Das NVV-Fossil

Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag in New York

von Annegret KrügerMarian Losse
Die Delegation der DFG-VK in New York.
Die Delegation der DFG-VK in New York.

Der Nichtverbreitungsvertrag (NVV) rühmt sich, der wichtigste Vertrag über Atomwaffen zu sein. Er ist zumindest einer der ältesten. Viele wichtige bilaterale Verträge zwischen den USA und Russland sind in den letzten Jahren ausgelaufen, und der NVV ist somit einer der wenigen Verbleibenden.

Die Welt hat sich seit seinem Entstehen in den 1960er Jahren verändert. Die Zeit des Wohlwollens und der Abrüstung scheinen vorbei, wir haben das Zeitfenster nach dem Ende des Kalten Krieges zum endgültigen Abschaffen der Atomwaffen verpasst. Alle fünf Jahre wird nun bei den Überprüfungskonferenzen gebibbert, ob sich die Vertragsstaaten noch auf ein gemeinsames Abschlussdokument einigen können. Dieses Jahr verzeichnet wieder ein Scheitern der Mitglieder, sodass es jetzt seit 12 Jahren weder Konsens noch konkrete Schritte zur Abrüstung gibt. Diese sind aber notwendig, um die Vertragsarchitektur auf modernstem Stand zu halten und an aktuelle Herausforderungen anzupassen. Zum Vergleich: 12 Jahre sind eine ziemlich lange Zeit, um das Antivirenprogramm auf dem PC nicht mehr zu aktualisieren…

Dass diese Konferenz gescheitert ist, merken wir aber nicht nur durch das Fehlen eines Grundkonsenses über den Vertrag und seine Zukunft, sondern insbesondere daran, dass die Atomwaffenstaaten erneut nicht beweisen konnten, ihren grundlegenden Verpflichtungen zur nuklearen Abrüstung gemäß Art. VI nachgekommen zu sein.

Jugenddelegation der DFG-VK in New York
Vom 01. 08. bis zum 26.08. hat die 10. Überprüfungskonferenz bei den Vereinten Nationen (VN) in New York stattgefunden, und wir durften als Teil einer Jugenddelegation der DFG-VK in der ersten Woche vor Ort sein. Zum ersten Mal in der Generalversammlung zu stehen, war beeindruckend. An diesem Ort wurde bereits so viel Geschichte geschrieben – nicht immer nur positive. Nach der anfänglichen Begeisterung wurde uns bewusst, dass nicht alles, das glänzt, gleich Gold ist. So war der Anteil der zivilgesellschaftlichen Gruppen insgesamt, aber insbesondere jene, die nicht weiß waren, sehr gering. Dies hat auch mit den unterschiedlichen Hürden der Einreise in die USA zu tun, sodass hier bereits strukturelle Nachteile für Menschen aus dem Globalen Süden entstehen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass auf einem Side-Event (1) die wichtige Frage aufgeworfen wurde, wie die VN repräsentativ für die internationale Gemeinschaft sein könne, wenn bei der Gründung 1945 ein Großteil der Welt (noch) kolonialisiert und damit vollständig ausgeschlossen von diesen Prozessen war. Die ungleiche Machtverteilung zwischen den Atomwaffenstaaten und der atomwaffenfreien Mehrheit darf eine progressive Zivilgesellschaft nicht replizieren.

Während der Konferenz machten wir es uns zur Aufgabe, kritische Fragen zu stellen. Davon abgesehen, dass wir selbst keinesfalls repräsentativ für die Weltgemeinschaft waren, erfüllten wir unsere Aufgabe so gut es ging. Umgesetzt haben wir dies, indem wir die Statements verschiedener Länder hörten, Länderdelegierten unsere Fragen stellten, Betroffene von Atomwaffentests und Hibakusha, Überlebende der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, kennenlernten und Wissenschaftler*innen zuhörten und mit Fragen löcherten. Es war also einiges los. Bei manchen Statements hatten wir das Gefühl, wir befinden uns in einer Zeitreise in den Kalten Krieg. Es wurden Unterscheidungen zwischen „guten“ und „schlechten“ Staaten getroffen, als ob es einen Unterschied machen würde, wer erneut eine Atomwaffe einsetzt, denn die humanitären und ökologischen Konsequenzen wären bei einem erneuten Einsatz so katastrophal, dass kein Land der Welt darauf vorbereitet ist bzw. sein kann. Insofern gibt es schlicht keinen verantwortungsbewussten Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen.

Die Friedensbewegung braucht den Globalen Süden
Wir waren besonders von Aktivist*innen beeindruckt, die aus Atomwaffentestgebieten berichteten und schätzen die Möglichkeit, uns mit ihnen zu vernetzen. Eine Erkenntnis aus unserer Reise ist daher, dass es unbedingt mehr zivilgesellschaftliche Teilhabe aus dem Globalen Süden und andere marginalisierte Stimmen braucht, da diese dem nuklearen Narrativ aufgrund der eigenen Erfahrungen am meisten entgegenzusetzen haben. Wir sollten es uns zum Ziel setzen, diesen Stimmen auch in Deutschland mehr Gehör zu verschaffen. Wir müssen unseren Zugang zu Institutionen und Ressourcen nutzen, um mehr Menschen mit anderen Perspektiven Teilhabe an den institutionalisierten Prozessen zu ermöglichen, was in unser aller Interesse ist.

In den täglichen Nachrichten scheint es, als vergesse die Weltgemeinschaft langsam, was in Hiroshima und Nagasaki passierte. Umso wichtiger sind die Möglichkeiten, diesen Menschen zuzuhören. Weltweit gibt es ungefähr 13.000 Atomwaffen. Das sind zwar deutlich weniger als zu Zeiten des Kalten Krieges. Aber aktuell erweitern einige Atomwaffenstaaten – nicht nur die „bösen“, sondern z.B. auch Großbritannien – ihre Arsenale oder modernisieren diese wie z. B. die USA, was zwar keiner quantitativen, aber durchaus einer qualitativen Aufrüstung entspricht. Die Instandhaltung und Modernisierung dieser Waffen kosten Unsummen, die dringend benötigtes Geld aus Bereichen wie Gesundheit und Bildung abziehen. So müssen sogar Politiker*innen und Diplomat*innen zugeben, dass Atomwaffen nicht viel mehr als ein kostenintensives Symbol von Macht sind.

Fazit
Die Vertragsstaaten haben nach vier Wochen keinen Konsens erreicht. Aber immerhin haben die Parteien wieder mal miteinander geredet, was ehrlich gesagt positiv ist. Mit jedem Mal, dass sie ihre Argumente innerhalb ihres veralteten Paradigmas nuklearer Macht und Ausbeutung wiederholen, werden sie unglaubwürdiger. Unsere Energiesicherheit hängt so wenig von fossilen Brennstoffen ab, wie unsere menschliche Sicherheit von Atomwaffen. Wir wissen um bessere Alternativen und werden für sie kämpfen, sodass der NVV einmal tatsächlich ein Fossil aus vergangenen Zeiten sein wird.

Mit den Erfahrungen und Argumenten aus der Klimagerechtigkeitsbewegung, der dekolonialen Bewegung und den Emanzipationskämpfen aller unterdrückten Menschen werden wir als Teil einer globalen Bewegung weiter gegen Atomwaffen und dadurch für eine sichere Zukunft protestieren. Dabei hilft uns auch kein hypothetisches Abschlussdokument, denn selbst der abgelehnte Entwurf enthielt keine Abrüstungsschritte. Der Fokus auf diese Dokumente ist innerhalb des Systems gerechtfertigt und notwendig, für unsere Bewegung jedoch fast nur Ablenkung, denn wir wissen, dass die Staaten niemals freiwillig auf ihre Macht verzichten werden. Nach den Spielregeln, die in der Kolonialzeit gesetzt wurden, stehen die Verlierenden schon vorher fest.

Aber wir jungen Menschen sind nicht bereit, den Status Quo zu akzeptieren. Gerade wir, die in das nukleare Zeitalter hineingeboren wurden, welches wir weder mitaufgebaut noch dem zugestimmt haben, möchten erreichen, dass unsere Generation und die nach uns in einer Welt ohne Atomwaffen leben. Das ist und bleibt ein realistisches Ziel. Bei so viel fehlendem politischen Willen ist es ein frustrierendes und anstrengendes Thema, aber Ermüdung darf niemals eine Option sein. Daher werden wir uns auch weiter dafür einsetzen, dass Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag beitritt, die nukleare Teilhabe beendet und sich an der Entschädigung der Opfer von Atomwaffentests beteiligt. Wir werden auch weiter versuchen, in schwierig zugänglichen Räumen für Zivilgesellschaft, junge Menschen und Menschen aus dem Globalen Süden Präsenz zu zeigen und uns gleichzeitig dafür einsetzen, dass diese Räume zukünftig nicht nur privilegierten Gruppen offenstehen.

Anmerkung
1 Side-Events sind Veranstaltungen, die oftmals von zivilgesellschaftlichen Organisationen organisiert und während der Mittagspause angeboten werden.

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Hintergrund
Annegret Krüger arbeitet beim Netzwerk Friedenskooperative in Bonn.
Marian Losse studiert Friedens- & Konfliktforschung in Marburg und versucht klimagerechtigkeits- und antimilitaristischem Aktivismus durch feministische Ideen zu verbinden.