13. Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden

„Lasst uns Russland nicht zum Feind machen!“

von Susanne GrabenhorstWiltrud Rösch-Metzler
Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden
Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden
(c) Kooperation für den Frieden

Für eine Neubelebung der europäischen Friedensordnung und gegen eine Stationierung von NATO-Kampftruppen an den russischen Außengrenzen, wie sie der NATO-Gipfel im Juli in Warschau beschließen könnte, haben sich die Teilnehmenden der Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden, ein Zusammenschluss von über 50 Friedensorganisationen und -Gruppen in Deutschland, ausgesprochen. Auf der Konferenz mit dem Titel „Kalter Krieg in Europa? Herausforderungen an eine gemeinsame Friedenspolitik“ vom 19. - 20. Februar in der Leipziger Probsteikirche forderten sie die Stärkung der OSZE, die Wiederbelebung des Nato-Russlandrates und warnten vor einer Aufrüstung der Bundeswehr und der Nato.

Es waren etwa 90 Menschen gekommen, darunter einige junge Leute, die bei ihrer Suche nach Möglichkeiten, in diesen Zeiten einer politischen Zuspitzung aktiv zu werden, auf die Konferenz gestoßen waren. Unter den ReferentInnen waren Personen, die in der deutschen Friedensbewegung schon länger bekannt sind, aber auch internationale Gäste. Sie vermittelten ihre interne Sichtweise auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Polen bzw. Russland.

Europas Selbstverständnis sollte das einer zivilen Friedensmacht sein, erklärte der ehemalige Generalsekretär des Weltkirchenrates Konrad Raiser, der sich in der EKD für eine neue europäische Friedenspolitik engagiert. Statt einer schnellen Eingreiftruppe sollte die EU Personal für UN-Friedensmissionen bereitstellen. Solche Polizeieinsätze dürften nicht nur armen Staaten überlassen werden. Raiser plädierte dafür, bereits ausgehandelte Grundlagen für eine europäische Friedensordnung, wie die Schlussakte von Helsinki und die Charta von Paris für ein neues Europa, in der im Jahr 1990 die Staaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung des Kontinents für beendet erklärten und versprachen, ein neues Europa der Demokratie, des Friedens und der Einheit aufzubauen, neu zu beleben. Die NATO-Osterweiterung bezeichnete Raiser als einen Schritt, dem eine „unzureichende Einschätzung“ zugrunde liegt.

Die Schriftstellerin Daniela Dahn mahnte angesichts der Flüchtlinge, die Chance nicht verstreichen zu lassen, Antworten zu den Fluchtursachen geben. „Wir haben keine Flüchtlingskrise, wir haben eine Besitzstandskrise.“ Sie plädierte für Umverteilung angesichts der täglich weltweiten Militärausgaben von vier Milliarden Euro und den von der UN benötigten 400 Millionen Euro, um Armut und Krankheit zu lindern. Es sei eine Lebenslüge gewesen, anzunehmen, ein kleiner Teil der Welt könne in Reichtum und Frieden leben, während drei Viertel der Menschen in Afrika in Armut lebten. Respektvoll blickte sie auf die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin. Merkel habe verstanden, „dass wir gar keine andere Wahl haben als ‚wir schaffen das‘“.

Einen OSZE-Prozess für die Türkei schlug der Völkerrechtler Norman Paech vor. Er unterstützte damit Forderungen nach einer stärkeren Rolle der OSZE und der UNO. Darüber hinaus plädierte Paech für die Einhaltung der UN-Charta und warnte vor einer „Dehnung“ des Völkerrechts. Im Fall von Syrien habe die Bundesregierung eine US-amerikanische Auslegung des Völkerrechts übernommen, die da laute, „wenn ein Staat unfähig ist, seine Bevölkerung zu schützen, dann dürfen wir rein“.

Reiner Braun, Geschäftsführer der juristischen Friedensorganisation IALANA, verwies auf die 17 Milliarden Euro, die die bisherigen Auslandseinsätze der Bundeswehr nach Angaben der Bundesregierung gekostet hätten. Im Blick auf das neue Weißbuch der Bundesregierung, das im Sommer veröffentlicht werden soll, befürchtete er weitere Aufrüstung. Dazu zählen 130 Milliarden für neue Waffensysteme, die Verteidigungsministerin von der Leyen ausgeben möchte. Außerdem will sie  den Rüstungsexport ausbauen. Dazu sei sie auch bereit, den Konflikt mit dem Wirtschaftsminister zu führen.

Referenten aus Polen und Russland plädierten ebenfalls für Dialog und Kooperation in Europa. Der polnische Anwalt und Abgeordnete Piotr Ikonowicz berichtete von den Schattenseiten des wirtschaftlichen Erfolgs von Polen. Armut und Demütigung bildeten ein gefährliches Moment. Eine Million polnische Kinder seien mangelernährt und 75% von ihnen lebten in überbelegten Wohnungen. Alle PolitikerInnen hätten dieselbe Haltung zur Sicherheitspolitik und zur Nato, die sich aber nicht mit der Meinung der Bevölkerung decke. So hätten 80% der Polen den Irakkriegseinsatz abgelehnt, an dem Polen teilgenommen hat. Eine Friedensbewegung in Polen sei aber derzeit kaum vorhanden. Dennoch werde es Proteste gegen den Nato-Gipfel am 10. Juli in Warschau geben.

Roman Dolgov schilderte Russland als ein Land ohne Gewaltenteilung und mit verordnetem Patriotismus. „Das Risiko für einen Atomwaffeneinsatz erscheint heute größer als noch in den 80er Jahren“, warnte Dolgov, der in Moskau für IPPNW und Greenpeace gearbeitet hatte. „Damals war es sowjetische Position, Atomwaffen nicht als erste einzusetzen.“ Jetzt äußere sich Russland anders. Dolgov betonte aber auch, dass eine Drohung mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen zuvor bereits von der amerikanischen Seite geäußert worden sei. Gemeinsam mit Christine Schweitzer, der Geschäftsführerin des BSV, wandten sich beide Referenten im Rahmen einer Podiumsdiskussion gegen weitere Rüstungsvorhaben der NATO und die Verlegung von NATO-Kampftruppen in den Osten.

In Workshops wurden Strategien für die Arbeit der Friedensorganisationen beraten. Für eine Neubelebung einer europäischen Friedensordnung, die Russland miteinschließt, gilt es, Konfrontation zu verringern, gemeinsame Interessen zu thematisieren und Kommunikation von unten zu pflegen. Dazu gehört der Dialog mit Kirchen, der Austausch z.B. von Schulklassen, der Dialog mit Russlanddeutschen, einen Helsinki II Prozess anzustoßen, Abrüstung und Städtepartnerschaften wiederzubeleben, Sanktionen zu beenden. Eine neue Homepage http://neue-entspannungspolitik.berlin wird derzeit aufgebaut. Die OSZE soll zu einem Instrument kooperativer Sicherheit ausgebaut werden. Einflussnahme ist möglich über Mitglieder wie Deutschland oder den Vatikan. Der Protest gegen die Modernisierung der in Büchel stationierten Atomwaffen soll intensiviert werden. Internationale Abkommen sollen zur Kontrolle von Cyber-Attacken geschlossen werden.

Was folgt?

Soziale Gerechtigkeit ist eine unverzichtbare Voraussetzung für nachhaltigen Frieden, das wurde nicht nur aus dem Vortrag von Daniela Dahn deutlich. Europa ist trotz Friedensnobelpreis derzeit weit davon entfernt, eine Friedensmacht zu sein. Es gab und gibt aber Ansätze, die es diesem Anspruch näher bringen können, wie die Helsinki-Akte und die Charta von Paris.

Trotz ihrer Fehlerhaftigkeit sind die UN und die OSZE Instrumente, die dem Völkerrecht und dem Frieden dienen können. Deutschland hat in diesem Jahr die Präsidentschaft der OSZE inne, und damit besteht die Chance, diese Organisation stärker in die Öffentlichkeit zu bringen und auf die Regierung im Sinne einer konstruktiven Präsidentschaft einzuwirken.

Die Rüstungsausgaben sind in Zeiten, in denen über die Kosten des Empfangs von Flüchtlingen viel geschrieben und geredet wird, ein wichtiges Argument in der Debatte über die Wiederherstellung des Friedens. 34 Milliarden werden 2016 in den Wehretat fehlinvestiert - 4 % mehr als im Vorjahr. Dazu sollen jährlich etwa 9 Mrd. Euro für neue Aus- und Aufrüstungsprojekte kommen, 130 Mrd. bis 2030.

Wie schon bei den vorangegangenen Konferenzen zeigte sich die Schwierigkeit für die Friedensbewegung, angesichts der Fülle der Herausforderungen und der Fülle von Handlungsansätzen genügend Kräfte dafür zu mobilisieren. Eine zeitlich begrenzte Konzentration der Kräfte auf eine Auswahl von Ansätzen, die aufeinander abgestimmt sind, wäre sinnvoll. Diese Diskussion wird immer wieder geführt und muss weitergehen. Aus den Rückmeldungen der TeilnehmerInnen ergab sich, dass viele von ihnen sich schlicht mehr Zeit wünschten. Sie möchten mehr Möglichkeiten zum Austausch, zur Beteiligung und zur gemeinsamen Entwicklung von Ideen. Von Menschen, die sich neu für Friedensthemen interessieren, wurde der Wunsch nach Basisinformationen geäußert, die nicht nur für alte Hasen und Häsinnen verständlich sind. Bei der Planung weiterer Konferenzen sollten wir noch stärker auf interaktive Formate setzen  und vielleicht so etwas wie Einsteigerinnen-Workshops anbieten.

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Susanne Grabenhorst ist Ärztin für Psychosomatische Medizin und Vorsitzende der deutschen Sektion der Internationalen ÄrztInnen für die Verhütung des Atomkriegs, ÄrztInnen in sozialer Verantwortung (IPPNW).
Wiltrud Rösch-Metzler ist Journalistin und pax christi Bundesvorsitzende.