Friedensratschlag 1997 in Kassel

Ende der Durststrecke?

von Volker Böge
Initiativen
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Unter dem Motto "Abrüsten. Europa zivil gestalten - Frieden und Arbeit für alle" fand am 6. und 7. Dezember 1997 in der Gesamthochschule Kassel der 4. Friedenspolitische Ratschlag statt.

Rund 280 FriedensaktivistInnen nahmen teil, darunter erfreulicherweise einige VertreterInnen von Friedensorganisationen aus dem benachbarten Ausland - aus den Niederlanden, Belgien, der Schweiz, Österreich und Polen. Ebenso erfreulich war, daß eine gewisse innerdeutsche Ost-West-Balance der TeilnehmerInnen zu bemerken war, das heißt: auch die ehemalige DDR war quantitativ gut vertreten. Noch erfreulicher: Nicht wenige recht junge Leute machten mit.

Allerdings bestand das Gros der TeilnehmerInnen aus alten oder zumindest mittelalten FriedenskämpferInnen (den Verfasser dieser Zeilen eingeschlossen), die schon zu Zeiten der "neuen" (und mittlerweile ziemlich alten) Friedensbewegung der 80er Jahre aktiv gewesen waren.

Das Programm war anspruchsvoll und vollgepackt. Nach einer Begrüßung durch Peter Strutynski vom Kasseler Friedensforum gab es zwei zentrale inhaltliche Plenarvorträge, zum ersten von Gilbert Ziebura (Prof. aus Braunschweig) zum Thema Globalisierung der Ökonomie, zum zweiten von Andrea Gysi (PDS-MdB) zur NATO-Osterweiterung.

Globalisierung

Ziebura wollte die versammelten FriedensfreundInnen nicht dazu auffordern, erst einmal auf die theoretische Durchdringung der Globalisierung zu warten, sondern wies ihnen schon für hier und heute Aufgaben zu, insbesondere: Sich Gedanken zu machen über globale Umverteilung. Hierfür gebe es durchaus Ansatzpunkte, haben wir es doch gegenwärtig mit einer diffusen Herrschaftsstruktur im globalen Maßstab zu tun (insbesondere seien die USA keine Hegemonialmacht mehr), so daß sich durchaus Handlungsspielräume eröffneten. In diesem Rahmen müsse sich die Friedensbewegung via Vernetzung und Kooperation von Nichtregierungsorganisationen (NGO`s) um die Herausbildung globaler zivilgesellschaftlicher Strukturen als Moment von Gegenmacht bemühen. Einen "großen Hoffnungsschimmer" hierfür gebe es durchaus. Denn der Neoliberalismus stecke selbst in einer Krise; alle, die diese Politik vertreten, "stehen mit dem Rücken zur Wand". Daher bestehe die Chance des Aufbaus "transnationaler Alternativen".

NATO-Osterweiterung

Andrea Gysi zeichnete die Stationen der NATO-Osterweiterung nach, wobei sie die entscheidende Weichenstellung in den Jahren 1990/91 verortete. Seinerzeit habe sich die herrschende Politik im Westen für die NATO als Militärpakt und gegen die OSZE als politisches Sicherheitssystem entschieden. Danach erst haben sich die ost- und mitteleuropäischen Staaten, die zunächst alle Hoffnungen auf die OSZE gesetzt hatten, auf das Streben nach NATO-Mitgliedschaft orientiert. Nunmehr gelte es nüchtern festzustellen, daß die Friedensbewegung die Auseinandersetzung um die Osterweiterung verloren und die NATO ihre "Sinnkrise" erfolgreich bewältigt habe. Die Osterweiterung nun spalte Europa aufs neue: Die nicht aufgenommenen Staaten würden ausgegrenzt, eine neue Konfrontationslinie gegenüber Rußland würde gezogen. Die Osterweiterung bedeute Aufrüstung, denn auch Rußland würde in Reaktion (qualitativ) aufrüsten. Die Osterweiterung sei daher eine "grandiose historische Fehlleistung". Friedenspolitisch geboten seien in Hinsicht auf die Osterweiterung künftig: Widerstand gegen die nukleare Bedrohung und Eintreten für eine atomwaffenfreie Zone (Mittel-)Europa; verbindlicher Verzicht auf die Ersteinsatzdoktrin der NATO; Freihaltung der neuen NATO-Mitglieder von Atomwaffen und der zugehörigen Infrastruktur.

Kasseler Allerlei

Nach einer Arbeitsgruppen-Phase war die nächste Plenums-Session "Berichten aus der Friedensbewegung" vorbehalten. Da wurde dann ein bunter Strauß von Aktivitäten im Fünf-Minuten-Rhythmus entfaltet: Bericht über den Ostermarsch in Calw, Bericht über den Bundeskongreß der DFG/VK, Bericht über die Ostsee-Friedenskonferenz, Bericht über die AMOK-Parade am 3.10., Bericht über die Vorbereitungen des Europäischen Friedenskongresses im Mai 1998 in Osnabrück usw. usf. - und vor allem mehrere Berichte über die Aktivitäten zur Abstimmung gegen den Eurofighter, wo z.B. der PDS-MdB Jacob berichten konnte, daß in den Dörfern Meck-Pomms 2235 Nein-Stimmen zum Eurofighter eingesammelt werden können - womit Meck-Pomm auf der Hitliste der Eurofighter-Ablehnung nach Berlin und Kassel Platz drei einnimmt (großer Beifall im Saal).

Der Abend war dann dem Internationalismus gewidmet. Auf dem Podium saßen VertreterInnen von Friedensorganisationen aus Holland, Belgien, Österreich und Polen und gaben (ernüchternde) Berichte über den Stand der Friedensbewegung in ihren jeweiligen Ländern.

Der Sonntagmorgen begann mit Vorträgen im Plenum von Wolfgang Vogt (Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK), Standesorganisation der deutschen FriedensforscherInnen) zum (Nicht-)Verhältnis von Friedensforschung, Friedensbewegung und Friedenstheorie sowie von Horst Schmitthenner von der IG Metall zum Thema Frieden und Arbeit. Sein - nicht besonders erstaunliches - Fazit: Frieden und Arbeit gehören zusammen, der Kampf um den Sozialstaat und der Kampf um den Frieden seien mithin zwei Seiten einer Medaille. Darüber hinaus brachte er aber auch den schönen und heftig beklatschten Satz: "Zum Reparieren von Deichen braucht man weder G-3-Gewehre noch den Eurofighter" sowie die realistische Erkenntnis: "Die Friedensfrage steht nicht im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in der BRD".

Realitätsverlust

Gleichwohl machte man sich im Abschlußplenum kräftig selber Mut für die Auseinandersetzungen des Jahres 1998: Die Ostermärsche sollen vorbereitet werden, der Europäische Friedenskongreß in Osnabrück im Mai und selbstverständlich auch der 5. Friedensratschlag in Kassel im nächsten Herbst. Für das Eingreifen in den Wahlkampf wurde ein Entwurf für eine Art "Wahlprüfstein" vorgelegt und für die inhaltiche Weiterarbeit "Eckpunkte zu einer Friedenskonzeption". Und noch einmal wurde der "Erfolg" der Eurofighter-Umfrage bemüht, um zu belegen, daß die Friedensbewegung am Ende der "Durststrecke" angelangt sei (1). Ohne den Enthusiasmus und das Engagement der FriedensfreundInnen kleinzureden, die diese Abstimmungen durchgeführt haben - diese "Kampagne" als erfolgreich und Beweis für das "Ende der Durststrecke" zu nehmen, zeugt von einer eklatanten Verkennung der Realitäten. Aber erst so ziemlich zum Schluß der Veranstaltung wagte ein Mensch aus der DFG/VK Flensburg eine nüchterne Einschätzung: Die mickrigen Zahlen seien doch wohl eher ein Offenbarungseid für die noch immer zu konstatierende relative Schwäche der Bewegung. Solcherart Nestbeschmutzung war bei der großen Mehrheit der TeilnehmerInnen allerdings nicht gefragt, man wollte sich die euphorische Aufbruchsstimmung nicht mies machen lassen.

Daher die Hauptkritik an dieser im Grundsatz sicher verdienstvollen Veranstaltung: Die penetrante Selbstgerechtigkeit und Selbstbeweihräucherung der meisten WortführerInnen im Saal ging einem auf Dauer ziemlich auf die Nerven. Die Litanei der Erfolgsstories aus dem Kampf an der Eurofighter-Abstimmungsfront gemahnte doch sehr an DKP-Gepflogenheiten unseligen Angedenkens, wo auch jeder Fliegenschiß zu einem gigantischen Erfolg der Friedenskräfte hochgejubelt wurde. Selbstkritische und nachdenkliche Töne waren kaum zu hören, Neugier und Bereitschaft zum Lernen waren wenig ausgeprägt - von Streitkultur keine Spur.

(1) Zu diesen Abstimmungen über den Eurofighter wurde dem Kongreß sogar ein umfassendes Tabellenwerk vorgelegt, aus dem z.B. zu entnehmen war, daß in Bad Bramstedt 121 Stimmen abgegeben worden waren (davon 7 (= 6%) für und 114 (= 94%) gegen den Eurofighter), in Duisburg 18 (3 ja (= 17%), 15 nein (= 83%) usw. usf. bis Wuppertal 2. Insgesamt soll es in mindestens 90 Orten Abstimmungsaktionen gegeben haben, an denen sich fast 41.000 BürgerInnen beteiligten. Davon habe die große Mehrheit (95%) gegen den Eurofighter gestimmt.

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