Das australische Grenzregime

Flüchtende im Abseits

von Volker Böge

Am 19. Juli 2017 gab es in zahlreichen australischen Städten Mahnwachen und Demonstrationen, um auf den vierten Jahrestag einer menschenverachtenden Entscheidung der australischen Regierung aufmerksam zu machen, die Tausenden von Flüchtlingen das Recht auf Asyl nahm und sie in Lagern außerhalb Australiens wegsperrte. 

Im Juli 2013 hatte die damalige Labour-Regierung verkündet: Künftig solle kein/e AsylbewerberIn, der/die Australien per Boot zu erreichen versuche, die Chance bekommen, jemals in Australien zu leben. Seither wurden abgefangene Bootsflüchtlinge in ‘detention centres’ (Auffanglager) auf der Pazifikinsel Nauru oder nach Manus Island verbracht. Nauru ist ein Mini-Inselstaat mitten im Pazifik mit gerade mal 10.000 EinwohnerInnen, die tropische Insel Manus gehört zu Papua-Neuguinea (PNG). Die konservative Regierung, die Labour nach den Wahlen im September 2013 ablöste, übernahm die Labour-Politik.

Die Regierungen Naurus und PNGs wurden mit dem Versprechen zusätzlicher Entwicklungshilfe zur Zustimmung zu diesem Menschenhandel bewegt. Offizielle australische Position ist seither, dass die Behandlung der Flüchtlinge eine interne Angelegenheit Naurus und PNGs ist. Asylverfahren sollen dort abgewickelt werden und als AsylbewerberInnen anerkannte Flüchtlinge dort angesiedelt werden. Damit hat Australien seine Verantwortung auf zwei schwache Nachbarn abgeschoben - unter klarer Verletzung internationalen Rechts wie der UN-Flüchtlingskonvention. Die rund 2000 Menschen in den Lagern haben immer wieder klar gemacht, dass ihr Ziel Australien ist und dass sie für sich keine Zukunft in Nauru oder PNG sehen.

Faktisch werden die Lager von Australien unterhalten und kontrolliert. Sie werden mit australischen Steuergeldern finanziert, stehen unter australischer Verwaltung und werden von privaten australischen Sicherheitsdiensten im Auftrag der australischen Einwanderungsbehörde betrieben. Obgleich die Regierungen der drei involvierten Staaten alles daran setzen, eine Nachrichtensperre durchzusetzen, sind in den letzten Jahren immer wieder Berichte über die menschenunwürdigen Bedingungen in den Lagern an die Öffentlichkeit gelangt. Das reicht von unzureichender Ernährung und medizinischer Versorgung sowie mangelhaften sanitären Anlagen über rassistische Beleidigungen bis zu Körperverletzung, Kindesmissbrauch und Vergewaltigungen.  (1) Die Flüchtlinge werden jahrelang weggesperrt; Asylverfahren ziehen sich endlos hin. Unter diesen Bedingungen werden viele Flüchtlinge psychisch krank. Immer wieder kommt es zu Selbstverstümmelungen und Selbstmordversuchen in den Lagern. Im April 2016 hat sich Omid Masoumali im Lager auf Nauru selbst verbrannt mit den Worten: „Ich halte es nicht mehr aus!“ Mehrere andere Flüchtlinge starben, weil ihnen medizinische Hilfeleistung verweigert wurde, und am 16. Februar 2014 wurde Reza Berati, ein 23jähriger Kurde aus Iran, von Sicherheitsdienstleuten erschlagen. Mehrfach wurden Flüchtlinge bei Überfällen Einheimischer auf die Lager, z.T. lebensgefährlich, verletzt. Am Karfreitag 2017 zum Beispiel griff ein Mob, zu dem auch betrunkene bewaffnete Marinesoldaten gehörten, das Lager Manus an; es wurden Schüsse auf das Lager abgegeben, und nur durch Zufall gab es keine Toten. Das bisher letzte Todesopfer ist Hamed Shamshiripour, ein psychisch gestörter 31-jähriger Mann aus dem Iran, der am 7. August 2017 in der Nähe des Lagers auf Manus tot aufgefunden wurde. Die offizielle Todesursache ist Selbstmord, doch seine Freunde aus dem Lager sind überzeugt, dass er Opfer einer Gewalttat wurde, und fordern eine unabhängige Untersuchung. Hamed war mehrfach von Einheimischen geschlagen und mit dem Tode bedroht worden.

Immer wieder kommt es zu Protestaktionen in den Lagern. In Nauru gab es 2013 einen regelrechten Aufstand. Hunderte von AsylbewerberInnen brachen aus dem Lager aus, fackelten Lagergebäude ab und zerstörten Infrastruktur. Im Januar 2015 traten mehr als 700 BewohnerInnen des Lagers Manus in den Hungerstreik. Dieser wurde nach zwei Wochen gewaltsam von den Sicherheitskräften zerschlagen; rund 60 ‚Rädelsführer‘ wurden eingeknastet.

Das Lager Manus wird geschlossen
Am 26. April 2016 urteilte der Oberste Gerichtshof PNGs, dass das Lager Manus rechtswidrig und nicht mit der Verfassung des Landes vereinbar sei. Dort würden Menschen, die sich keiner Straftat schuldig gemacht haben, gegen ihren Willen ohne jegliche Rechtsgrundlage festgehalten; das Lager müsse geschlossen werden. Nach diesem Urteil passierte ein Jahr lang nichts. Dann verkündete die australische Regierung im April 2017, dass das Lager Manus zum 31. Oktober 2017 geschlossen werde. Was auf den ersten Blick als positiv erscheint, hat allerdings fatale negative Konsequenzen für die zurzeit rund 900 Flüchtlinge dort. Sie gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Für jene, die mittlerweile als AsylbewerberInnen anerkannt sind, gibt es lediglich die Option, in PNG zu bleiben – was sie entschieden nicht wollen. Für die anderen bleibt nur Rückführung in ihre Herkunftsländer, die vage Hoffnung auf Asyl in den USA (s.u.) oder die Überführung nach Nauru oder schließlich der Verbleib auf Manus in völlig ungesicherten Verhältnissen – mit ungeklärtem Rechtsstatus, ohne Unterkunft, medizinische Versorgung usw. Die australischen Behörden haben jedenfalls klar gemacht, dass jeder Flüchtling das Lager bis Ende Oktober verlassen haben muss. Bereits nach Ankündigung der Schließung wurden nach und nach einzelne Abschnitte des Lagers unbewohnbar gemacht und Infrastruktur entfernt sowie Dienstleistungen eingestellt, was die Bedingungen im Lager immer unerträglicher werden ließ. Auf diese Weise sollen die Flüchtlinge aus dem Lager herausgedrängt und dazu bewegt werden, in ein Übergangsheim in Lorengau (der einzigen ‚Stadt‘ auf Manus) zu gehen. Das wollen viele nicht, weil sie dort noch weniger Schutz vor Angriffen haben. Schon mehrfach ist es zu Attacken auf BewohnerInnen dieses Heims gekommen. Die Einheimischen wollen die Flüchtlinge nicht, und der kleine Ort hat nicht die Kapazitäten, mehrere hundert Menschen zusätzlich aufzunehmen.

Falsche Hoffnung USA
Im November 2016 schloss die australische Regierung einen Handel mit der damaligen Obama-Administration ab, der u.a. vorsah, dass die USA prüfen würden, Menschen aus den Lagern in Nauru und Manus aufzunehmen. Die neue Trump-Regierung war nicht begeistert hiervon, Trump sprach von einem ‚dummen deal‘ und ließ sich erst umstimmen, nachdem ihm der australische Premierminister Turnbull klar gemacht hatte, dass es keinerlei Verpflichtung der USA gebe, Flüchtlinge aufzunehmen. In dem fraglichen Telefonat betonte Turnbull mehrfach, dass es sich ja um ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘ handele, die wohl ohnehin durch die strengen Ausleseverfahren der USA nicht durchkommen würden, Herr Trump sich also keine Sorgen zu machen brauche. (2) In der Tat kamen BeamtInnen der US-Einwanderungsbehörde in den ersten Monaten des Jahres 2017 nach Nauru und PNG, um einige (bei weitem nicht alle) Flüchtlinge zu interviewen. Doch die Ergebnisse sind unbekannt, bisher ist noch kein einziger Flüchtling von den USA akzeptiert worden. Und da die USA für dieses Jahr ihre Flüchtlingsquote bereits ausgeschöpft haben, ist damit auch in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Ohnehin sieht die australisch-amerikanische Vereinbarung eine Obergrenze vor (‚bis zu‘ 1.250 Menschen), die deutlich unter der Gesamtzahl der Flüchtlinge in Nauru und PNG liegt.

Umstrittene Kompensationen
Einige Menschen aus dem Lager Manus hatten die Rechtsanwaltsfirma Slater und Gordon beauftragt, in ihrem Namen gegen die australische Regierung zu klagen. Am 14. Juni stimmte die Regierung einem außergerichtlichen Vergleich zu und verpflichtete sich, 70 Mio. australische Dollar an Kompensationszahlungen zu leisten. Mit der Akzeptanz dieses Vergleichs gesteht die Regierung ein, dass ihre stets wiederholte Behauptung, einzig die Regierungen Naurus und PNGs seien verantwortlich für die Lager, nichts mit der Realität zu tun hat. Sie entgeht mit diesem Vergleich leider auch einem monatelangen Gerichtsverfahren, in dem ihre illegale und menschenverachtende Politik umfassend aufgedeckt worden wäre. Damit ist eine Chance vertan. Die im Durchschnitt  35.000 australische Dollar Entschädigung pro Person (3) können in keiner  Weise wiedergutmachen, was den Menschen im Lager über Jahre angetan wurde. Gerechtigkeit für sie wird so nicht geschaffen. Die Meinungen darüber, ob man diesen Vergleich akzeptieren soll, gehen bei den Flüchtlingen denn auch auseinander. 

Die einzige menschenwürdige und menschenrechtlich akzeptable Option ist, den Menschen aus den Lagern in Nauru und Manus endlich eine neue gesicherte Heimstatt in Australien zu geben. Das haben Tausende am 19. Juli bei den Mahnwachen und Demonstrationen gefordert, und das werden sie weiterhin fordern.

Anmerkungen

1 Der jüngste Bericht des UN-Sonderbeauftragten für die Menschenrechte von Migranten kritisiert die australische Regierung scharf. Er macht sie verantwortlich für die “grausame, unmenschliche und erniedrigende” Behandlung der Menschen in den Lagern in Nauru und Manus und fordert deren Schließung sowie die Repatriierung der Menschen nach Australien (zit. n. Green Left Weekly, 20.6.2017, S. 7).

2 Ein Mitschnitt des Trump-Turnbull Telefonats vom Februar 2017 gelangte an die Öffentlichkeit, s. Neue Zürcher Zeitung NZZ-E-Paper vom 5.8.2017.  Der Zynismus, mit dem die beiden Staatenlenker über Menschen in Not sprechen, ist unerträglich.

3 Die tatsächlichen Zahlungen sollen in einem komplizierten Verfahren ermittelt werden, bei dem Dauer des Lageraufenthalts, die erlittenen physischen und psychischen Schäden usw. berücksichtigt werden sollen.

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