Geschlechtergerechtigkeit

Gender, Konfliktbearbeitung und Frieden

von Elise Kopper

Die Worte „Gender“ oder „Geschlechtergerechtigkeit“ wecken häufig Vorbehalte. Zu oft wurden sie in der Vergangenheit mit reiner Frauenförderung oder gar Männerdiskriminierung in Verbindung gebracht. Aber „Gender“ meint viel mehr als das. Es ist eine Kategorie, die uns hilft, strukturelle Gewalt zu erkennen, Formen von direkter Gewalt zu differenzieren und soziale Friedenspotenziale zu entdecken. Damit ist eine Genderperspektive von unschätzbarem Wert für Friedenspolitik, ‑forschung und -praxis.

In der Friedens- und Konfliktforschung waren es vor allem Wissenschaftlerinnen mit feministischem Ansatz, die Ende der 1970er Jahre damit anfingen, die Themen Geschlecht, Frieden und Konflikt zu verbinden. Zu offensichtlich waren die Zusammenhänge zwischen patriarchalen Strukturen und dem Auftreten von Gewalt, zu offensichtlich war auch die fast vollständige Abwesenheit von Frauen in der Sicherheitspolitik und an den fachlich relevanten Lehrstühlen der Universitäten. Kritisiert wurde vor allem der Androzentrismus in Wissenschaft und Politik, also die Männerzentriertheit, die dazu führte, dass Frauen und ihre spezifischen Bedürfnisse und Interessen gar nicht erst thematisiert wurden und unsichtbar blieben. Gleichzeitig wurden auch aus der Zivilgesellschaft Forderungen laut, Frauen stärker in Fragen von Krieg und Frieden, in Polizei und Militär, in Friedensverhandlungen und Peacebuilding-Maßnahmen einzubinden. Diese Forderungen gipfelten schließlich in der Aktionsplattform von Peking 1995 und in der Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit, die im Jahr 2000 einstimmig vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedet wurde.

Die Resolution 1325 wird gerne als „Meilenstein“ auf dem Weg hin zu einer geschlechtergerechteren Friedens- und Sicherheitspolitik bezeichnet. Sie hat diverse Nachfolge-Resolutionen auf den Weg gebracht, die die dort angesprochenen Themen wie sexualisierte Kriegsgewalt und die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen noch einmal präzisieren. Doch sie fokussiert, ihrer Entstehungsgeschichte geschuldet, hauptsächlich auf die Belange von Frauen und Mädchen und enthält damit keine „echte“ Genderperspektive. Diese muss neben dem weiblichen auch das männliche und immer auch andere Geschlechter in ihrer gesamten Bandbreite in den Blick nehmen - auch wenn heute noch vornehmlich die binäre Struktur des männlichen und weiblichen Geschlechts maßgeblich für die konkrete (Friedens-)Arbeit ist.

Doch warum überhaupt eine Genderperspektive in der Friedensarbeit? Sollte es uns nicht egal sein, ob wir mit Männern oder Frauen, Menschen anderen Geschlechts oder verschiedener Sexualität zusammenarbeiten? Und ist das Ganze nicht nur eine Modeerscheinung, die uns beim Stellen von Förderanträgen immer wieder begegnet, die uns aber inhaltlich nicht überzeugt? Die Frage nach dem Sinn einer Geschlechterperspektive wird immer wieder gestellt, und es lohnt sich immer wieder, sie auch zu beantworten.

Gender in der Konfliktbearbeitung
Eine Genderperspektive spielt auf sämtlichen Ebenen der zivilen Konfliktbearbeitung eine Rolle: Bei der Prävention von Gewalt, indem sie zum Beispiel hilft, Formen von militarisierter Männlichkeit zu thematisieren und alternative Rollenmodelle anzubieten, damit junge Männer erst gar nicht zu Gewalt greifen. Sie hilft bei der Gewaltminderung im bereits ausgebrochenen Konflikt, indem sie beispielsweise positive Rollen von Männern und Frauen als traditionelle StreitschlichterInnen aufdeckt und damit das Friedenspozential der Gesellschaft stärkt. Und sie hilft in der Nachkonfliktphase, wenn sie zum Beispiel die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen und Frauenorganisationen an Aussöhnungsprozessen fordert oder Traumabehandlung für Opfer sexualisierter Kriegsgewalt aller Geschlechter anmahnt. Gender hilft bei der Konfliktanalyse: Wo liegen Konflikt-, wo Friedenspotenziale? Spielt Geschlechterungerechtigkeit für den Konflikt eine Rolle? Sie hilft beim Umgang mit den verschiedenen Konfliktparteien und ihren WortführerInnen: Wer spricht gerade in welcher Rolle? Inwieweit ist diese Rolle durch das Geschlecht der Person und durch Geschlechtervorstellungen in der Kultur geprägt? Oder beim Umgang mit Regierungsoffiziellen und Militärs: Inwieweit werden Frauen/Männer als GesprächspartnerInnen besser/schlechter akzeptiert?

Zunehmend werden zivile Friedensfachkräfte im Rahmen ihrer Ausbildung mit Gendertrainings konfrontiert, um eine Genderkompetenz zu entwickeln. Außerdem bietet zum Beispiel das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze in Berlin (ZIF) ein Training of Trainers für ExpertInnen in Friedensmissionen zur Integration von Gender in Peacebuilding-Trainings an. Genderkompetenz hilft dabei, die verschiedenen Bedürfnisse, Nöte und Ängste der Menschen anders und besser zu erkennen und wahrzunehmen, die Potenziale der Menschen zu entdecken und diese zu stärken. Das betrifft nicht nur die direkt vom Konflikt betroffenen Menschen, sondern auch das Team der Friedensfachkräfte selbst sowie die entsendende Organisation. So hilft eine Genderperspektive auch, sich selbst in seinem Beruf und innerhalb seines Arbeitsumfelds anders wahrzunehmen und einzuordnen.

Gender in der Friedens- und Konfliktforschung
In der Friedens- und Konfliktforschung hilft eine Genderperspektive unter anderem, Herrschafts- und Machtverhältnisse zu hinterfragen und Phänomene direkter Gewalt kategorisch einzuordnen. Und sie verändert auch die Definitionen von zentralen Begriffen wie Frieden und Gewalt, so beispielsweise durch die Ergänzung der Geschlechtergerechtigkeit als Bedingung für positiven Frieden. Gender sollte sowohl in der Friedens- und Konfliktforschung, als auch in der Lehre von den Internationalen Beziehungen und der Außen- und Sicherheitspolitikforschung als Querschnittsthema mitgedacht und immer wieder problematisiert werden. Es sollte auch nicht „den Frauen“ in der Wissenschaft überlassen werden, wie zum Beispiel dem Netzwerk Friedensforscherinnen in der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK), das in der Vergangenheit für einen Großteil der Publikationen zum Thema verantwortlich war. Auch männliche Wissenschaftler sollten sich ernsthaft und konsequent mit Gender als Kategorie beschäftigen und ihre gegebenenfalls existierende Scheu vor (ursprünglich) feministischen Forschungsansätzen oder Themen wie der männlichen Verletzbarkeit ablegen. Auch eine verstärkte Vernetzung mit den Gender Studies wäre wünschenswert: Wie die Friedens- und Konfliktforschung in der Friedensbewegung, so haben auch die Geschlechterstudien ihre Wurzeln in einer Bewegung, der Frauenbewegung. Und so teilen beide Forschungsrichtungen einen gesellschafts- und herrschaftskritischen, auch normativen Anspruch, den es zu verknüpfen lohnt. Beide Disziplinen bieten auch Raum für eine Beschäftigung mit dem Individuum als Entscheidungsträger, was gerade aus Sicht einer Genderperspektive neue Erkenntnisse bringen kann. So beschäftigt sich beispielsweise zurzeit eine Forschungsarbeit damit, ob und inwiefern weibliche Ministerinnen auf dem traditionell männlich besetzten Posten des Verteidigungsministers eine andere, „weiblichere“ bzw. gender-beeinflusste Politik betreiben oder nicht.

Nationaler Aktionsplan zur UN-Resolution 1325
Die deutsche Bundesregierung hat im Dezember 2013 eine der zentralen Forderungen der Zivilgesellschaft erfüllt und nach langem Zögern und beharrlicher Lobbyarbeit durch Frauen- und Friedensgruppierungen einen Nationalen Aktionsplan zur UN-Resolution 1325 verabschiedet. Es gibt durchaus Bemühungen, zivilgesellschaftliche Gruppen auch weiterhin an der Umsetzung der Resolution teilhaben zu lassen und sie auch interministerial durchzusetzen. Dies kann aber nur ein erster Schritt sein, eine Genderperspektive in der deutschen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik nachhaltig und querschnittartig zu verankern. Dabei geht es nicht nur um Quotierungen beim Personal, Gendertrainings für DiplomatInnen, Gender-Workshops in Auslandsprojekten oder um Schlagworte wie das mittlerweile bekannte Gender Mainstreaming oder das etwas neuere „Gender Budgeting“, also die Formulierung eines geschlechtergerechten Haushaltsplans. Es geht vielmehr um eine Neuausrichtung der deutschen Politik, die in der Konsequenz nicht mehr auf das patriarchale Geschlechterrollen bestärkende militärische System zurückgreift, sondern der zivilen Konfliktbearbeitung mit all ihren Möglichkeiten Raum und Ressourcen gibt.

Gender in der Friedensbewegung
Aber auch die Friedensbewegung sollte sich und ihre Arbeit selbstkritisch unter die Lupe nehmen: Streben wir bei unseren Konferenzen und in Vorstandspositionen eine Gender Balance an? Wie sieht es mit den Bedürfnissen und Interessen von LGBTI*-Menschen, also von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, Intersexuellen und anderen Identitäten, in unseren Reihen aus? Achten wir auf eine geschlechtergerechte Sprache in unseren Publikationen und Stellungnahmen oder verzichten wir lieber auf das Binnen-I oder das Gender Gap? Haben wir Gendertrainings in unsere Ausbildungscurricula für zivile Friedensfachkräfte integriert? Würde es uns weiterhelfen, auch in unserer inhaltlichen Arbeit zu Themen wie Rüstung und Abrüstung, Rassismus und Völkerrecht, Atomwaffen und Bundeswehr an Schulen nach Gender-Aspekten zu suchen - auch wenn die Themen auf den ersten Blick geschlechtsneutral wirken sollten? Und gibt es vielleicht auch in aktuellen Konflikten wie in Syrien oder der Ukraine Gender-Aspekte, die wir in unseren Konfliktanalysen berücksichtigen müssten?

Sich diese und weitere Fragen zu stellen könnte sich lohnen. Bei der Einbindung einer Genderperspektive geht es letztlich darum, Friedensarbeit, -politik und ‑forschung grundlegend zu hinterfragen, zu ergänzen und nachhaltig zu verbessern. Und dies dürfte sowohl im Interesse der Friedensszene hierzulande als auch im Interesse der Menschen in den Konfliktländern sein.

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Mitglied des Vorstands im Bund für Soziale Verteidigung e.V., Geschäftsführerin beim Frauennetzwerk für Frieden e.V. und Referentin für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit bei erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung e.V.