Perspektiven der Friedensbewegung

Abrüsten fürs Klima

von Angelika Wilmen
Schwerpunkt
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Das desaströse Scheitern des Afghanistankrieges bietet die Chance für die Friedensbewegung, Auslandseinsätze grundsätzlich in Frage zu stellen und mit unseren Alternativen zu einer militärischen Sicherheits- und Außenpolitik stärker als bisher Gehör zu finden. Dennoch gelingt es uns bisher nicht, mit unseren Forderungen nach einem Ende von Militäreinsätzen öffentlich durchzudringen. Stattdessen wird wieder über die schnelle militärische Eingreiftruppe der EU diskutiert und ihre Aufstockung gefordert. Olaf Scholz spricht sich dafür aus, die europäische Rüstungskooperation auszubauen. Stolz verweist er darauf, dass der Verteidigungshaushalt in seiner Zeit als Finanzminister den stärksten Zuwachs seit langem auf heute 50 Milliarden Euro erfahren habe.
„Der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fehlt das Gemeinsame“, kommentiert der österreichische Friedensforscher Thomas Roithner. Vergeblich suche man EU-Positionen zu Flüchtlingen, Konfliktbearbeitung in Syrien oder Libyen, Atomwaffen, Killerrobotern oder dem Umgang mit China. Außenpolitische Uneinigkeit werde seit 20 Jahren mit Diskussionen über EU-Militäreinsätze und Rüstungsprojekte übertüncht. Rund 80 % des Personals bei EU-Einsätzen seit 2003 seien Militärs. Ziviles sei unterrepräsentiert und seit zehn Jahren sogar rückläufig.
Dabei gab und gibt es sie ja die alternativen Vorschläge für eine „nachhaltige Sicherheitspolitik“. Die Initiative „Sicherheit neu denken“ etwa fordert einen Paradigmenwechsel, weg von der jetzigen Regierungspolitik, die „Verantwortung“ als militärische Stärke versteht, hin zu einer Sicherheitspolitik, die nicht mehr auf Gewalt und Krieg beruht, sondern auf Kooperation und dem Wohlergehen aller Menschen und der Natur. „Wichtige Merkmale einer gemeinsamen Sicherheit sind die Akzeptanz der gegenseitigen Abhängigkeit, eine gemeinsame Verantwortung und die Einsicht, dass Sicherheit auf Dauer nur mit, und nicht gegen den Konfliktpartner möglich ist“, so Ulrich Frey, Mitglied der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung. „Sicherheit neu denken“ schlägt für den künftigen Koalitionsvertrag eine Verdoppelung der finanziellen und personellen Ausstattung der Instrumente zur Zivilen Krisenprävention und -intervention bis 2025 vor. Zudem fordert die Initiative eine transparente Evaluation bisheriger militärischer Einsätze inklusive vergleichender Bewertung entsprechender Investitionen in Instrumente ziviler Sicherheitspolitik.
In den letzten Jahren sind neue Institutionen für Friedensförderung und Gewaltprävention entstanden. Nonviolent Peaceforce oder der Zivile Friedensdienst sind einige dieser Projekte. Für den von der Bundesregierung geförderten Zivilen Friedensdienst beobachten spezifisch ausgebildete Friedensfachkräfte Ursachen, Verläufe und Folgen von Konflikten und unterstützen eine Konfliktbearbeitung mit gewaltfreien Mitteln. Aktuell arbeiten mehr als 350 internationale ZFD-Fachkräfte in 45 Ländern. Leider sind diese Projekte in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.
Obwohl es in der Bevölkerung breite Mehrheiten gegen Militäreinsätze gibt, drückt sich das nicht in der Wahlentscheidung aus. Und es fehlt der Druck der Straße. Seit dem Jahr 2003, in dem eine halbe Million Menschen in Berlin auf die Straße gingen, um gegen den drohenden Irakkrieg zu demonstrieren, ist es der Friedensbewegung nicht mehr gelungen, eine große Zahl von Menschen zu mobilisieren.
Wie können wir mehr und vor allem junge Menschen für das Friedensthema gewinnen und den öffentlichen Druck auf die Politik erhöhen? Die gute Nachricht ist: Junge Menschen interessieren sich für Politik. Und sie sind bereit, dafür auf die Straße zu gehen, ja sogar zivilen Ungehorsam zu leisten. Denken wir nur an die Aktivist*innen vom Hambacher Forst, Extinction Rebellion oder „Ende Gelände“.
Und: Die Jugend interessiert sich nicht nur für das Klimathema. Die Projekt-Koordinatorinnen von „Peace for Future“ Mirka Hunter und Theresa Hirn haben im Frühjahr 2021 eine quantitative Umfrage durchgeführt, an der sich 450 Menschen beteiligt haben, 43 Prozent waren zwischen 15-25 Jahre alt. 99% der Befragten gaben an, dass ihnen Frieden wichtig sei. 95% können sich grundsätzlich vorstellen, sich für Frieden und Sicherheit zu engagieren. Thematisch am stärksten interessierte sie der Zusammenhang zwischen der Klimakrise und Frieden. 78 % beantworten die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, für einen Paradigmenwechsel von militärischer zu ziviler Sicherheitspolitik zu engagieren, mit Ja.
Die Krisen unserer Zeit hängen eng zusammen. Die aktuelle globale Aufrüstungsspirale produziert Emissionen und Umweltverschmutzung und bindet dringend benötigte Finanzmittel für die Bekämpfung des Klimawandels. Gleichzeitig haben Erderhitzung, Biodiversitätsverlust und die Übernutzung unserer Lebensgrundlagen schon jetzt massive Folgen für unsere Gesundheit und für die menschliche Sicherheit. „So hängen Konflikte und Kriege direkt oder indirekt mit den sich zuspitzenden ökologischen Krisen zusammen. Dabei sind Militär und die Rüstungsindustrie als angebliche Garanten für Sicherheit und Wohlstand nicht Teil der Lösung, sondern des Problems: Sie heizen die Klimakatastrophe weiter an und schwächen unsere Anpassungsmöglichkeiten erheblich“, schreibt die IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen.
Es muss uns gelingen, das Thema „Frieden“ in die Klimabewegung zu tragen. Die IPPNW hat sich zum Ziel gesetzt, die Klimaschädlichkeit der aktuellen Sicherheitspolitik und damit ihre Krisenbeschleunigung öffentlich zu machen. Mit dem Slogan „Abrüsten fürs Klima“ haben wir uns an der Klimademonstration am 24. September 2021 beteiligt. Auf der Klimakonferenz in Glasgow vom 1.-12. November 2021 werden wir das Thema „Klima und Krieg“ einbringen. Mit anderen Organisationen fordern wir die Praxis des Ausschlusses militärischer Emissionen aus den Klimavereinbarungen zu beenden. Der CO2-„Stiefel“abdruck von Krieg, Militär und Rüstung wird bisher nicht veröffentlicht und gezielt aus Klimaschutzmaßnahmen und internationalen Abkommen ausgeklammert.

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