Friedensarbeit in Europa

Internationale Kontakte und Kooperationen

von Reiner BraunKristine Karch
Schwerpunkt
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Friedensbewegungen sind seit über 150 Jahren immer auch international. Frieden kann global nur in gerechten und nachhaltigen Gesellschaften und internationalen Kooperationen auf allen Ebenen erreicht werden. Dieses große Ziel im „Kleinen“ vorzuleben, dienen internationale und europäische Kooperationen der Friedensbewegungen.

Friedensarbeit in Europa ist mehr und umfassender, aber auch komplizierter als Friedensarbeit in der EU. Europa reicht vom Atlantik bis zum Ural. Es schließt den politischen „Hauptgegner“ der EU-Eliten, die Russische Föderation, mit ein.
Weder Europa noch die Europäische Union waren und sind ein „Europa des Friedens“: Die furchtbaren Kriege im ehemaligen Jugoslawien und in der Ukraine sind nur zwei Beispiele vielfältiger, auch kriegerisch ausgetragener Konflikte (und vergessen wir nicht Moldawien, Georgien, Nord-Irland) in Europa.

Zivile Konfliktbearbeitung, getragen von Zivilgesellschaften und OSZE, sind eher selten. Stattdessen dominiert mit dem Marsch der „NATO nach Osten“ und der EU-Militarisierung Kriegslogik und militärisches Denken die Innen- und Außenpolitik der europäischen Länder. Die erfolgreiche Politik der „gemeinsamen Sicherheit“ wird bestenfalls in Sonntagsreden verbannt. Realität sind Hochrüstung und Konfrontation. Statt Diplomatie und Kooperationen gibt es Sanktionen.

Die eurozentristische Legende des Friedensprojektes Europas galt – wenn überhaupt – für die Staaten der (alten, kleinen) EU nach „Innen“ bis 1990 und nur, wenn der Krieg gegen die Umwelt, patriarchale Macht- und Herrschaftsstrukturen und „strukturelle Gewalt“ (Galtung) ebenso ausgeblendet werden, wie die Einbindung - als europäische NATO-Partner - in die Konfrontation mit der Sowjetunion und die (kriegerische) Unterdrückung und Ausbeutung des Südens, einschließlich der Beteiligung an Kolonialkriegen.

Aufklärung über diese Legende der Regierenden gehört zwingend zur aktuellen europäischen Friedensarbeit, gerade angesichts der aktuellen EU Militarisierung und Pesco. Europäische und internationale Friedensarbeit – besonders die erfolgreiche – ist oft kaum zu unterscheiden und bedingt sich gegenseitig, z.B. bei den Kampagnen gegen die Landminen, gegen Cluster Munition oder bei ICAN.

Häufig haben europäische Friedensaktivitäten eine transatlantische Komponente, wie bei den Aktionen gegen die NATO oder im Ringen um eine Politik der gemeinsamen Sicherheit in Europa auf Basis des OSZE-Zusammenschlusses.

Friedensaktivitäten in Europa
Vielfältige friedenspolitische Anstrengungen (diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit) bestimmen heute die kooperativen Friedensaktivitäten in Europa:

  • Für eine Welt ohne Atomwaffen: ICAN, Abolition 2000 und deren Arbeitsgruppe „No Nukes in Europe“, das neue europäische Netzwerk gegen Atomwaffen, sind wichtige Partner im Ringen um eine Welt ohne Atomwaffen und für die Durchsetzung des Verbotsvertrags. Mit dem Europatreffen gegen Atomwaffen im September 2019 bahnten sich neue Vernetzungen an. Bestehende wie in Büchel werden ausgebaut, um den vielfältigen Herausforderungen nach Ende des INF-Vertrages gerecht zu werden.
  • Gegen den Rüstungsexport aus der EU und aus einzelnen europäischen Staaten: Hier agieren ENAAT (European Network Against Arms Trade) u.a. mit der Kampagne „Kein EU-Geld für Waffen!“ und das neue Netzwerk „Global Net - Stop the Arms Trade“, das vor allem Aufklärungsarbeit über Waffenexport-Akteure leistet.
  • Gegen das globale Kriegsbündnis NATO und die europäische Militarisierung: Zentral ist dabei das Netzwerk „No to war - No to NATO“. Die Proteste gegen die NATO-Gipfel in Europa sind mit die größten europäischen Friedensaktionen, siehe u.a. die Gegengipfel und Demonstrationen in Brüssel in den letzten Jahren und in London im Dezember 2019. Keine Nato-Gipfel ohne Proteste seit 2009!
  • Frauen gegen Militarisierung: Auf europäischer Ebene setzen sich „Women in Black“, WILPF und das Netzwerk „Women against NATO“ für Frieden und gegen Gewalt gegen Frauen ein.
  • Für umfassende Abrüstung: Hervorzuheben ist hier sicher GCOMS (Global Campaign Against Military Spending), die weltweite Kampagne von IPB gegen die Rüstungsausgaben und für eine umfassende Abrüstung. Das Nachdenken über eine europäische Kampagne gegen das 2% Aufrüstungsziel der NATO, welches auch von der EU übernommen wurde, wird hoffentlich zu mehr gemeinsamen Aktionen führen. Die europäische Militarisierung, Pesco und die europäische Rüstungsindustrie erhöhen den Druck dafür.
  • Anti-Militärbasen Aktivitäten: Die Aktivitäten der Kampagne „Stopp Air Base Ramstein!“ und des damit verbundenen internationalen Netzwerkes gegen alle ausländischen Militärbasen haben genauso einen europäischen Pfeiler wie die gemeinsamen internationalen Drohnenaktivitäten.
  • Solidarität mit einzelnen Konfliktregionen: Länderübergreifende Solidaritätsbewegungen, z.B. mit Cuba, Rojava und viel zu wenig mit dem Friedensprozess in und um Palästina/Naher und Mittlerer Osten.
  • Für umfassende Kriegsdienstverweigerung: Nach wie vor sind die Aktivitäten der WRI (War Resisters International) bedeutend. Gemeinsam muss das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung erkämpft und verteidigt werden.
  • Für Zivile Konfliktbearbeitung (ZKB), Krisenprävention und Peacebuilding: Vielfältige Initiativen und Organisationen sind auf europäischer Ebene aktiv. Dazu haben 39 Organisationen und Netzwerke das Lobbybüro EPLO (European Peacebuilding Liaison Office) in Brüssel gegründet – u.a. International Alert, die International Crisis Group und aus Deutschland die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und die Berghof Foundation gehören dazu.
  • Die früher bestehende European Platform for Conflict Prevention and Transformation ist in das GPACC-Netzwerk (aufgegangen; auch das European Network Civil Peace Initiatives existiert nicht mehr. Diese meisten dieser Organisationen setzen sich für den Ausbau von ZKB ein, ohne eine explizit antimilitarisch-pazifistische Position zu beziehen.
  • Verschiedene international tätige Organisationen, die sich für ziviles Peacekeeping einsetzen, haben einen Schwerpunkt in Europa. Dazu gehören u.a. Peace Brigades International, Nonviolent Peaceforce und das Ecumenical Accompaniment Programm in Palestine and Israel.
  • Freundschaft und Kooperation mit Russland: In der Vorbereitung des 75. Jahrestages der Befreiung werden in verschiedenen europäischen Ländern gemeinsam koordinierte Aktivitäten vorbereitet. Diese knüpfen an viele Erfahrungen der Entspannungspolitik der 1970/80er Jahre an und entwickeln auch neue Vorschläge, wie z.B. einen geplanten Friedenszug von Paris nach Moskau.

Viele dieser Aktivitäten stehen noch am Anfang und gewinnen erst langsam eine größere europäische Ausstrahlung. Politische Differenzen über die Bewertung von EU und Europa führen zu notwendigen Debatten über neoliberale Hegemonie und Alternativen in und zu EU-Europa, behindern bisher aber kaum gemeinsame friedenspolitische Aktivitäten. Brexit ist ein weiteres Argument für mehr friedenspolitisches Engagement in und für Europa, war doch die Antwort der Herrschenden eine weitere Militarisierung der EU unter Federführung von Deutschland.

Die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene umfasst gleiche und ähnliche Aktionsformen wie auf nationaler Ebene:, Flash Mobs, Aktionen des Zivilen Ungehorsams bis hin zu koordinierten Großaktionen und Lobbying. Die größte weltweite, aber auch europäische Aktion sind sicher immer noch die Massendemonstrationen am 15.02.2003  gegen den damals drohenden Irak Krieg. Wichtiger Anknüpfungspunkt für heute sind die gemeinsamen Aktionen gegen den sogenannten NATO-Doppelbeschluss im European Network for Disarmament (END) und die europäische Frauenfriedensvernetzung in den 1980er Jahren.

Vernetzungen auf europäischer und internationaler Ebene werden heute durch das Internet und die sozialen Medien erleichtert und intensiviert.
Regionale länderübergreifende Zusammenarbeiten entstehen z.B. im Grenzgebiet zwischen Niederlande und Deutschland oder in der Bodenseeregion. Länderübergreifende Ostermärsche sind gute Beispiele für ein friedliches Europa der Regionen.

Herausforderungen
Über Friedensaktivitäten in Europa reden, heißt auch, vielfältige Schwierigkeiten zu thematisieren.

  • Friedensbewegungen mit einer Infrastruktur aus vielfältigen aktiven Organisationen gibt es faktisch nur in den Ländern der „alten“ EU und dort auch ganz unterschiedlich. Ost und Zentraleuropa ist für Frieden organisationspolitisch weitestgehend ein weißer Fleck. Das heißt nicht, dass es nicht auch dort FriedensaktivistInnen gibt. Ähnliches gilt für Russland.
  • Das große europäische Friedenfestival in Sarajevo im Juni 2014 mit starker Beteiligung der Region ist eher eine Ausnahme.
  • Fast alle Bewegungen sind nach wie vor dominant national ausgerichtet, internationale Kooperationen sind nicht tragende, sondern eher begleitende Erscheinungen nationaler Aktivitäten. Vernetzungen stehen häufig auf dem Papier oder sind Angelegenheiten von Einzelnen. Umso bedeutender sind deshalb die positiven Entwicklungen der letzten Jahre wie NATO-Proteste, die Ramstein-Kampagne, Büchel, G20, etc.
  • MigrantInnen und People of Color spielen in den europäischen Friedensbewegungen nur eine untergeordnete Rolle.
  • Die vielfältigen Belastungen von viel zu wenig aktiven Menschen führen nicht selten zu einer nur lokalen, regionalen und bestenfalls nationalen Ausrichtung. Frauen sind wesentlich häufiger nur an der Basis aktiv, die Vernetzung machen überwiegend Männer.
  • Auf europäischer Ebene sind die Friedensbewegungen oft überaltert, eine Ausnahme bildet ICAN, die sehr viele junge Menschen aktivieren konnte.
  • Die Vielfalt der Sprachen ist nach wie vor mehr trennend als verbindet. Die englische Sprache verbindet, grenzt aber auch aus.
  • Es gibt zwar größere internationale Friedensnetzwerke, z.B. das International Peace Bureau, aber kaum europäische Vernetzung.
  • Vor allem das Thema „innere Militarisierung“ und die damit verbundenen Erhöhung des Gewaltpotentials in Gesellschaften, das vor allem Frauen und MigrantInnen trifft, werden zu wenig gemeinsam bearbeitet. (Was genau ist mit dieser Militarisierung gemeint?)
  • Aber: die Zusammenarbeit im kirchlichen Bereich, besonders bei Pax Christi, strahlt zunehmend auf andere Organisationen und Netzwerke aus. Berufsbezogene Kooperationen, z.B. bei der IPPNW oder bei der Zivilklausel-Initiative, stärken die gemeinsamen Friedensaktivitäten.
  • Europäische friedenspolitische Kooperationen und Netzwerke verlieren ihren Exotenstatus.
  • Die Friedensbewegungen sollten auch auf europäischer Ebene die Zusammenarbeit mit anderen sozialen Bewegungen intensivieren und verstärken.
  • Welche neuen Impulse auf die europäischen Friedensbewegungen durch intensivere Kooperationen mit der internationalen Umweltbewegung -mit „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“ gegen Klimadesaster und Umweltzerstörung - möglich sind, wird sich zeigen.

Europäische Friedensarbeit ist kein „Eurozentrismus“. Mehr Frieden in Europa versteht sich als Teil der globalen Herausforderungen für Frieden und Gerechtigkeit. Eine europäische Friedensinsel ist nicht nur illusionär, sondern auch reaktionär. Abschottung ist Politik der AfD, niemals der Friedensbewegungen, internationale Solidarität ist untrennbarer Bestandteil europäischer Friedensaktivitäten.

Ob die Alternativen hin zu einem friedlichen Europa weiterentwickelt und gestärkt werden können, hängt von weiteren erfolgreichen Projekten in den nächsten Jahren ab.

Dabei sind die zentralen Herausforderungen sowohl nationale als auch internationale: Ohne Abrüstung und Kooperation, d.h. auch, ohne ein Ende der EU-Militarisierung gibt es kein friedliches Europa. Eine offene Frage bleibt: Wird  es eine gemeinsame europäische

Antwort auf die drohende Stationierung neuer landgestützten Atomwaffen in Europa nach dem Ende des INF-Vertrages geben?

Es lohnt sich bei diesen Projekten auch auf europäischer Ebene weiter zu mitzuwirken – um des Friedens Willens.

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Reiner Braun war Geschäftsführer der IALANA Deutschland und ist ehem. Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB).
Kristine Karch engagiert sich beim International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES)