Bundeswehr-Werbestrategien noch ohne Erfolg – es fehlt Personal

Für eine Schule ohne Wehrpropaganda

von Klaus Pfisterer
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Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht neue Vorschläge zur Militarisierung der Gesellschaft oder des Bildungswesens kommen. Einige Stichworte: Soziales Pflichtjahr für alle, Wiedereinführung der Musterung, verstärkter Einsatz von Jugendoffizier*innen und Karriereberater*innen an Schulen, Aufhebung des Werbeverbots der Bundeswehr an Schulen, Rücknahme der Zivilklauseln an Universitäten. Hinzu kommen das gigantische 100 Mrd. Euro Sondervermögen (Sonderschulden) für die Bundeswehr, die Erhöhung des Verteidigungshaushalts sowie die Absicht, künftig 2% des Bruttosozialprodukts für die Verteidigung auszugeben. All das mit dem Ziel, die Bundeswehr für mögliche Kriegseinsätze aufzurüsten und genügend Soldatinnen und Soldaten zu rekrutieren.

Die Bundeswehr ist auf einem großen Werbefeldzug, denn ihr fehlt der Nachwuchs für künftige Einsätze. Aus dem Jahresbericht 2022 der Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD) ist zu entnehmen, dass zum 31.12.2022 183.051 Soldatinnen und Soldaten Dienst in den Streitkräften leisteten: 56.729 Berufsoldat*innen, 116.872 Soldat*innen auf Zeit und 9.450 Freiwillig Wehrdienst Leistende - 600 weniger als ein Jahr zuvor. (1) Nach den Vorstellungen von Verteidigungsminister Pistorius (SPD) soll bis 2031 die Zahl auf 203.000 steigen. Ob dies gelingt, ist fraglich, denn es gibt zahlreiche Probleme bei der Personalgewinnung: Die Konkurrenz mit der Wirtschaft, der Fachkräftemangel und die sinkenden Schulabgänger-Zahlen. Hinzu kommen Probleme in der Truppe: Entlegene Standorte sind unattraktiv, die Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist nicht gegeben und in zahlreichen Kasernen gibt es kein WLAN.

2022 gab es 18.770 Dienstantritte. Davon haben 3.970 (rund 21%) innerhalb der ersten sechs Monate die Bundeswehr wieder verlassen, im Heer sogar 30%. Nur noch 14.800 sind im Dienst verblieben. Die Gründe für den Abbruch sind vielfältig: private, persönliche und familiäre Gründe, gesundheitliche Gründe, Entfernung vom Heimatort, falsche Vorstellungen von den Rahmenbedingungen am Standort, bessere berufliche Alternative.

Im gleichen Zeitraum gab es 18.692 unbesetzte Stellen. Die Bewerber*innenzahlen für eine militärische Laufbahn gingen von 49.200 auf 43.900 zurück – 11% weniger als im Vorjahr.

In den ersten fünf Monaten 2023 sank die Bewerbungszahl um weitere 7 Prozent. (2). Eine Studie zeigt, dass rund 70% der Bewerbungen mit einer Absage vom Bund enden.

7.070 Soldat*innen auf Zeit haben ihren Dienst verlängert. Dafür wurden 11,5 Mio. Euro Verpflichtungsprämien ausbezahlt. Bei den Berufssoldat*innen wurden rund 2 Mio. Euro Prämien ausbezahlt.

Bei den Wiedereinstellungen traten von 3.914 Bewerbungen lediglich 1.570 den Dienst an. Noch weniger Einstellungen gab es beim Seiteneinstieg, wo von 9.928 Bewerbungen gerade mal 1.141 eingestellt wurden. In beiden Bereichen sind die Bewerbungen rückläufig und die Gewinnung hochqualifizierter Fachkräfte ist ein Problem.

Hinzu kommt, dass die Bundeswehr durch Kriegsdienstverweigerung weiteres Personal verliert. Die Zahl der KDV-Anträge von Soldat*innen ist gestiegen 2020: 108 Anträge, 2021: 176 Anträge, 2022: 235 Anträge. Ebenso die der Reservist*innen: 2020: 12 Anträge, 2021: 10 Anträge, 2022: 271 Anträge. Hier zeigt der Krieg in der Ukraine seine Auswirkungen.

Werbekampagnen zur Nachwuchsgewinnung
Die Bundeswehr wirbt massiv, um Jugendliche in die Bundeswehr zu locken. Das beginnt damit, dass die Bundeswehr jedes Jahr personalisierte Postkarten an die Jugendlichen sendet, die im Folgejahr 18 Jahre alt werden. Dazu werden der Bundeswehr jährlich Meldedaten von Jugendlichen übermittelt, wenn man dem nicht vorsorglich ausdrücklich widerspricht.

Für Werbekampagnen zur Nachwuchsgewinnung wie die YouTube Serien „Die Rekruten“, Plakataktionen wie „Mach, was wirklich zählt“, usw. gibt die Bundeswehr jährlich mindestens 35,3 Millionen Euro aus.

Jugendoffizier*innen und Karriereberater*innen schwärmen in die Schulen aus und werden in allen Bundesländern eingesetzt. Zusätzlich wurden in neun Bundesländern Kooperationsvereinbarungen zwischen dem Kultusministerium und der Bundeswehr geschlossen: Nordrhein-Westfalen, Saarland, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Sachsen und Schleswig-Holstein, um den Jugendoffiziere*innen einen privilegierten Zugang zu den Schulen zu ermöglichen. Sechs dieser Kooperationsvereinbarungen untersagen den Jugendoffizieren, im Unterricht für Tätigkeiten in der Bundeswehr zu werben: Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Schleswig-Holstein. Die Jugendoffizier*innen verweisen bei ihren Schulbesuchen auf die Karriereberater*innen, die explizit für den Dienst in der Bundeswehr werben.

Die Zahl der Veranstaltungen von Jugendoffizier*innen nahm kräftig zu. Dazu geführt hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Laut ihrem Jahresbericht 2022 erreichten sie bundesweit mit 5.931 Veranstaltungen insgesamt 150.021 Teilnehmende. Davon waren 123.928 Schülerinnen und Schüler sowie Studierende und 26.093 Multiplikator*innen, darunter 9.354 Lehrer*innen. (3)

Baden-Württemberg
Die CDU-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg will noch mehr Militär in den Schulen, wie sie in ihrem Sicherheitspapier „Tun, was getan werden muss“ vom 12. Januar 2023 erklärt. In einer Landtagsanfrage wollte die CDU-Fraktion die Außen- und Sicherheitspolitik noch stärker als bisher in Schule und Unterricht abbilden und in den Bildungsplänen stärker verankern lassen. (4) Die oppositionelle FDP-Fraktion forderte in einer Landtagsanfrage, die Besuche von Jugendoffizier*innen in den Lehrplänen der jeweiligen Schularten zu verankern, ihnen feste Deputatseinheiten an öffentlichen Schulen vorzusehen und generell die Präsenz von Jugendoffizier*innen zu erhöhen (5). Die Kultusministerin Waltraud Schopper, Grüne, wehrte die verschiedenen Ansinnen ab und stellte in ihren Antworten klar, dass die gegenwärtigen Vereinbarungen ausreichend seien und keine Ausweitung geplant sei.

Anwerbung Minderjähriger
Dass die Bundeswehrwerbung teilweise fruchtet, sieht man an den Einberufungszahlen Minderjähriger. Seit Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 wurden mehr als 16.000 Minderjährige auf freiwilliger Basis mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten zur Bundeswehr einberufen. 2022 waren es 1.773 minderjährige Soldat*innen. Das entsprach 9,2 Prozent der 18.770 Dienstantritte. Die Bundeswehr ist auf die Minderjährigen angewiesen, ansonsten wäre die Personallücke noch größer. Dass die Bundesregierung dabei gegen die UN-Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verstößt, wird billigend in Kauf genommen.

Widerstand gegen die Militarisierung
Es gibt den Widerstand gegen die Militarisierung der Gesellschaft und besonders des Bildungssystems. Das Bündnis „Schulfrei für die Bundeswehr  – Lernen für den Frieden“ in Baden-Württemberg setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass die Landesregierung die Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr kündigt und die Besuche der Karriereberater*innen in den Schulen untersagt werden. Die Bundeswehr ist kein Arbeitgeber wie jeder andere und Jugendoffizier*innen verschweigen in ihren Vorträgen oft die Kriegsrealität. Die Karriereberater*innen werben mit den Sonnenseiten der Bundeswehr und führen die Jugendlichen somit in die Irre. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene klare Beschlüsse gegen einen Einsatz von Jugendoffizier*innen im Unterricht. Die GEW-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, Monika Stein, erklärte, dass die politische Bildung, auch in Fragen der Sicherheitspolitik, in die Hand der dafür ausgebildeten pädagogischen Fachleute gehört und nicht in die von Jugendoffizieren.

Der Widerstand sollte vor allem von Schüler*innen kommen, aber die sind sich noch uneins. Während die Landesschüler*innenvertretung Rheinland-Pfalz die Pläne zur verstärkten Werbung der Bundeswehr an Schulen entschieden verurteilt (6), sieht der Vorsitzende des Landeschülerbeirats in Baden-Württemberg auch die Vorteile von Soldat*innen in Klassenzimmern, weil das Abwechslung in den Unterricht bringe. (7)

Der Bundeswehr gelingt es trotz hohem finanziellem Werbeaufwand und dem personellen Einsatz von Jugendoffizier*innen und Karriereberater*innen nicht, die Personallücken zu schließen. Doch Vorsicht ist geboten. Die Bundeswehr wird in ihren Werbemaßnahmen nicht nachlassen. Im Bildungsbereich bedarf es neben dem Widerstand der GEW auch der anderen Lehrerverbände, um der Militarisierung des Bildungswesens entgegenzutreten. Schülerinnen und Schüler benötigen Friedenserziehung und Friedensbildung statt Wehrpropaganda.

Anmerkungen
1 Jahresbericht 2022 der Wehrbeauftragten
2 tagesschau.de 2.8.2023
3 Jugendoffiziersbericht 2022
4 Antrag CDU-Fraktion in Ba-Wü 9.5.2023 Drucksache 17/4733
5 Antrag FDP-Fraktion Ba-Wü 17.4.2023 Drucksache 17/4605
6 Pressemitteilung Landesschülervertretung Rheinland-Pfalz (3.6.2023)

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