Aktionstrainings

Der neue Geist in der Protestkultur

von Renate Wanie

Weltweit fanden in den letzten Jahren vielfältige gewaltlose Massenproteste statt, häufig wurden zentrale öffentliche Plätze besetzt. So wurden etwa während der Revolution in Ägypten 2011 Formen der Gewaltfreien Aktion eingesetzt, wie z.B. Menschenketten, Sitzblockaden auf dem Tahir-Platz, Sternmärsche in Kairo. Die Menschen revoltierten gegen die politische Ordnung, für Demokratie und für ein besseres Leben. Auch die zumeist jungen AktivistInnen von „occupy“ mit ihren kapitalismuskritischen Demonstrationen gegen die verantwortungslosen Banken trafen den aktuellen Nerv der Gesellschaft.

Angesichts dieser medienwirksamen Aktivitäten ist zu fragen, wie diese Aktivitäten vorbereitet werden. Innerhalb der gewaltfreien Bewegung geschieht dies in Workshops und traditionell in Aktionstrainings. Wie verbreitet sind Aktionstrainings derzeit in Deutschland? Was hat sich in den letzten Jahren verändert? Welche Entwicklungen sind in strömungsübergreifenden Bündnissen  festzustellen? Welchen Stellenwert hat die Gewaltfreiheit aktuell in Trainings?

Aktionstrainings ohne Gewaltfreiheit?
Trainings bieten die Möglichkeit, konkrete Verhaltensweisen, Handlungs- und Beurteilungskompetenz für die Praxis der politischen Aktion einzuüben. Und sie regen soziale Lernprozesse an. Die Teilnehmenden lernen aus ihren Erfahrungen, haben die Chance, notwendige Verhaltensänderungen in den Blick zu nehmen und soziale und politische Fantasie zu entwickeln. Die Auseinandersetzung mit Gewalt und Gewaltfreiheit sind Themen eines Trainings für die gewaltfreie politische Aktion. 

Zum Wendepunkt für einen taktischen Ansatz in der Trainingslandschaft wie auch bei der Aktionsdurchführung in den sozialen Bewegungen wurden die Erfahrungen in der Kampagne „Block G8“ in Heiligendamm im Jahr 2007. In der Auswertung der Kampagne wurden die „Trainings (zwar) als wesentlicher Baustein für das erfolgreiche Zustandekommen der Blockaden bewertet“ (Marc Amann in der Broschüre „Chef, es sind zu viele…“, 2008, S. 62). Doch weder in den mehr als 100 Trainings für den Widerstand in Heiligendamm noch in den nachfolgenden Trainings erhielt die Gewaltfreiheit einen angemessenen Stellenwert. Im postautonomen Spektrum, z.B. bei der „Interventionistischen Linken“, wird Gewaltfreiheit bis heute als „dogmatisch aufgeladen“, die eigene Handlungsfreiheit einschränkend und ohne eskalierende Wirkung problematisiert und zudem als harmlos und christlich abgetan. Jenseits der Gewaltfrage stehen die Bündnisfähigkeit für begrenzte spektrenübergreifende Aktionen sowie taktisches Vorgehen im Mittelpunkt des Interesses. Gegenseitiger Respekt der Protestkulturen, solidarisches Miteinander und Entschlossenheit sind Grundlagen für Aktionskonsense im Bewegungsspektrum der Interventionistischen Linken.

In seinem Artikel über „Aktionstrainings – Selbstermächtigung durch üben“ in der G8-Broschüre berichtet der Aktivist Marc Amann, das für den Widerstand gegen den G8-Gipfel gegründete TrainerInnen-Netzwerk „Trainings for G8“ sei vor allem dadurch gekennzeichnet gewesen, dass es - inspiriert von „einem neuen Geist der Protestkultur“ - mit einer undogmatischen Haltung Aktionsunterstützung und Trainings anbieten wollte. Hintergrund sei gewesen, dass es „innerhalb des (post-)autonomen Spektrums wenig bis keine

Erfahrungen mit Aktionstrainings gab oder sogar eine große Ablehnung, u.a. weil sie mit Gewaltfreiheits-Dogmatismus verbunden wurden“. (ebd., S. 62) Andererseits stand für die Gruppen und verschiedenen AktivistInnen fest, „dass für erfolgreiche Blockaden des G8-Gipfels in Heiligendamm Aktionstrainings unerlässlich sein würden“. Bis dahin waren „Aktionstrainings für Personen und Gruppen aus dem gewaltfreien Spektrum seit den 1980er Jahren ein fester Bestandteil von Aktionen und Kampagnen des Zivilem Ungehorsams“. (ebd.)

Mit einer gewissen Begeisterung sind Aktionstrainings inzwischen also auch im postautonomen Spektrum übernommen worden. Konkrete Erfahrungen mit Trainings bei der Aktionsvorbereitung lassen den Aktionstrainer Marc Amann nach den Massenprotesten in Heiligendamm zu der Erkenntnis kommen: „Kollektive Handlungsfähigkeit wird sich nicht von alleine verbreiten oder nur theoretisch herbeireden lassen. (...) Die G8-Mobilisierung hat gezeigt, wie wertvoll Aktionstrainings sind. In Zukunft wird es darauf ankommen, Aktionstrainings verstärkt auszubauen und auf unterschiedliche Situationen anzuwenden.“ (ebd.)

Mit der Gründung des 2008 entstandenen Trainingsnetzwerkes „skills for action“ ist das den TrainerInnen aus dem „links, undogmatisch und bewegungsorientierten“ Spektrum auch gelungen. TrainerInnen aus dem gewaltfreien Spektrum sind dort ebenso aktiv bzw. lassen sich über das entstandene Netz vermitteln.

Entwicklung von Trainingsformen
Folgende aktuelle Trainingsformen wurden in meinen Interviews mit erfahrenen TrainerInnen genannt:

  • Kurztrainings, mehrfach im Laufe eines Tages durchgeführt , z.B. zur Vorbereitung von Massenblockaden wie in „Heiligendamm“ oder auch für Occupy-Aktionen wie in Frankfurt/M im Mai 2012. 
  • Tagestrainings, auch zur inhaltlichen Vorbereitung einer Blockade, wie etwa aktuell die „Initiative gegen Rechts“ in Pforzheim.
  • Öffentliche Trainings mit demonstrativem Charakter, vor allem für die Medien, wie etwa 2009 vor dem Protest gegen den 60. Jahrestag der NATO in Strasbourg.
  • Aktionstrainings mit einer konkreten Aktionsplanung, wie etwa im Widerstand gegen Stuttgart 21 oder auch im Zusammenhang mit Castor-Transporten.
  • Train-the-Trainers, eine (Kurz)Ausbildung, um selbst Trainings durchführen zu können und methodisches Handwerkszeug kennen zu lernen.

Besonders verbreitet sind Kurztrainings mit Teilnehmenden, die keiner festen Gruppe angehören. Eingeübt werden vor allem die inzwischen gängigen Sitzblockaden und das „Sich-Wegtragen-Lassen“. Das Einüben der „Polizeiketten durchfließen“ ist besonders im postautonomen Spektrum gefragt. Auch die Methode „Schottern“ wird im Vorfeld trainiert, teilweise gemeinsam mit AktivistInnen aus dem gewaltfreien und postautonomen Spektrum. Die Umsetzung in die Praxis erfolgt i.d.R. getrennt, spielt doch die „Verkleidung“ mit Isomatten und Vermummung eine wichtige Rolle. Hier Vermummung – dort offenes Visier, wo die gewaltfreien AktivistInnen mit ihrer Person öffentlich für ihre Aktion einstehen.

Die Basis für die spektrenübergreifende Aktion in einem Bündnis ist der gemeinsam erarbeitete Aktionskonsens. Grundlagen jenseits der Gewaltfrage sind klare Absprachen, solidarisches Miteinander, gegenseitiger Respekt der Protestkulturen und Entschlossenheit. Im Mittelpunkt des Interesses stehen die Bündnisfähigkeit für begrenzte spektrenübergreifende Aktionen sowie taktisches Vorgehen.

Wie die Erfahrungen zeigen, können Trainingsangebote zugleich zur Mobilisierung beitragen. In der  konkreten Umsetzung der Trainings sind wesentliche Unterschiede zwischen den gewaltfreien Trainings und den Trainings beispielsweise der „Interventionistischen Linken“ zu erkennen. So die fehlende Erklärung zur Gewaltfreiheit, die dialogischen Übungen und das Thematisieren von Visionen, wie etwa alternative Gesellschaftsformen. Übungen, die die Bereitschaft zum konstruktiven Dialog in der eigenen Aktionsgruppe erhöhen, aber auch mit Andersdenkenden, Trennung von Mensch und Rolle (die Polizei ist nicht der Gegner). Umgang mit Aggression und Angst, Situationsanalyse und Strategieplanung sind weitere Elemente. Vielen Trainings gemeinsam, so auch beim Trainingsnetzwerk „skills for action“, sind hingegen Einheiten wie die Entscheidungsfindung im Konsens, Formen der Moderation und des SprecherInnen-Rates und die Bildung von Bezugsgruppen, die für die eigene Sicherheit als wichtig erkannt werden. Ebenso ist Rechtshilfe als Beratung ein spektrenübergreifendes Anliegen.

Doch in jüngster Zeit gab es auch Aktionen, Aktionskonsense und Trainings, die sich eindeutig für Gewaltfreiheit aussprachen. Bei „Resist the war“ 2003 (Irak-Krieg), der Initiative gegen genmanipulierte Feldfrüchte („Gen-Dreck weg!“), bei x-tausendmal quer und bei Stuttgart 21 wurde explizit Bezug auf das Konzept der Gewaltfreiheit genommen. Das Gleiche galt für Strasbourg 2009 für Aktionen zivilen Ungehorsams im internationalen gewaltfreien Bündnis „NATO ZU“ mit den War Resisters’ International aus Belgien, England, Spanien und deutschen Organisationen  (wie z.B. der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, dem Bund für Soziale Verteidigung und der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen.)

Resümee und Herausforderungen
Soll die Ablehnung der Gewaltfreiheit möglicherweise die Option für eine „Ultima ratio“ offen lassen, um irgendwann doch gewaltsame Aktionen einsetzen zu können? So hilfreich es auf den ersten Blick erscheint, mit der gängig gewordenen Absage an die Gewaltfreiheit, eventuell größere Bündnisse schließen zu können, so problematisch ist es, wenn zugleich die komplexen (Eskalations)Konzepte des gewaltfreien Widerstandes in sozialen Bewegungen nicht mehr thematisiert werden. Zudem reicht allein der Wunsch, gewaltfrei handeln zu wollen, nicht aus. Man und frau muss auch über entsprechende Verhaltensweisen verfügen. Gewaltfrei handeln in einer politischen Aktion will in Trainings geübt sein. Davon haben sich auch viele Akteure der Revolution 2011 in Ägypten überzeugen lassen, lange vor den Großdemonstrationen an zahlreichen Trainings in Gewaltfreier Aktion teilgenommen und trotz staatlichen Terrors weitgehend an der Gewaltlosigkeit festgehalten.

Was tun? Eine Herausforderung liegt sicherlich in der spektrenübergreifenden Bündnispolitik. Wann ist eine breite Bündnispalette anzustreben, um „im solidarischen Miteinander“ der herrschenden Politik zu widerstehen? Soll das Motto etwa lauten „statt Prinzipienstreit verbindliche Verhaltensregeln“? Das ist nicht die Frage. Oder sollen wir in zwei Protestgruppen räumlich getrennt in der Öffentlichkeit auftreten – die eine Gruppierung in einer erklärten gewaltfreien Aktion und die andere in einer taktisch konzipierten Aktion? Oder ist die Frage vielmehr: Mit welchem Ziel und auf welcher Grundlage erweitern wir unsere politischen Handlungsräume? Die Mittel entsprechen dem Ziel einer gewaltfreien und gerechten Gesellschaft.

Die gewaltfreie Bewegung hat großen Einfluss genommen auf die Bedeutung von Aktionstrainings und sie seit „Heiligendamm“ strömungsübergreifend bekannt gemacht. Die gewaltfreie Position sollte sie weiterhin klar, unmissverständlich und zugleich undogmatisch vertreten. Die Gewaltfreie Aktion ist eine kämpferische Methode, sie ist eine Form des Widerstandes. Diese Haltung sollte von AkteurInnen in der gewaltfreien Bewegung verbreitet und weiterentwickelt werden!

Der Artikel erscheint im Friedensforum 1/2013 und basiert auf einem Vortrag im April 2012 auf dem Studientag des „Instituts für Friedensarbeit und gewaltfreie Konfliktaustragung“ und „Archiv Aktiv“. Grundlage war u.a. eine kleine Umfrage, die ich unter TrainerInnen und AktivistInnen zu neueren Entwicklungen in der Trainingsarbeit durchgeführt hatte.

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