Frauenwiderstand gegen Atomwaffen

Sternschnuppen über Büchel

von Marion Küpker

Über 24 Stunden blockierte „Abrüstungsinstrumente: Rhythm Beats Bombs“ vom 11./12. August alle neun Tore des Bundeswehr-Atomwaffenstützpunktes Büchel. 750 Menschen kamen zum Auftaktkonzert um 5 vor 12 Uhr am Sonntag und verteilten sich anschließend auf die Tore. Der „Fliegerhorst“ erteilte im Vorfeld seinen SoldatInnen Urlaubssperre und cancelte alle regionalen Lieferungen für Montag, den 12. August, sodass sie ohne frische Brötchen in der Basis ausharren mussten.

„Unsere“ Regierung entschied sich zum Totschweigen unserer Proteste vor der jetzt anstehenden Bundestagswahl. Eine Räumung hätte ihnen Bußgelder und Verfahren mit führenden VertreterInnen, Vorständen, GeschäftsführerInnen der größten Friedensorganisationen in Deutschland sowie international eingebracht. Dies hätte die geplante Atomwaffen-Modernisierung ans Licht der Öffentlichkeit gebracht und damit eine Solidaritätswelle auslösen können.

Alyn Ware aus Neuseeland von ICAN, Rebecca Johnson aus Großbritannien vom CND, Susy Snyders aus den USA von WILPF, Krista von Velzen aus Holland von IKV Pax Christi und John LaForge aus den USA von NUKEWATCH waren einige unserer internationalen TeilnehmerInnen. So ist es nicht verwunderlich, dass unsere Blockade von der überregionalen Mainstream-Presse weitgehend totgeschwiegen wurde.

 

Aktionen im Vorfeld
Bereits Ende Juli besuchte ich mit zwei weiteren Frauen das Frauenmusikfestival im Hunsrück, welches durch einige Organisatorinnen des Frauenwiderstandscamp aus den 1980ern gegen die nuklearen Marschflugkörper vom Typ Cruise Missile entstanden war. Ziel war es, wieder mehr Frauen aus der Region von damals einzubinden und unser Tor 1 („Frauenwiderstand“) mit einer Litfasssäule und einem Büchertisch zu bewerben.

Die jährliche Fastenaktion am „Fliegerhorst“ begann diesmal vor dem KanzlerInnenamt in Berlin mit Pfarrer Matthias Engelcke vom Initiativkreis gegen Atomwaffen und wurde vom 4. bis zum 9. August am Bücheler Haupttor fortgesetzt, wo parallel die Aufbauarbeiten für unser Aktionscamp stattfanden. Mit Matthias hatte ich bereits ein bewegendes Wochenende Anfang Juni: Wir machten auf dem Berliner Friedensfestival am Alexanderplatz einen Mobilisierungs-Büchertisch. Am darauffolgenden Montag spendete er eine Niere an einen Freund vom Internationalen Versöhnungsbund - vertrauend darauf, dass er im August schon wieder in der Lage sein würde, selbst auch an der Fastenaktion in Büchel teilzunehmen.

Neun Menschen (darunter auch ich) fasteten am Bücheler Haupttor parallel mit den Fastenden in Frankreich und Großbritannien, die gegen ihre eigene Atomwaffen-Modernisierung protestierten. Über eine Skype-Verbindung mit Paris erfuhren wir am 7. August, dass dort 60 Menschen (davon drei Deutsche) + 20 UnterstützerInnen fasteten.

 

Frauen hüten die Nagasaki-Flamme
Als Mitverantwortliche des Kampagnenrats für das Tor 1 erhielt ich von der japanischen Frauenorganisation New Japan Women's Association, die mit Tausenden von Teilnehmerinnen am 8. August in Nagasaki ihr „No Nuke! Women's Forum“ abhielt, eine einminütige Video-Grußbotschaft für „unsere Schwestern und alle Blockierenden in Büchel“. Darin übergaben sie uns symbolisch die Flamme von Nagasaki für unsere Aktion. Bei der Gedenkandacht zum Atombombenabwurf am 9. August am Haupttor und dem offiziellem Fasten-Ende wurde das Video gezeigt und unsere Flamme angezündet. Ab jetzt galt es für uns Frauen, die Flamme bis zum offiziellen Blockadeende am Brennen zu halten. Eine zusätzliche Solidaritätsmitteilung der aus 200.000 Mitgliederinnen bestehenden japanischen Frauenorganisation verlas ich bei der Eröffnungskundgebung am 11. August, wo auch Alyn Ware seine Flammenfackel aus Hiroshima vorstellte, die bereits die Welt umrundete und bei der UN bei den Abrüstungsverhandlungen dabei war.

 

Frauen-Bezugsgruppenfindung
Auf dem Camp ging es rund: Orga-Treffen hier, Veranstaltungen dort, immer wieder trudelten neue zu begrüßende Teilnehmende ein, sodass mir kaum Zeit für Aktionstrainings und ausgiebige Diskussionen in unserer Bezugsgruppe Bertha, die aus neun Frauen bestand, blieb. Zum Glück hatten wir schon einen vorläufigen Ablaufplan und konnten im SprecherInnenrat die Planung gut verfolgen. Wir einigten uns schnell darauf, dass wir über Nacht am Frauentor nur neue Bezugsgruppen aufnehmen wollten, die mindestens zur Hälfte aus Frauen bestanden und vorab ein Training gemacht hatten. Eine Frau von unserem Tor sollte während der Blockade per Handy regelmäßig über Telefonkonferenzen mit allen anderen Toren vernetzt sein, um sich gegenseitig über die Gesamtlage zu informieren und uns gegebenenfalls unterstützen zu können.

Es war eine beeindruckende Mischung aus vielen erfahrenen jungen AktivistInnen, vielen auch sehr alten Menschen, Menschen mit Rollstühlen, Kindern, Musizierenden, KabarettistInnen, DichterInnen ..., die dann an der Aktion teilnahmen. Sogar ein Polizist, der zum Dienst musste, verabschiedete sich am Haupttor von seiner Frau und seinem Sohn.

 

Tor 1 Frauenwiderstand
Bei Sonnenschein fanden wir uns vor Tor 1 vor einigen Polizisten ein, die eine offene Kette vor dem Tor bildeten. Einzelne ältere Frauen wurden mit einer Fahrradrikscha herangefahren, die regelmäßig zwischen Haupttor und Tor 3 shuttelte. Mit acht Trommeln von Chris-Kaya waren wir gleich drin in den schönsten Rhythms, gefolgt vom Hunsrücker Frauenchor, Blue Flower, KabarettistInnen, ... . Zwischen den KünstlerInnen-Einlagen ließen wir einen Redestab herumgehen, sodass jede Frau etwas erzählen oder ein ihr wichtiges Lied anstimmen konnte.

Am Spätnachmittag erfuhren wir über die Telefonkonferenz, das ein Militärangehöriger, der zu Fuß erfolglos ein Durchkommen bei Lebenslaute am Lutzerather Tor versuchte, etwas später hinterm Tor gesehen wurde: Er grinste die Blockierenden aus einem Auto breit an. Uns wurde damit klar, dass es irgendwo eine undichte Stelle geben musste. Unsere Nachforschungen führten tatsächlich zu einem uns bis dahin unbekannten Tor 7, was vom Ort Alflen über nur einen Feldweg direkt zur Basis führte. Schnell machte sich eine Bezugsgruppe von Lebenslaute auf, dann auch dieses Tor dicht zu machen. Wir freuten uns enorm darüber, da die Bundeswehr offensichtlich geplant hatte, ihren restlichen Nachschub darüber abzuwickeln, da ihnen sicher bekannt war, dass wir dieses Tor im Vorfeld nicht erfasst hatten. 

Erst am Abend, als viele, die am Montag arbeiten mussten oder denen es zu unbequem war, die Nacht im Freien - auf Stroh und Isomatte - zu verbringen, uns verlassen mussten, hatten wir endlich Zeit, mehr miteinander zu reden. Die wenigen anwesenden Polizisten waren jetzt bereits abgezogen. 13 Frauen blieben über Nacht und besprachen, wie wir uns im Falle einer Räumung verhalten wollten, zumal uns klar war, dass die Bundeswehr jetzt einen neuen Notzugang brauchte. Falls früh morgens Polizei aufgezogen wäre, hätten wir genug Zeit gehabt, noch ein Schloss am Tor anzubringen und uns dann wegtragen lassen. Vor dem Schlafengehen gab es wieder Essen von der mobilen Bio-Widerstandsküche Rampenplan, diesmal eine warme vegane Suppe. Mit einem Akku-Beamer schauten wir uns aus dem Schlafsack heraus das Video des britischen Frauenwiderstandes über Greenham Common an und verbrachten bei 9 Grad Celsius unter schönstem Sternenhimmel, wo das Perseiden-Feuerwerk mehr als 100 Sternschnuppen pro Stunde versprach - eine unvergessliche Nacht!

Montag früh kam Rampenplan mit dem Frühstück und Zeitungen. Stefan Charisius spielte mit seiner Kora traditionelle Melodien aus Afrika, während unsere Zeitzeuginnen von vor 30 Jahren aus dem Hunsrücker Frauenwiderstandscamp, aus Mutlangen und Greenham Common berichteten. Den Frauen damals war eins gemein: Sie alle hatten in ihrer Familie und/oder Beziehungen (sexuelle) Gewalt und männliche Vorherrschaft erfahren und brauchten diese Camps, um sich selbst zu finden und gemeinsam handeln zu können. Nach dem Abzug der Cruise Missiles Ende der 1980er Jahre zogen viele Frauen in den Hunsrück, gründeten Biohöfe, wurden Heilpraktikerinnen oder erstellten Kunsthandwerk. Das Frauenmusikfestival ist heute mit seinen 1.000 Teilnehmerinnen ein Treffpunkt vieler auch lesbischer Frauen, die hier einen geschützten Raum finden, gegenüber einem Alltag in einer eher homophoben Gesellschaft: alles mit Bio, Kunst und Gefühl!

Plötzlich dröhnte hinterm Zaun der Fluglärm, der uns die Bomber und das Leid der Menschen, auf die auch an diesem Tag Bomben abgeworfen wurden (wenn auch keine Atombomben) vergegenwärtigte. Militarismus und Sexismus waren immer wieder Thema – zwei Seiten einer Medaille, was uns in dem Moment Gefühle von Wut und Traurigkeit bescherte.

Die morgendliche Telefonkonferenz informierte darüber, dass an Tor 6, bei dem es sich eigentlich um eine zugewachsene und eingezäunte kleine Tür handelte, die wir „Katzenklappe“ nannten, am frühen Morgen um 6:40 Uhr vier Busse eingetroffen waren. Ein Bus mit einem Großaufgebot eines Sondereinsatzkommandos, welches ein Spalier für die Militärangestellten bildete, damit diese zur Katzenklappe kommen und sich durch die 40 cm große Öffnung quetschen konnten. Sich so in die Basis hineinzuschleichen war dann doch kein Heldenakt und wurde von der Torverantwortlichen, die zufällig auch im Besitz eines Presseausweises war, ausgiebig fotografiert.

Mit einer Zeremonie und dem Grußwort der japanischen Frauenorganisation sowie Reihentänzen beendeten wir die Blockadeaktion um 6 vor 12 Uhr und gingen zurück zum Fliegerhorst.

Am Haupttor, wo nochmal ein/e RepräsentantIn jedes Tores angehört wurde, sprach Silvia Bopp von der Pressehütte Mutlangen für unser Tor Frauenwiderstand über das Hüten des Feuers und endete emotional: Wir wären lieber Heilerinnen als Kriegerinnen!

Zum Abschluss sangen wir alle das Lied Imagine Peace von John Lennon, angestimmt von Lebenslaute, womit die Blockade, ohne dass ein Auto den Stützpunkt Büchel befahren oder verlassen konnte und ohne dass irgendjemand verletzt wurde, offiziell beendet wurde. In diesem Moment habe ich die Nagasaki-Flamme ausgeblasen!

 

Unser großer Dank gilt allen, egal in welcher Form sie teilgenommen haben, u.a. den MusikerInnen/KünstlerInnen, die ohne Gage aufgetreten sind, dem ZUGABE Netzwerk, das uns mit seinen Arbeitsgruppen-Trainings und Moderation und Rechtshilfe unterstützt hat, den AktivistInnen ...

Viele Videos, Redebeiträge und Bilder findet ihr auf unserer Kampagnenwebseite: www.atomwaffenfrei.de .

Unsere Kassen sind jetzt leer, und noch ist nicht alles gedeckt. Wer noch spenden möchte: GAAA, Konto-Nr.: 80191151200 bei der GLS, BLZ 43060967, Stichwort: Atomwaffen Büchel

 

KASTEN

Hintergrundinformationen:
Vor zwei Jahren schon entschied der Rat der neuen Kampagne atomwaffenfrei.jetzt als Hauptaktion vor der kommenden Bundestagswahl (Sept. 2013) eine große Blockade des Atomwaffenstützpunktes Büchel, für unseren aus 50 Gruppen und Organisationen bestehenden Trägerkreis, zu organisieren. Unsere Bündnis-Musikblockade wurde damit zur ersten gemeinsamen Aktion Zivilen Ungehorsams (ZU), ZU Go-In Aktionen wurden seit 1997 von der Aktionsgruppe der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen fast jährlich in Büchel durchgeführt. 2009 organisierte die GAAA erstmalig gemeinsam mit dem regionalen Initiativkreis gegen Atomwaffen, der dem Internationalen Versöhnungsbund angeschlossen ist, ein Go-In. Über die gerichtlichen Verfahren hat die GAAA Öffentlichkeit geschaffen und alle legalen Mittel ausgeschöpft, um den Abzug dieser illegalen Waffen durchzusetzen, doch das Bundesverfassungsgericht entschied, sich nicht mit dem Thema befassen zu wollen: wegen des  angeblichen öffentlichen Desinteresses! Unsere Trägerkreis-Vorläuferkampagne Deutschland atomwaffenfrei bis 2010 brachte den ersten Durchbruch: Im Koalitionsvertrag wurden Verhandlungen mit der NATO über den Abzug festgeschrieben, und alle Parteien sprachen sich nun für deren Abzug aus, sodass es erstmalig zum öffentlichen Eingeständnis der Existenz dieser Waffen kam! Trotzdem stimmte 2012 „unsere“ Regierung den Modernisierungswünschen der NATO zu. Die Ratifizierung des neuen Start-Vertrages konnte U.S.-Präsident Obama nur mit 85 Milliarden Dollar für die Erhaltung und Modernisierung der Atomwaffenvorräte „erkaufen“. Die Modernisierung der in Deutschland gelagerten Atomwaffen ist der Preis, den wir für die neuen Abrüstungsverträge zahlen sollen. Zu den 900 Millionen Euro, die Deutschland zurzeit für die Lebensdauerverlängerung der deutschen Trägerflugzeuge Tornado ausgibt, werden weitere unabschätzbare Kosten für die Anpassung der Flugzeuge an die modernisierten Atomwaffen kommen. Vor diesem Hintergrund sieht sich auch der Kampagnenrat  gezwungen, unseren Widerstand auf eine höhere Stufe zu stellen und bewusst und im begrenzten Umfang Gesetzesverletzungen, wie es eine ZU-Blockade darstellt, durchzuführen.

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Initiativen
Marion Küpker ist internationale Koordinatorin der DFG-VK gegen Atomwaffen.