Ein Kommentar über die Debatten um Gewaltfreiheit in der Friedensbewegung

Vom Zivilen Widerstand zur zivilen Konfliktbearbeitung?

von Christine Schweitzer

Die Friedensbewegung hat immer von ihrer Vielfalt gelebt, und auch wenn fast alle ihre Aktivitäten sowieso gewaltlos waren, so stellten doch die Gewaltfreien stets ein bestimmtes (Minderheiten-)Spektrum innerhalb der Bewegung dar. Sie beriefen und berufen sich auf Gewaltfreiheit als ein grundlegendes Prinzip, das jede Rüstung und jede Gewalt (auch die revolutionäre) ablehnt, und durch einen "dritten Weg" im Sinne von Gandhi zu ersetzen sucht. Theodor Ebert hat, zum Thema Gewaltfreier Aufstand schreibend, drei Eskalationsstufen gewaltfreier Aktion definiert, die jeweils eine sich rein auf Widerstand beziehende (Protest, legale Nichtzusammenarbeit, Ziviler Ungehorsam) und eine konstruktive Ausprägung, nämlich die Vorwegnahme des angestrebten Zustandes, haben.(1) In diesem Artikel möchte ich argumentieren, dass sich die Gewaltfreien nach dem Ende der Blockkonfrontation überwiegend der "konstruktiven Seite" in Form der Zivilen Konfliktbearbeitung im internationalen Maßstabe zugewandt haben, und darüber den Diskurs über neue militärpolitische Entwicklungen und den Widerstand dagegen etwas vernachlässigt haben.

In der Blütezeit der Friedensbewegung in den achtziger Jahren bedeutete Gewaltfreiheit in erster Linie Sitzblockaden vor Militäreinrichtungen. Gewaltfreiheit changierte dabei zwischen Ansätzen, die Gewaltfreiheit mit Zivilem Ungehorsam gleichsetzten und effektive Behinderungen des Militärapparates anstrebten, und jenen Ansätzen, die den Dialog mit dem politischen Gegner in den Vordergrund stellten, den sie durch ihr eigenes Leiden (Festnahme und Gefängnisaufenthalt nach direkten gewaltfreien Aktionen) zu beeinflussen suchten.(2)

Mit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus 1989 entstand die Kampagne "BRD ohne Armee", und die Forderung nach Auflösung von Bundeswehr und NATO, zuvor wegen ihrer Radikalität eher peripher, fand plötzlich Gehör in weiteren friedensbewegten Kreisen. Die Hoffnung auf Abrüstung schien greifbar nahe.

Doch das Window of Opportunity, wenn es überhaupt da war, schloss sich innerhalb von zwei Jahren wieder. Ab 1991 bereitete sich die derzeitige Weltordnung vor, in der Krieg weit mehr als in der Zeit vor 1989 wieder zum Mittel von Politik geworden ist.

Was dann kam, waren reale Kriege, die sogenannte Pazifismus-Debatte, und die Diskussion um gewaltfreie Alternativen, was gewöhnlich Zivile Konfliktbearbeitung hieß.

Reale Kriege und die Pazifismusdebatte
Die Entwicklung von der äußerst bedrohlich, aber letztlich abstrakten strategischen Abschreckung hin zu einem internationalen System, in dem Einsatz von Militär zu einer höchst gewöhnlichen Option geworden ist, vollzog sich innerhalb eines Jahrzehntes. Es begann mit dem zweiten Golfkrieg 1991, führte über die Versuche, die Kriege im ehemaligen Jugoslawien militärisch zu beenden, beinahe zielstrebig hin zur Ausrufung des "Kriegs gegen den Terror" nach dem 11.9.2001.

Die Grundfrage der sog. Pazifismusdebatte, die von bestimmten ehemaligen Linken und Grünen angestoßen wurde, hieß "Gibt es nicht doch Situationen, wo nur Militär/ Gewalt helfen kann?", wobei diese Frage dann stets bejahend beantwortet wurde.

Die Debatte begann(3) 1991 im zweiten Golfkrieg, wurde vehement während des Bosnienkrieges 1992 bis 1995 geführt, tauchte wieder auf während des Kosovo-Krieges 1999, und zuletzt subsumierte dann Ludger Volmer in der Frankfurter Rundschau im Jahre 2002 unter dem Titel "Was bleibt vom Pazifismus"(4) zunächst alle Argumente, die jemals gegen bestimmte Kriege bzw. gegen Krieg allgemein vorgebracht wurden, unter den Begriff des "Pazifismus", um damit sein Argument der Zeitgebundenheit des pazifistischen Ansatzes zu untermauern und letztlich den "Krieg als letztes Mittel" als neueste Entdeckung des Pazifismus anzupreisen. Dabei warf Volmer antimilitaristische, echt pazifistische, schlicht friedensbewegte und antiimperialistische Positionen und Argumente in einen Topf.

Gewaltfreie haben sich gegen diese Debatte zumeist mit dem Hinweis auf zivile Alternativen zu Militäreinsätzen gewehrt, und den Ausbau von zivilen Alternativen durch die Politik gefordert.

Anfang der neunziger Jahre haben sich viele Friedensorganisationen aus dem gewaltfreien Spektrum dem Thema der Zivilen Konfliktbearbeitung zugewandt, bei der Weiterentwicklung ihrer Instrumente und Strategien mitgewirkt und sie als Alternative zu militärischen Lösungsversuchen durch die sog. internationale Gemeinschaft propagiert. Dabei ging es nicht darum, quasi blind Alternativen zu all dem zu benennen, was die NATO und unsere Regierungen als Funktionen und Aufgaben des Militärs darstellen. Um Alternativen geht es allein in Bezug auf die Verhinderung und Bearbeitung von gewaltsamen Konflikten, nicht darum, "unsere" Rohstoffe zu sichern, "unsere" strategischen Interessen weltweit durchzusetzen, usw.

Doch muss leider festgehalten werden, dass diese Diskussion um Alternativen auch in Reihen der neuen Friedensbewegung nicht durchweg nachvollzogen wurde. Die Friedensbewegung erscheint manchmal heute in zwei Teile gespalten: Jene, die anklagen, und jene, die gewaltfreie Alternativen propagieren. Dies ist natürlich nur eine idealtypische Zergliederung. De facto tun viele Gruppen beides, wenngleich die eine oder andere Richtung schon deutlich verortbar erscheint. Aber eine konstruktive Umgehensweise mit diesen Widersprüchen wird in meinen Augen dadurch erschwert, dass man in Teilen der (linken) Friedensbewegung meint, der Wahrheit dadurch nahe zu kommen, dass man nach dem Prinzip "der Feind meines Feindes ist mein Freund" Diktaturen, die sich der schwersten Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben, wie z.B. die Republik Jugoslawien unter Milosevic, zu den letzten aufrechten Verfechtern des Sozialismus erklärt, und diejenigen, die gegen das Belgrader Regime aufstanden, zu Terroristen. Das auffällige Schweigen zu den russischen Drohungen gegen den Westen im Kontext des von den USA geplanten Raketenabwehrschirms passt leider ebenfalls hierzu.

Entwicklung von Alternativen und Widerstand
Meines Erachtens gilt es, einen Mittelweg zwischen blindem Sich-Einlassen auf jede neu entstandene politische Situation und der Verweigerung aller Vorschläge zu finden. Und genauso wichtig ist es, dass sich diejenigen, die sich als Gewaltfreie verstehen, wieder in die aktuellen friedenspolitischen Debatten einmischen, was nicht nur einen kritischen Dialog mit den Regierenden um Vorrang für zivile Konfliktbearbeitung, sondern einen genauso kritischen Dialog innerhalb der Friedensbewegung und ihrer Partei(en) bedeutet.

Am Militärischen wird festgehalten,

  • Weil man sich nichts anderes vorstellen kann
  • Weil grundlegende Ängste entstehen
  • Weil man an Rüstung verdient
  • Weil Existenzen daran hängen
  • Weil man das Instrument Krieg durch Durchsetzung seiner (letztlich wirtschaftlich aber auch machtpolitisch motivierten) Interessen braucht.

Gewaltfreie Alternativen stehen demgegenüber nur als Konzepte, aber oftmals nicht in Form ausreichender Ressourcen zur Verfügung stehen und bleiben deshalb scheinbar utopisch. Deshalb gilt es, neben der Stärkung der Menschenrechte, dem Einsatz für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und der Bekämpfung der neokapitalistischen und imperialen Globalisierung zivile Alternativen zu benennen und aufzubauen. Wenn dies gelingt, dann könnte dies die bekannten Widersprüche im System schaffen, die genutzt werden können, doch noch einer `Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit` ein Stückchen näher zu kommen.

Anmerkungen

  1. Ebert, Theodor, Gewaltfreier Aufstand. Alternative zum Bürgerkrieg, Waldkirchen: Waldkircher Verlagsgesellschaft, 1981 (4. Auflage)
  2. Die Diskussionen dieser beiden Strömungen können u.a. gut in der Zeitschrift Graswurzelrevolution nachgelesen werden.
  3. Für einen Überblick siehe Wolf-Dieter Narr / Klaus Vack, Streibarer Pazifismus! Friedenspolitik und Friedensbewegung nach dem Golfkrieg, Hrsg. Komitee für Grundrechte und Demokratie, Sensbachtal, April 1991. Wolf Biermann gehörte zu den ersten "Bellizisten", die den Krieg gegen den Irak aus der `deutschen Verantwortung` rechtfertigten.
  4. Ludger Volmer, "Was bleibt vom Pazifismus?", in: FR vom 7. Januar 2002.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.