Völkerrecht, Krieg und Terror

von Martin Singe
Hintergrund
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Die USA hat gleich nach den Terroranschlägen von New York und Washington erklärt, dass sie diese als Kriegserklärung bzw. kriegerische Angriffshandlungen betrachte. Damit wäre völkerrechtlich das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gegeben. Der NATO-Rat beschloss dann auch einen Tag später, dass der Bündnisfall (Beistandspflicht je nach konkreter Entscheidung der einzelnen Mitgliedstaaten) eingetreten sei, falls der Anschlag vom Ausland organisiert worden sei. (Nach Fertigstellung dieses Artikels hat die NATO bereits den Bündnisfall am 2.10. festgestellt.) Die Bundesregierung versicherte bereits nach dem Beschluss die uneingeschränkte und vorbehaltlose Solidarität mit den USA. Am 19.9. beschloss der Bundestag mit 565 Stimmen bei 40 Gegenstimmen und 6 Enthaltungen, den USA für militärische Gegenaktionen auch militärische Mittel und Soldaten der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen.

Diese Entwicklung ist völkerrechtlich und grundgesetzlich höchst bedenklich. Krieg bedeutet im internationalen Recht die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Völkern. Bereits seit dem Kellogg-Pakt von 1928, erst recht seit der Verabschiedung der UN-Charta von 1949 haben sich die Staaten darauf geeinigt, dass staatlich-militärische Gewaltanwendung gegen andere Staaten außer zur Selbstverteidigung niemals zulässig ist. Völkerrechtlich gilt also ein striktes Gewaltverbot. Die zwei Ausnahmen: Die UNO stellt eine Bedrohung des Weltfriedens fest, die unterhalb von Gewaltanwendung nicht zu beseitigen sei; ein kriegerischer Angriff liegt vor und berechtigt einzelne Staaten allein oder in Bündnissen sich dagegen zu verteidigen - bis die UNO Maßnahmen ergriffen hat, die diese einzelstaatlichen Aktionen überflüssig machen. Das Gewaltmonomol liegt also bei der UNO.

Es handelt sich bei den Terroranschlägen völkerrechtlich nicht um einen Krieg. Zum einen ist nicht nachgewiesen, dass die Anschläge einem Staat zurechenbar sind, was Voraussetzung für die Kriegsdefinition - zumindest im bisherigen Sinne - ist. Andererseits sind die Angriffe nicht mehr gegenwärtig, d.h. eine Verteidigung gegen sie kann nicht mehr stattfinden. Beweise für neu geplante Terror-Anschläge liegen nicht vor. Es geht also im Kern nicht um individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gemäß UN-Charta, sondern um einen Fall internationaler Strafverfolgung.

Ein zusätzliches Problem liegt in der verworrenen Situation in Afghanistan selbst. Um den Verteidigungsfall völkerrechtlich anerkennen zu können, müssten die Terrorpiloten von der afghanischen Regierung entsandt worden sein. Selbst wenn die Taliban sie beauftragt hätten, liegt die Problematik darin, dass die Taliban-Regierung ja gar keine anerkannte Staats-Regierung ist. Selbst in asylrechtlichen Fällen sind afgahnische Flüchtlinge oft genug nicht anerkannt worden, weil es keine einem Staat zurechenbare Verfolgung gebe. Nichtstaatliche Verfolgung jedoch - so skandalös dies ist! - wird bis heute nicht als Asylgrund anerkannt.

Das Völkerrecht kennt weder Vergeltung noch Rache. Die UNO hat in ihrer Resolution vom 12.9.01 "zwar eine Bedrohung des Weltfriedens konstatiert, nicht aber einen bewaffneten Angriff, der allein Auslöser des Rechts auf militärische Selbstverteidigung sein könnte" (Gerd Winter in: taz, 2./3.10.01). Der Völkerrechtler Winter führt weiter aus: "Ebenso verhält es sich mit der neuen Resolution vom 28. September. Sie stellt ebenfalls die Bedrohung des Friedens, nicht einen bewaffneten Angriff fest. Die Bedeutung dieses Textes liegt gerade darin, dass er die nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen effektiviert und von kriegerischen Maßnahmen absieht."

Rudolf Walther, Mitglied im Arbeitsausschuss des Komitees für Grundrechte und Demokratie, schreibt im "Freitag" vom 28.9.01: "Strafverfolgung ist die Aufgabe von Polizei und Justiz und nicht von Panzern und Kampfflugzeugen. Justiz` aus der Luft ist Selbstjustiz - also keine, sondern ein Rückfall in vorrechtsstaatliche, terroristische Praktiken. Ein Staat, der dies täte, handelte nach derselben rechtsfreien Maxime wie die Terroristen und begäbe sich auf deren Niveau."

Die jetzt geplanten kriegerischen Reaktionen sind vollkommen ungeeignet, ein Mehr an Sicherheit zu erreichen. Sie wären genau die Reaktionen, die die Terroristen sich erwünschen. Denn sie würden dazu führen, neue terroristische Aktionen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Staaten zu provozieren. Der Weltfrieden ist bedrohlich gefährdet! Die rechtlichen Argumente gegen kriegerische Maßnahmen sind nur die eine Seite - jede vernunftbegabte Analyse würde solche Maßnahmen ohnehin als friedenpolitisch sinnlos, ja kontraproduktiv einstufen.

Das künftige Vorgehen gegen terroristische Gewalt muss mit menschenrechtlichem und friedenspolitischem Augenmaß geschehen. Dazu würde - neben präventiven Maßnahmen gegen künftige Gewalttaten - die übliche internationale kriminalistische Ermittlung gegen die Täter und eventuelle Hintermänner gehören. Sodann möglicherweise ein internationales Tribunal, bzw. die Einrichtung eines Gerichtshofes für diese Verbrechen. Wenn die USA nicht seit langem die Einrichtung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes blockieren würden, könnte ggf. auch ein Strafverfahren vor dieser Institution stattfinden.

Die eigentlichen Ursachen des Terrors jedoch müssen politisch angegangen werden. Eine Welt zunehmender Ungleichheit - Reichtumsanhäufung ohne Ende auf der einen Seite und Verelendung bis zum hunderttausendfachen Hungertod auf der anderen Seite - wird immer terrorträchtig bleiben. Nur Gerechtigkeit kann langfristig Frieden schaffen.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".