Völkerrechtswidrige Militäreinsätze

Hoheitsrechte und deren Grenzen

von Bernd Hahnfeld

Kann oder muss die Bundesregierung den Stationierungsstaaten die Nutzung des deutschen Staatsgebiets oder Luftraumes verbieten, wenn deren Militäreinsätze völkerrechtswidrig sind?

Die Beispiele solcher Nutzung sind zahlreich: Schon während des Vietnam-Krieges tauchte der Verdacht auf, dass die USA ihre Militäreinrichtungen in der Bundesrepublik für ihre Kriegsführung nutzten. Im israelischen Yom-Kippur-Krieg verhinderte 1973 die linksliberale Bundesregierung, dass drei israelische Frachter in Bremerhaven Kriegsmaterial der US-Streitkräfte laden konnten. Im April 1986 erklärte der US-Oberbefehlshaber für Europa, General Rogers, öffentlich, die Bombenangriffe der US-Luftwaffe auf Libyen seien von seinem Hauptquartier in Stuttgart-Vaihingen aus vorbereitet und gesteuert worden. 1987 erfuhr die deutsche Öffentlichkeit, dass die USA 500 TOW-Panzerabwehrraketen ohne vorherige Information der Bundesregierung über den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein an den Iran geliefert hatten. (1)

Grenzen der Nutzung des deutschen Luftraumes und Staatsgebietes
Nach dem allgemeinen Völkerrecht besitzt Deutschland wie jeder Staat in seinem Staatsgebiet die Gebietshoheit und im Luftraum über seinem Hoheitsgebiet die volle und ausschließliche Lufthoheit. (2)

Die Stationierungsbefugnisse der Streitkräfte aus NATO-Staaten auf deutschem Boden, die in Deutschland auf der Grundlage des Aufenthaltsvertrages dauerhaft stationiert worden sind, richten sich nach dem NATO-Truppenstatut und dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut (ZA-NTS).

Bis 1994 waren dem in Deutschland im Rahmen der NATO stationierten Militär nach der geltenden Fassung des ZA-NTS 1959 sehr weitgehende Bewegungsfreiheit eingeräumt worden: Eine „Truppe“ war berechtigt, mit Luftfahrzeugen „die Grenzen der Bundesrepublik zu überqueren sowie sich in und über dem Bundesgebiet zu bewegen“ (Art. 57 Abs. 1 ZA-NTS 1959).

Seit der Neufassung des Zusatzabkommen 1994 (ZA-NTS 1994) benötigen die in Deutschland stationierten Truppen grundsätzlich eine Genehmigung durch die deutsche Bundesregierung, wenn sie mit Land-, Wasser- oder Luftfahrzeugen in die Bundesrepublik „einreisen oder sich in oder über dem Bundsgebiet bewegen“ wollen, wobei Transporte und andere Bewegungen im Rahmen deutscher Rechtsvorschriften (einschließlich der internationalen Übereinkünfte, denen die Bundesrepublik und der Entsendestaat angehören) als genehmigt gelten (Art. 57 Abs. 1 ZA-NTS 1994). Generell genehmigt sind nach dieser eng auszulegenden Ausnahmevorschrift aber nur die Bewegungen der im NATO-Rahmen stationierten Truppenteile. Denn das Wort „Truppe“ ist in Artikel 3 NATO-Truppenstatut definiert: Es ist das Personal des Stationierungsstaates nur dann, „wenn es sich im Zusammenhang mit seinen Dienstobliegenheiten in dem Hoheitsgebiet der Vertragspartei befindet.“ (3)

Laut Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sind den Stationierungsstaaten die Stationierungsbefugnisse nur um ihrer Stellung als Mitglieder der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft willen und im Hinblick auf die daraus entspringenden Verpflichtungen eingeräumt worden. (4) Das BVerwG hat in seinem Urteil vom 21. Juni 2005 nachvollziehbar begründet, dass sich etwas anderes auch nicht aus dem sog. Aufenthaltsvertrag vom 23. Oktober 1954 ergibt. Nach dem Aufenthaltsvertrag ist es den stationierten Truppen lediglich gestattet, Deutschland auf dem Wege nach oder von einem NATO-Mitgliedsstaat zu betreten, zu durchqueren oder zu verlassen. (5)

Wollen – ohne NATO-Auftrag –  außerhalb Deutschlands stationierte Truppen den deutschen Luftraum benutzen und zwischenlanden, um im nationalen Auftrag in Kriegsgebiete weiterzufliegen, so sind diese Bewegungen genehmigungsbedürftig (Art. 57 Abs. 1 S.1 HS.2 ZA-NTS 1994). (6) Das gilt auch für die Nutzung der Militärstützpunkte in Deutschland. Denn in diesen, ihnen zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Liegenschaften (und im Luftraum darüber) dürfen die Streitkräfte nach Art. 53 Abs.1 ZA-NTS 1994 nur „die zur Erfüllung ihrer Verteidigungsaufgaben erforderlichen Maßnahmen treffen“. Die zuständigen deutschen Stellen, das heißt vor allem die Bundesregierung, haben die Befugnis zu kontrollieren, ob die Stationierungsstreitkräfte auf den Liegenschaften (und im Luftraum darüber) ausschließlich Verteidigungspflichten im Sinne des Zusatzabkommens und des NATO-Vertrages wahrnehmen. (7) Die deutschen Behörden, insbesondere der Bundesregierung können gemäß Art. 53 Abs. 3 ZA-NTS 1994 „die zur Wahrnehmung deutscher Belange erforderlichen Maßnahmen“ innerhalb der Liegenschaften durchführen. Sie sind dabei nach Art. 20 Abs. 3 GG an „Recht und Gesetz“ und nach Art. 25 GG an die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ gebunden.

Die Bundesregierung ist somit verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen einzuleiten und durchzuführen, die verhindern, dass von Deutschland aus völkerrechtswidrige Kriegs-Handlungen begangen oder unterstützt werden. Das gilt umso mehr, als Deutschland sich im Zuge der Wiedervereinigung in Art. 2 des Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland (2+4-Vertrag) völkerrechtlich verpflichtet hat, dafür zu sorgen, „dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen darf“.

Darüber hinaus ist Deutschland als neutraler Staat in derartigen militärischen Konflikten völkerrechtlich verpflichtet, Streitkräfte einer Konfliktpartei, die sich auf deutschem Staatsgebiet befinden, zu hindern, an den Kampfhandlungen teilzunehmen. Während eines Krieges sind Truppen einer Konfliktpartei, die das neutrale Deutschland betreten, sogar zu internieren. (8)

Völkerrechtswidrige Militäreinsätze
Völkerrechtswidrig ist nach Art. 2 Abs. 4 UN-Charta jede Androhung und Anwendung militärischer Gewalt gegen einen anderen Staat. Dieses Gewaltverbot gilt inzwischen auch völkergewohnheitsrechtlich. Es ist nicht vertraglich abänderbar und verpflichtet alle Staaten unmittelbar. Das Gewaltverbot gehört nach Art. 25 GG zu den „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ und geht den innerstaatlichen Gesetzen vor. Es erzeugt Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

Ausnahmsweise darf militärische Gewalt gegen einen anderen Staat angewendet werden, wenn ein völkerrechtlicher Rechtfertigungsgrund vorliegt. Die UN-Charta sieht nur zwei solche Rechtfertigungsgründe vor:

wenn der UN-Sicherheitsrat nach der förmlichen Feststellung einer Aggression, eines Friedensbruchs oder einer Friedensgefährdung militärische Maßnahmen beschließt und diese entweder selbst durchführt (Art. 43, 43 UN-Charta) oder einen anderen Staat (Art. 48 UN-Charta) oder ein regionales System (Art. 53 UN-Charta) dazu ermächtigt;

oder wenn sich ein Staat allein oder mit anderen gegen einen bewaffneten Angriff nach Art. 51 UN-Charta militärisch zur Wehr setzt. Dieses individuelle oder kollektive Selbstverteidigungsrecht endet, sobald der UN-Sicherheitsrat, der über den Militäreinsatz unverzüglich zu informieren ist, die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.

Liegt kein solcher Rechtfertigungsgrund vor, so begeht der militärische Gewalt anwendende Staat eine völkerrechtswidrige Aggression. Das gilt auch für das militärische Eingreifen in Bürgerkriege anderer Staaten, soweit dieses nicht auf einer Ermächtigung des UN-Sicherheitsrats beruht. (9)

Im Falle des Irak-Krieges (2003) hat das BVerwG in dem Urteil vom 21. Juni 2005 ausführlich begründet, dass sich die Regierungen der USA und des UK bei ihrem Krieg gegen den Irak weder auf eine rechtfertigende Resolution des UN-Sicherheitsrats noch auf ein Selbstverteidigungsrecht stützen konnten. Das Gericht hat hervorgehoben, dass auch die Berufung auf die so genannte „präventive Selbstverteidigung“ das militärische Vorgehen nicht rechtfertigen kann, weil ein entsprechendes Völkergewohnheitsrecht nicht festgestellt werden kann. (10) Denn jeder damit begründete Militäreinsatz ist in der Staatengemeinschaft auf Widerspruch gestoßen. Indem die Bundesregierung den USA und dem UK zur Führung des Irak-Krieges Überflugrechte gewährt, der Entsendung von Truppen, dem Transport von Waffen und militärischen Versorgungsgütern von deutschem Boden aus in das Krisengebiet zugestimmt hat und alle Unternehmungen, die das Staatsgebiet Deutschlands als Ausgangspunkt oder Drehscheibe für militärische Operationen gegen den Irak nutzten, genehmigt hat, hat sie gegen das Völkerrecht und gegen deutsches Recht verstoßen. (11) Sie hat damit die Führung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges unterstützt.

In derartigen Fällen ist die Bundesregierung verpflichtet, den Stationierungsstaaten die Genehmigungen für die Nutzung der Militäreinrichtungen in Deutschland und die Nutzung des Luftraumes ausdrücklich zu versagen. Selbst das bloße Dulden der Nutzung deutschen Luftraums oder deutschen Staatsgebiets wäre völkerrechtswidrig. Denn mit der Resolution der UN-Generalversammlung über die „Definition der Aggression“ vom 14.12.1974 ist der völkerrechtliche Prozess der Rechtsbildung dahingehend fortgeschrieben worden, dass als Aggressionshandlung und damit als Verstoß gegen das Gewaltverbot auch die Handlung eines Staates anzusehen ist, die in seiner Duldung besteht, dass sein Hoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von diesem für eine Aggression gegen einen dritten Staat benutzt wird. (12)

Völkerrechtsgemäße Militäreinsätze
Werden Militäreinsätze der Stationierungsstaaten im Einklang mit dem Völkerrecht durchgeführt, so kann es sich nur um Verteidigung im Rahmen von Art. 51 UN-Charta oder um Einsätze aufgrund der Ermächtigung des UN-Sicherheitsrats handeln. Im ersten Fall dürften in aller Regel die Voraussetzungen von Art. 5 Nordatlantikvertrag erfüllt sein, also der NATO-Bündnisfall vorliegen, im anderen Fall wäre es eine militärische Sanktionsmaßnahme der UN nach Art. 42 UN-Charta, die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit erforderlich ist. In beiden Fällen sind keine Gründe ersichtlich, den Stationierungsstaaten die Nutzung ihrer in Deutschland gelegenen Militäreinrichtungen oder des deutschen Luftraumes zu versagen.

Rechtliche Mittel
Kann die Bundesregierung im Falle völkerrechtswidriger Militäreinsätze der Stationierungsstaaten gezwungen werden, diesen die Nutzung der Militäreinrichtungen und des Luftraumes zu untersagen? Abgesehen von der Möglichkeit des politischen Einwirkens auf die Bundesregierung durch Wahlen, Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit kann die Bundesregierung vor den Verwaltungsgerichten mit dem Antrag verklagt werden, sie durch Gerichtsurteil zu verpflichten, den völkerrechtswidrig handelnden Stationierungsstaaten die Nutzung des deutschen Luftraums und Staatsgebiets zu den als völkerrechtswidrig gewerteten Militäreinsätzen zu untersagen. Wegen der Nutzung der US-Militärbasis Ramstein und des zivilen Flugplatzes Leipzig/Halle für Transporte von US-Soldaten und Kriegsgerät für die Kriege im Irak und in Afghanistan sind bereits Verwaltungsgerichtsverfahren anhängig. Dabei ist nur klagebefugt, wer durch die gerügte Nutzung persönlich betroffen ist.

Zu prüfen wäre, ob BT-Abgeordnete vor dem BVerfG einen „Organstreit“ anhängig machen können, wenn ihre parlamentarischen Mitwirkungsrechte bei der Genehmigung der völkerrechtswidrigen Nutzung des deutschen Luftraums oder Staatsgebiets verletzt worden sein sollten.

Auch ist die Verfassungsbeschwerde einzelner betroffener Bürger nicht ausgeschlossen, wenn diese konkret darlegen können, dass sie durch die staatliche Gewalt in ihren Grundrechten verletzt worden sind.

Eine Strafanzeige ist wenig aussichtsreich, weil der Bundesgesetzgeber den Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs.1 GG, die Führung eines Angriffskrieges generell unter Strafe zu stellen, mit § 80 Strafgesetzbuch völlig unzureichend umgesetzt hat. (13) Strafbar ist lediglich die Vorbereitung eines Angriffskrieges, an dem Deutschland beteiligt sein soll, wenn dadurch die Gefahr eines Krieges für Deutschland herbeigeführt wird!

Anmerkungen
1 Dieter Deiseroth, „Am Abgrund des Verfassungsbruchs“, Wissenschaft & Frieden 1-2003

2 Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Urteil vom 21. Juni 2005 – 2 WD 12.04 - S. 90; Volker Epping/Christian Gloria in Ipsen, Völkerrecht, 5.A. 2004, § 23 RdNr 66 f.; Horst Fischer ebendort, 55 RdNr 11 ff.

3 BVerwG a.a.O, S. 91-92.

4 (Pershing-)Urteil des BVerfG vom 18. Dezember 1984, C III 2 b, BVerfGE 68,1.

5 BVerwG a.a.O., S. 93.

6 BVerwG a.a.O., S. 92.

7 BVerwG a.a.O., S. 92.

8 BVerwG a.a.O., S. 84.

9 Michael Bothe in Graf Vitzthum, Völkerrecht, 4.A., 2007, 8.Abschnitt, RdNr. 22; Horst Fischer aaO, § 59, RdNr. 26.

10 BVerwG a.a.O. S. 79; Bothe aaO, RdNr. 19.

11 Das BVerwG a.a.O., S. 95, hat zwar nur gravierende völkerrechtliche Bedenken geäußert, hatte in dem Disziplinarverfahren aber auch nicht über mehr zu entscheiden.

12 A-Res 3314 (XXIX).

13 Dazu im einzelnen Dieter Deiseroth, „Das Friedensgebot des Grundgesetzes und der UN-Charta – aus juristischer Sicht“ in Becker/Braun/Deiseroth „Frieden durch Recht“ 2010, S. 41 f.

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Bernd Hahnfeld ist Richter im Ruhestand und Gründungs- und Vorstandsmitglied der IALANA.