die 2008 Georgien bombardiert hatten, von russischen Stützpunkten in Armenien gestartet.

Armenische Soldaten sind seit 2004 auch im Kosovo eingesetzt, wo sie mit griechischen Soldaten in einem Kontingent zusammenarbeiten. Im vergangenen Jahr wurde ihre Zahl von 35 auf 70 erhöht.

Zwischen 2005 und 2008 dienten 46 armenische Soldaten unter polnischem Kommando im Irak.

Auch Armenien hat sich der NATO-Partnerschaft (Individual Partnership Action Plan/IPAP) angeschlossen.

Georgien
Als einziges Land im Südkaukasus artikuliert Georgien deutlich seinen Wunsch nach einer vollen Mitgliedschaft in der NATO. Georgien und die NATO schlossen eine strategische Partnerschaft, und die NATO unterhält in Georgiens Hauptstadt Tbilisi eine eigene Vertretung. Georgiens Wunsch, in den „Membership Action Plan“ (MAP), eine Vorstufe der vollen NATO-Mitgliedschaft, aufgenommen zu werden, wurde jedoch beim NATO-Gipfeltreffen in Bukarest im April 2008 nicht entsprochen. Zwischen 2003 und 2008 erhöhte Georgien seinen Verteidigungshaushalt um das 50-fache, von 18 Millionen Dollar auf 900 Millionen Dollar. Georgien, das seit 1994 US-amerikanische Militärhilfe erhält, ist seit 2004 mit 850 Soldaten im Irak vertreten. Auch in Afghanistan sind georgische Truppen. Ende Januar 2010 bot Georgiens Präsident Michail Saakaschwili der NATO an, sein Land als Umschlagplatz für Soldaten und Waffen zu nutzen, die in Afghanistan eingesetzt werden sollen.

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