Plädoyer für die Normalität ziviler Konfliktbearbeitung

von Christine Schweitzer
Schwerpunkt
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Am Anfang der 90er Jahre ins Gespräch gekommen, ist Zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) heute als wichtiges Aufgabenfeld von vielen Akteuren, angefangen .von der Bundesregierung, praktisch allen anderen europäischen Regierungen, der EU, den Vereinten Nationen und ihrer Regionalorganisationen und Agentu¬ren, ja 'selbst der Weltbank anerkannt. Die Leistungsfähigkeit von ZKB, und damit auch von zivilgesellschaftlichen Akteuren oder Nichtregierungsorganisationen, da diese rein zahlenmäßig die Hauptträger von ZKB sind, ist heute unbestritten. Aber oftmals wird sie heute eher als Ergänzung bzw. Baustein militärgestützter Gesamtstrategien gesehen, denn als Alternative. Dies übersieht nicht nur, dass Zivile Konfliktbearbeitung in vielen Ländern eingesetzt wird, in denen weitergehende, militärische Interventionen überhaupt nicht überlegt werden, sondern ist auch Ausdruck eines falschen Verständnisses davon, welche Möglichkeiten und Grenzen zivile Alternativen haben.

Ich möchte hier vier solche Punktebenennen, von denen die ersten drei Argumente eher von Seiten derjenigen kommen; die den Ausbau des Militärs zu einem weltweiten Interventionsinstrument befürworten, und das letzte von der „Gegenseite", die jede Form der Konfliktintervention ablehnt.

Argument: ,,Zivile Konfliktbearbeitung kann funktionieren, bevor ein Konflikt zum Krieq eskaliert ist, oder in der Wiederaufbauphase, aber nicht während eines heißen Konfliktes."

Dies ist eindeutig falsch. Es gibt sehr viele nutzbringende Aktivitäten, die zivilqesellschaftliche Akteure während eines Krieges entfalten können, wie mit hunderten von Beispielen belegt werden kann. Die Bandbreite reicht von humanitärer Hilfe, Menschenrechtsschutz, der Unterstützung von „Zonen des Friedens" (wie in Kolumbien und Mindanao) bis hin zu gewaltpräventiver Arbeit, wie sie u. a. ,,meine" Organisation, die Nonviolent Peace force, in Sri Lanka leistet. Zum Beispiel gehört dazu das Eskortieren von Menschenrechtsaktivistinnen oder Mitarbeiterinnen humanitärer Organisationen zu Treffen oder bei Fahrten, auf denen sie besonderer Gefahr durch die eine oder andere Seite im Konflikt ausgesetzt sind ( die Anwesenheit von Internationalen verhindert oft solche Übergriffe), oder die Unterstützung von gemischt-ethnischen Gemeinden bei dem Aufbau von Strukturen (Friedenskomitees), die ein Übergreifen von Gewalt auf ihre Gemeindeverhindern soll.

Argument: ,,Man braucht bewaffneten Schutz, damit diejenigen, die mit Peacebuilding befasst sind, ihre Arbeit in Sicherheit tun können."

Dies ist genauso falsch. Es gibt wie oben dargestellt eine Reihe von Missionen zivilen Peacekeepings. Oftmals ist es gerade umgekehrt: Die Anwesenheit einer internationalen militärischen Truppe, die u.U. als Besatzungsarmee wahrgenommen wird, kann die Gefahr für die zivilen Helfer erhöhen, weil diese dadurch selbst zum Ziel von Angriffen werden, oder Gefahr laufen, einem Angriff auf das internationale Militär. zum „Kollateralschaden“ zu werden. Dies wurde z.B. mehrfach aus Afghanistan berichtet, und es entspricht auch der Erfahrung, die Projekte wie das Balkan Peace Team in den neunziger Jahren in Kroatien und Serbien/Kosovo gemacht hat.

Argument: ,,Man kann keinen Krieg mit gewaltfreien Methoden allein stoppen."

Das ist weitgehend richtig, Aber kann man einen Krieg mit militärischen Mitteln von, außen stoppen? ,,Friedenserzwingung"  ist in meinen Augen mehr ein Mythos als Realität. Sie wird entweder mit den Fällen gerechtfertigt, wo sie nun gerade nicht erfolgte: Ruanda oder der Schutz der „safe areas" in Bosnien. Oder sie wird auf Kriege angewendet, deren wahres Ziel nicht der Schutz der internationalen Sicherheit war, sondern eher der Schutz spezifischer ökonomischer und/ oder strategischer Interessen auf Seiten der Angreifenden. Und in Fällen, die ich zwischen diesen beiden angesiedelt sehe, wie den Kosovo-Krieg 1999, da war das militärische Eingreifen erst die Ursache für das, was zu verhindern es vorgab, nämlich die massenhafte Vertreibung der Bevölkerung. (Wobei es auch nicht der NATO zu verdanken ist, dass es weitgehend ,,nur" bei Vertreibungen blieb und nicht zu genozidartigen Massakern wie in Bosnien kam).

Um einen Krieg zu stoppen, müssen mehrere Faktoren zusammenkommen:

• Ein reifer Moment für erfolgreiche Verhandlungen
• Eine lebenskräftige und vielversprechende alternative Zukunft für alle Seiten
• Eine aktive Zivilgesellschaft, die Frieden will
• Internationale Unterstützung für einen Frieden mit Gerechtigkeit.

Solche internationale Unterstützung kann bedeuten, vermittelnd tätig zu werden, und/oder Anreize zu schaffen, die Frieden attraktiver als die Fortsetzung des Krieges machen (z.B. durch ökonomische Hilfsprogramme. Ergänzend oder alternativ können Interventen die Kosten einer Fortsetzung des Krieges erhöhen, indem sie Sanktionen (staatlicherseits) oder Boykotts (Instrument der Zivilgesellschaft) organisieren, unwillkommene internationale Aufmerksamkeit auf den Krieg richten, oder den Willen der in den Krieg Involvierten unterminieren, den Kampf fortzusetzen (Methoden der Sozialen Verteidigung).

Ich will hier die Diskussion ausklammern, ob es nicht doch Extremsituationen gibt, in denen der Einsatz von Gewalt einzig reale Möglichkeit ist, noch Schlimmeres zu verhüten. Diese Frage dominiert die Debatte in meinen Augen viel zu sehr, und wird oftmals mit einem eindeutigen taktischen Interesse vorangetrieben, nämlich über die Konstruktion von Extremfällen Zustimmung zur Bereitstellung und Einsatz weltweit tätigen Militärs zu gewinnen. Und diese Einsätze sind dann in 99% der Fälle nicht durch humanitäre Erwägungen bestimmt (in Ruanda wurde halt eben nicht eingegriffen, genauso wenig wie ein rasches und entschiedenes Eingreifen in Darfour erfolgte), sondern durch ökonomische oder strategische Motive bestimmt. Und was traditionelles Peacekeepinq angeht, also der Einsatz von Militär, um Waffenstillstände zu überwachen oder den Ausbruch von Gewalt zu verhindern, so meine ich, dass es hierfür nichtmilitärische Alternativen gibt.

Argument: .Die Frage nach Alternativen zu Militär ist falsch gestellt. ZKB ist auch nur ein Instrument der Durchsetzung von Herrschaft des Nordens über den Süden."

Für die Politik ist Zivile Konfliktbearbeitung, fürchte ich, in der Tat vorrangig ein passgenauer Baustein in einer. Gesamtstrategie, die auf Militär als letztes Mittel nicht verzichten mag. Zivile In-strumente werden da gefördert, wo sie als adäquater als militärische angesehen werden, z.B. in der Konfliktprävention, als ziviles Element in komplexen Missionen der Friedenskonsolidierung (wie z.B. Bosnien, Kosovo oder Afghanistan), oder in Situationen, wo eine Militärintervention aus welchen Gründen auch immer nicht in Frage kommt. Natürlich ist es schon ein Fortschritt, dass die Bedeutung und Wirksamkeit solcher Instrumente vom „Mainstream" anerkannt werden. Aber ihre Vermischung mit militärischen Mitteln, sei es, dass das Militär zivile Wiederaufbauhelfer „schützen" soll, sei es, dass das Militär zunehmend selbst solche zivilen Aufgaben wahrnimmt - von humanitärer Hilfe in Kundus bis hin zu Schulungen in Gewaltprävention in Klassenräumen halte ich für höchst problematisch.

Das heißt aber nicht, dass die Frage nach Konfliktintervention auf die imperiale Dimension reduziert werden kann. Externe Parteien können eine positive Rolle bei der Verhinderung von Gewalt und der Bearbeitung von Konflikten spi¬len. Und dies liegt nicht nur in ihrem eigenen Interesse, sondern ist auch eine ethische Verpflichtung, da letztlich die meisten gewaltsamen Konflikte ihre Wurzeln in der Kolonialzeit haben und durch die aufgrund von Globalisierung verschärften oder auch erst geschaffenen Armut und gesellschaftliche Gegensätze befördert wurden. Zivile Konfliktbearbeitung muss nicht bedeuten, in einem modernen Protektorat als Auftragnehmer der internationalen Verwaltung Wiederaufbau zu betreiben. Sie kann auch eine Unterstützung derjenigen bedeuten, die sich gegen ihre eigene oder fremde Regierungen zur Wehr setzen, die für Menschenrechte, ökonomische und politische Selbstbestimmung oder für einen anderen politischen Kurs ihres Landes eintreten.

In Nicaragua hat die US-amerikanische Gruppe „Witness for Peace" durch ihre Präsenz und ihre parallele Öffentlichkeitsarbeit in den USA wesentlich dazu beigetragen, dass die US sich gegen einen direkten militärischen Angriff auf Nicaragua entschieden.

Ziviles Peacekeeping fördern
Im Interesse einer Zivilisierung der internationalen Politik, um einen alten Begriff aus den achtziger Jahren wieder aufzugreifen, halte ich es für notwendig, sowohl zivile Konfliktbearbeitung zu fördern wie zu Militäreinsätzen „Nein" zu sagen, wenn sie nichts als eine Verbrämung für neokolonialen Krieg sind. Bei der Förderung von ziviler, Konfliktbearbeitung halte ich es für wichtig, sie als Alternative, nicht als Ergänzung zu Militär zu verstehen, und ihre Reichweite und Bandbreite weiter auszuweiten. Eine der wichtigsten Aufgabenfelder hier ist in meinen Augen der Ausbau von zivilem Peacekeeping, um der Legitimität von Militär ein wichtiges Standbein zu entziehen.

Um dies zu erläutern, möchte ich ein bisschen ausholen: Weshalb wird heute eigentlich oft Militär geschickt? Zu den Hauptgründen, warum die Vereinten Nationen oder andere (Staaten)gruppen sich im Zweifelsfall eher für eine militärische als für eine zivile Mission entscheiden, zählen die folgenden inhärenten Eigenschaften von Militär:

• Es hat. die materiellen Ressourcen, die für effektive Einsätze erforderlich sind - sowohl die Ausrüstung (Flugzeuge, Schiffe, LKWs, gepanzerte Autos) wie einen sehr guten und vergleichsmäßig einfachen Zugang zu sehr großen, manchmal beinahe unbeschränkten Summen Geldes.
• Es hat gute personelle Ressourcen (auch ohne Wehrpflicht) und Ausbildungseinrichtungen.
• Als stehendes Militär steht es immer kurzfristig für Einsätze bereit.
• Es hat viel Spezialistenwissen und Fähigkeiten angesammelt, die für sicherheitsbewusstes Handeln in Kriegssituationen erforderlich sind.
• Das Personal, das im Militär dient, versteht, dass sein Beruf gefährlich ist, und akzeptiert generell die Möglichkeit von Verletzung oder Tod als Berufsrisiko.

All die bislang genannten Punkte könnten ohne prinzipielle Schwierigkeiten auf eine zivile Organisation (oder zivile Organisationen) übertragen werden könnten. Materielle Ressourcen könnten zur Verfügung gestellt werden, durch entsprechende Freistellungsregelungen vom Beruf personelle Ressourcen geschaffen werden - selbst ohne eine stehende „Friedensarmee" zu sein (ein Begriff von Gandhi), und Personal mit den notwendigen Kompetenzen und Akzeptanz des Berufsrisikos (das nicht viel anders ist als das Berufsrisiko von Polizei oder Feuerwehr) zu finden und auszubilden, ist aus meiner Erfahrung her auch kein Problem.

Aber, so mag jetzt gefragt werden, ist nicht das Entscheidende, dass Militär halt mit Waffen ausgerüstet ist und damit Wohlverhalten erzwingen kann?

Als erstes muss hierwieder auf die Einwände gegen die sog. ,,Friedenserzwingung" hingewiesen werden, die oben schon etwas näher ausgeführt wurden.

Zum zweiten ist es eine falsche Annahme, dass Waffengewalt der einzige Weg ist, ein gewünschtes Verhalten hervorzurufen. Ziviles Peacekeeping ist mehr als eine Zukunftsvision, denn es hat es schon, wenngleich mehr als Ausnahmefall, schon gegeben. Wenn man Erfahrungen aus militärischem Peacekeeping und unbewaffneten Missionen; von denen es auch schon einige gegeben hat, von der Kosovo-Verifikationsmission der OSZE 1998-99 oder die unbewaffnete Peacekeeping-Mission in Bougainville (Insel formal zu Papua-Guinea gehörig) seit Ende 1997 vergleicht, wie wir es z.B. im Rahmen einer Machbarkeitsstudie für Nonviolent Peaceforce getan haben, dann scheint es, als ob die Verfügung über physische Erzwingungsmittel nur eine der möglichen Taktiken ist. Die Bereitschaft, den geschlossenen Waffenstillstand einzuhalten und Respekt vor den Peacekeepern mag aus anderen Quellen kommen als aus der Präsenz von. Waffen. Die Anwesenheit internationaler Beobachter ist das Signal „die Welt sieht zu", etwas, das Gewalttäter, gerade wenn sie politisch motiviert sind, zumeist scheuen; Zivilisten haben ganz andere Möglichkeiten, Vertrauen aufzubauen und präventiv tätig zu werden als Soldaten, die die Welt aus dem Sehschlitz ihres Panzers sehen und oftmals nicht mal die Erlaubnis haben, allein ins Dorf zu gehen; oftmals setzen traditionelle Mechanismen wie die des Schutzes des Gastes ein. Diese Erfahrung machen wir bei Nonviolent Peaceforce, und haben schon lange vor uns andere NROs wie Peace Brigades International, Witness for Peace und andere gemacht, die als unbewaffnete Eskorten Menschenrechtsverteidiger vor der Ermordung durch Todesschwadronen und ähnliches bewahren, die wesentlich dazu beitrugen, die USA Anfang der 80er Jahre von einem Angriff auf Nicaragua abzuhalten, und die den für Frieden und Menschenrechte eintretenden Gruppen vor Ort durch ihre internationale Präsenz den Raum öffnen, so dass diese ihre Arbeit mit mehr Sicherheit erst tun können.

Zusammenfassung
1. Strategien alternativer Konfliktbearbeitung haben Grenzen, aber diese sind weit weniger eng und an anderer Stelle angesiedelt als oftmals angenommen wird. Die Hauptgrenze habe ich da verortet, wo alternative Konfliktbearbeitung als Baustein in einer militärgestützten Gesamtstrategie zur Verfolgung der ökonomischen und strategischen Interessen der mächtigen Staaten eingesetzt wird.
2. Dass heute Aufgaben oftmals dem Militär im Bereich der humanitären Hilfe; Hilfe beim Wiederaufbau und Bereitstellung von Logistik in sog. komplexen Missionen zuqewiesen werden, Liegt allein daran, dass das Militär schon vorhanden ist und die Ressourcen zur Verfügung hat.
3. Auch da, wo Waffen scheinbar eine Rolle spielen, wie bei den klassischen Funktionen des Peacekeeping, kann gefragt werden, ob . dieselben Ergebnisse (oder bessere) durch aridere Mittel erreicht werden könnten.
4. Es bleibt zwar wahr, dass man keinen Krieg mit gewaltfreien Mitteln beenden kann - aber mit gewaltsamen halt zumeist auch nicht. ·
Christine Schweitzer ist Redakteurin des Friedensforum und Mitarbeiterin der internationalen NRO Nonviolent Peaceforce ( www. nonviolentpeaceforce.org).

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.