Ein Kommentar

Obama – Die Rache (Fortsetzung folgt)

von Christine Schweitzer
Im Blickpunkt
Im Blickpunkt
( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Wenige Opfer des ‚Kriegs gegen den Terror’ haben so viel Medienaufmerksamkeit und Diskussion verursacht wie eines seiner jüngsten: Osama bin Laden. Dieser Krieg war von den USA nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 „erklärt“ worden, und die NATO rief postwendend dann auch das erste Mal in ihrem Bestehen den Bündnisfall aus. Dass eine Kriegserklärung gegen ein Phänomen völkerrechtlich nicht vorgesehen ist, war dabei unwichtig. Schließlich hatte die Erklärung von Krieg in unsere Alltagssprache schon längst Eingang gefunden – so wurde von verschiedenen Seiten und Regierungen u.a. schon AIDS, dem Hunger und der Dengue-Fliege der Krieg erklärt. Doch ‚Krieg gegen den Terror’ klang gut, und so ließen sich dann auch die realen Militäraktionen, an erster Stelle der Angriff auf Afghanistan, statt als Krieg gegen einen souveränen Staat als „Intervention“ verkaufen, um die Unterstützung von Terroristen von Seiten des Talibanregimes zu unterbinden.

Als Nebenbemerkung: Niemand mag heutzutage mehr einen Krieg gegen ein anderes Land erklären, was wohl als zivilisatorischer Fortschritt gewertet werden kann, denn es zeigt, dass Krieg eben doch nicht mehr so als Mittel der Politik akzeptiert ist, wie er es früher war. Man „verteidigt“ sich lediglich, oder man „interveniert“ zum Schutz höherer Güter.

Doch zurück zum Thema: Dass die USA selbst es mit der Kriegserklärung gegen den Terror nicht so ganz ernst nahmen, zeigte sich spätestens mit den illegalen Festnahmen, Folterungen und Entführungen von angeblich Terrorverdächtigen nach Guantánamo. Den Gefangenen wurde und wird bekanntlich der Status als Kriegsgefangene verweigert, ebenso wie der Status als normaler, dem US-Recht unterworfenen Häftling, der eines Rechtsbruchs angeklagt ist.

Dennoch kann die extralegale Tötung von Bin Laden in Pakistan am besten in dem Erklärungsrahmen des sog. Kriegs gegen den Terror verstanden werden. Wenn ich Krieg führe, dann ist bekanntlich das Grundrecht auf Leben ausgesetzt und ich darf einen gegnerischen Kombattanten töten, ohne mich deshalb juristisch gesehen des Mordes oder Totschlags schuldig zu machen. Der Kombattant stellt ein völkerrechtlich legitimes Ziel dar. Dieses Rechtfertigungsmuster wurde auch nicht erst mit Bin Laden angewendet – regelmäßig greifen US-Drohnen Dörfer in Pakistan an, stets mit der Begründung, dass man dort Terroristen gesichtet habe, die in Afghanistan kämpften. Die pakistanische Regierung scheint darüber nicht gerade glücklich, nimmt die Angriffe aber hin, zumal sie wenig Medienöffentlichkeit erfahren. Und bei der Ermordung von Bin Laden konnte sich die US-Regierung darüber hinaus sicher sein, dass sein Tod in großen Teilen der Welt begrüßt werden würde. Nicht, weil man realistischerweise glaubt, dass ohne ihn die bestehenden Terrornetzwerke auseinander fielen. Doch bin Laden stand für den 11. September und etliche weitere Anschläge, die zusammen etlichen Tausend Menschen das Leben gekostet haben, und war damit ein Symbol, mit dessen Beseitigung Obama außen- wie innenpolitisch Pluspunkte gutmachen konnte.

Also warum eigentlich die ganze Aufregung? Warum sahen sich viele Organisationen der Friedensbewegung veranlasst, kurz nach Bin Ladens Tod Presseerklärungen herauszugeben? Nicht aus Sympathie mit dem Opfer. Die Antwort ist einfach: Weil die ‚extralegale Hinrichtung‘ (IPPNW), durchgeführt in einer Aktion, die man ansonsten wohl eher aus James Bond Filmen und ähnlichen Produkten desselben Genres kennt, wieder einmal deutlich macht, wie wenig sich die USA (und ihre Verbündeten) um internationales Recht scheren. Die Ausrufung des ‚Kriegs gegen den Terror‘ war rechtswidrig, der Angriff auf Afghanistan und den Irak war rechtswidrig, und die Ermordung von Menschen, auch wenn diese selbst ohne echten Zweifel des Massenmordes schuldig sind, ist es ebenfalls.

Der ‚Krieg gegen den Terror‘ hat bislang eine unbekannte, aber sicher in die Hunderttausende gehende Zahl von Opfern gefordert. Es gibt ein Tabu gegen die Aufrechnung von Menschenleben, aber der Hinweis muss trotzdem erlaubt sein, dass die Zahl der Opfer, die in Reaktion auf den 11. September in Afghanistan, Irak und anderen Ländern getötet wurden, die Zahl der Opfer aller derzeit operierenden Terrorgruppen um das x-fache übersteigt. Dies allein zeigt, selbst wenn man die in Wirklichkeit hinter den Angriffen auf Afghanistan und den Irak stehenden ökonomischen und geostrategischen Interessen außer Acht lässt, wie pervers das Legitimationsschema des ‚Kriegs gegen den Terror’ ist.

Was notwendig ist, ist ein radikales Umdenken. Unrecht muss wieder – auch von der Politik – als Unrecht bezeichnet werden. Es bleibt zu fürchten, dass ein solches Umdenken seit der Tötung von Bin Laden nicht näher gerückt ist, auch wenn eine Diskussion über die Freudensäußerungen von Seiten normaler Menschen wie der Politik in vielen Ländern entstanden ist. Die besorgten Worte des Papstes, dass ein Christ sich nie über den Tod eines Menschen freue, hat durchaus Betroffenheit ausgelöst, und dafür muss man wohl dankbar sein. Aber das reicht nicht aus. Was wir brauchen, ist eine neue Politik in Afghanistan (und anderenorts), Aufklärung über die Menschenrechtsverletzungen, die dort von allen Kriegsparteien, eben auch unserer Seite, begangen wurden und werden sowie deren Verfolgung, deutliche Akte der Anerkennung des Leidens, das verursacht wurde, symbolische Akte der Versöhnung, die sich in erster Linie an die islamische Welt richten, und ein klares Bekenntnis zum internationalen Recht ohne Wenn und Aber. Das Völkerrecht – so unvollkommen wie es sein mag- muss von den Nationen, die sich gern als die führenden in der Weltgemeinschaft ansehen, ernst genommen werden. Wenn sie es nicht tun, warum sollten es andere tun?

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.