Kampagne "Vorrang für zivil"

von Ute Finckh-Krämer
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Vorrang für Zivile Krisenprävention oder für zivile Konfliktbearbeitung wird von Politikern aller Parteien beschworen. Im selben Atemzug wird meistens darauf verwiesen, dass Militär als ultima ratio zur Verfügung stehen müsse. Dementsprechend wächst die Zahl der Papiere, in denen Kriterien aufgelistet werden, deren Erfüllung den Einsatz von Militär rechtfertigen soll. Um die Verwirrung komplett zu machen, weisen Bundeswehrvertreter inzwischen mit mehr Nachdruck als die meisten Politiker auf die Tatsache hin, dass Militär weder Konflikte lösen noch zum wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Wiederaufbau nach einem gewaltsam ausgetragenen Konflikt beitragen kann, und betonen, dass dies originär zivile Aufgaben seien.

Trotz (oder wegen?) dieser Diskussion erfolgt der Aufbau von Kapazitäten für zivile Krisenprävention bzw. gewaltfreie Konflikttransformation nur im Schneckentempo, während jedes Jahr Milliardenbeträge in die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die dazugehörige Umstrukturierung und Umrüstung der Streitkräfte fließen. Der 2004 verabschiedete Aktionsplan "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" der Bundesregierung stellt zwar umfassend dar, was ressortübergreifend getan werden könnte, um die Gefahr der Eskalation von Konflikten zu Krieg oder Bürgerkrieg zu reduzieren oder Friedens- und Versöhnungsprozesse in Gang zu setzen bzw. dauerhaft zu etablieren. Jedoch werden weder zusätzliche finanzielle Mittel für die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen bereit gestellt noch handlungsfähige ressortübergreifende Strukturen dafür geschaffen.

Die InitiatorInnen der Kampagne "Vorrang für zivil" wollen daher in einer zeitlich befristeten Kampagne einerseits mehr Bewusstsein in der Öffentlichkeit dafür schaffen, welche Instrumente zivilen Handelns mittlerweile zur Verfügung stehen und bei besserer Ausstattung wirksamer eingesetzt werden könnten, und andererseits die PolitikerInnen, die von Vorrang reden, fragen, wie sie das Primat des zivilen Handelns und der Prävention in praktische Politik umsetzen wollen. Wir wollen erreichen, dass die finanziellen und personellen Ressourcen für zivile Krisenprävention in all ihrer Vielfalt so ausgebaut werden, dass das Primat des Zivilen nicht mehr nur theoretisch verkündet, sondern endlich auch praktisch verwirklicht wird. Alle Politikbereiche sind gefragt, die Eskalation von Konflikten zu gewaltsamer Austragung zu verhindern oder in bereits eskalierten Konflikten dauerhafte Friedensprozesse in Gang zu setzen und zu unterstützen. Deswegen möchten wir nicht nur Friedensgruppen, sondern auch Menschen und Gruppen, die sich für Entwicklungspolitik und Menschenrechte engagieren, mit der Kampagne ansprechen.

Bisherige Kampagnen der Friedensbewegung haben sich vor allem gegen bestimmte Waffensysteme (Nuklearwaffen, Landminen, Streubomben), gegen Waffenexporte (Rüstungsexportkampagne) bzw. für ihre strikte Kontrolle (Kleinwaffen), gegen die Wehrpflicht oder gegen Militär allgemein (Bundesrepublik ohne Armee) gerichtet. Die Kampagne "Vorrang für zivil" setzt umgekehrt an: Bei dem, was als Alternative zu Militär und Rüstung aufgebaut werden kann. Sie ist keine Kampagne gegen Rüstung und Militär, sondern für zivile Alternativen. Damit können TINA-Argumente ("there is no alternative") entkräftet werden.

Die meisten friedenspolitisch aktiven Menschen sind sich der Tatsache bewusst, dass der Kampf gegen Rüstung und Militär und der Kampf für gewaltfreie Alternativen zusammen gehören. Viele unterstützen daher konkrete Friedensprojekte in Konfliktregionen. Die allgemeine Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit für zivile Alternativen bleibt zwischen anlassbezogener Kritik an Rüstung und Militär und dem Einsatz für konkrete Projekte oft auf der Strecke. Die Kampagne soll daher die entsprechenden Aktivitäten der beteiligten Organisationen bündeln und damit effektiver machen. Im Rahmen einer zeitlich befristeten Kampagne können auch diejenigen "Vorrang für zivil" fordern, die dafür kämpfen, langfristig Rüstung und Militär komplett abzuschaffen.

Die InitiatorInnen der Kampagne halten im Rahmen einer zeitlich begrenzten Kampagne die Verwendung des Begriffes "Vorrang" für sinnvoll, weil damit nicht ein dauerhaftes politisches Ziel, sondern ein in einem begrenzten Zeitraum erreichbarer Zwischenschritt bezeichnet wird. Dieser Zwischenschritt kann sowohl von Menschen und Organisationen, die sich mit ihrer ethischen Grundposition in den "10 Thesen zum Gewaltverzicht" von Ullrich Hahn (vgl. FF 4-07) wiederfinden, mitgetragen werden, als auch von Menschen, die davon ausgehen, dass zumindest der Einsatz polizeilicher Gewalt noch auf längere, vielleicht auf unabsehbare Zeit nicht immer ganz vermieden werden kann.

Die "10 Thesen zum Gewaltverzicht" haben nicht nur wegen der Kritik an der Verwendung des Wortes "Vorrang" im Titel der Kampagne oder in Veröffentlichungen der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), sondern generell zu einer lebhaften Diskussion in der Friedensbewegung geführt.

Die AGDF, der der Versöhnungsbund als Mitglied angehört, sieht die Thesen des Versöhnungsbund-Vorsitzenden Ullrich Hahn als Chance, die inhaltlichen Differenzen um das Thema Gewaltfreiheit (wieder) aufzugreifen und dadurch wichtige Anregungen für die Praxis zu gewinnen. Sie veranstaltet daher eine Studientagung mit dem Titel "Vorrang - Nachrang - kein Rang? Gewaltverzicht und politische Praxis" vom 30.05. bis 01.06.2008 in der Jugendherberge Kassel. Ein wichtiges Ziel der Studientagung ist es, eine gemeinsame Basis zu schaffen für politisches Handeln in der Friedensbewegung (und Differenzen bewusst zu machen) und gemeinsam ethische Grundlagen und Kriterien für politisches Handeln zu formulieren. Zu der Studientagung eingeladen sind alle Interessierten, insbesondere diejenigen, die sich bei einer Mitgliedsorganisation der AGDF oder der Kooperation für den Frieden engagieren.

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