Ist die Entmilitarisierung Deutschlands eine Utopie?

von Werner Kuhn

Bedauerlich ist heute die Stagnation in vielen Friedensinitiativen. Frühe und zeitgemäße Einsichten wie: "Ohne Rüstung leben, Schwerter zu Pflugscharen oder Friedenschaffen ohne Waffen" wurden zu keinem konkreten Konzept für eine neue Friedensordnung entwickelt. Grund dafür dürften Zweifel an der Realisierbarkeit solcher Friedensvorstellungen gewesen sein und die weit verbreitete Ansicht, daß Frieden ohne Waffen allenfalls für kleinere Völker möglich ist.

Grundlegende Veränderungen in der Welt werden jedoch erst eintreten; wenn auch größere Völker auf eine militärische "Friedenssicherung" verzichten. Besonders wir Deutsche hätten nach den bitteren Erfahrung in zwei verlorenen Weltkriegen allen Grund, eine politische Friedenssicherung zu suchen. Vor allem dichtbesiedelten Ländern mit Atomanlagen, wie wir es sind, kann dieser Schritt besonders leicht fallen, da sie mit der Einführung dieser Technik ihre Verteidigungsfähigkeit ja ohnehin schon aufgegeben haben. Schon Zwergstaaten oder Sabotagekommandos können solche Länder ja nach Belieben in kriegsähnliche Katastrophen stürzen. Nur realitätsferne Politiker und Militärs weigern sich nach Tschernobyl noch einzugestehen, daß alle Betreiberländer von Atomanlagen sich selbst tödlich verwundbar gemacht heben. Wer massiven Terror gegen die Industrienationen vermeiden will, kann das heute nur noch durch die Sicherung der Lebensbedürfnisse für alle Menschen erreichen. Außerdem ist das heute schon billiger als die Fortsetzung des Rüstungswettlaufs und die vielen Stellvertreterkriege in aller Welt.

Damit von deutschem Boden nicht nur kein Krieg, sondern Frieden ausgeht, müssen wir uns um die Wiederherstellung des entmilitarisierten Status, wie er nach Ende des 2. Weltkrieges für Deutschland-festgelegt wurde, und um internationale Garantien für die territoriale Unverletzlichkeit einer solchen entmilitarisierten Region bemühen. Das heißt konkret: Austritt beider deutscher Teilstaaten aus der NATO und dem Warschauer Pakt mit UN-Status für Westberlin und Festschreibung der Entmilitarisierung im Grundgesetz bzw. der Verfassung beider Staaten. Auch Sorgen vor neuen politischen und militärischen Fehlentwicklungen in Deutschland wären damit endgültig beseitigt. Der Austritt aus den Militärblöcken muß nicht einmal das Verlassen der jeweiligen Wirtschaftsvereinigungen zur Folge haben, da neue Wirtschaftsverflechtungen sogar eine verbindende Funktion zwischen unterschiedlichen Gesellschaftssystemen haben können. NATO und Warschauer Pakt könnten sogar mit UNO-Organisationen zusammen die Einhaltung getroffener Vereinbarungen mitgarantieren. So würde auch dem Sicherheitsbedürfnis solcher Bürger Rechnung getragen, denen vertragliche Regelungen allein, wie z.B. Finnland und Österreich zur Wahrung ihrer Souveränität getroffen haben, nicht ausreichen.

Voraussetzung für eine eigenständige Politik außerhalb der Militärblöcke ist jedoch die Umwandlung von Bundeswehr und Volksarmee in einen Katastrophen- und Entwicklungshilfedienst. Ein so gearteter Friedensbeitrag statt der Rüstung beseitigt die Zukunftsangst unserer Nachbarn ebenso wie die der Soldaten und weist den letzteren eine sinnvolle Aufgabe zu, ohne zu schnelle Veränderungen der Weltwirtschaftsstrukturen hervorzurufen.

Freiwerdende Rüstungsgelder müssen deshalb wettbewerbsneutral und ideologieübergreifend zur Krisenbewältigung in der Welt eingesetzt werden. Die Vereinbarungen einer Arbeitsgruppe zwischen SPD und KPdSU, einen Solidaritätsfonds für die Dritte Welt zu schaffen, in den freiwerdende Rüstungsgelder eingezahlt werden sollen, und das "Zukunftsprogramm Dritte Welt" der SPD zeigen, daß die in den 70er Jahren belächelten "Utopien" - Entwicklungshilfe statt Rüstung - inzwischen als politische Notwendigkeit erkannt werden. Nur ein völliger Verzicht auf Waffen, wenigstens in Teilbereichen der Welt kann jedoch genügend Mittel freisetzen, um zur Entschärfung des Nord/Süd-Konfliktes Wesentliches beizutragen.

Eine zeitgemäße Friedensordnung wird mehr und mehr zu einer Überlebensfrage für unsere Generation. Die "Utopien" von heute sind die Realität von morgen, wenn sich genügend Menschen dafür einsetzen. Schaffen wir eine Allianz der Vernunft, die diese Jahrhundertaufgabe verwirklicht.

(Der Beitrag ist aus Platzgründen gekürzt, deshalb nachstehend die Adresse des Verfassers für diejenigen, die den vollständigen Text haben wollen: W. Kuhn, Linnenkampstr. 42, 4544 Ladbergen)

 

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Werner Kuhn wirkt in der Westfälischen Friedensinitiative mit.