Koversion:

Vom Wunschdenken zur Praxis

von Roland Vogt

In den 1970er und 1980er Jahren verstand man im friedenspolitischen Kontext gemeinhin unter Konversion die Umstellung von Rüstungswarenproduktion auf alternative zivile Güter (1). Wirklich elektrisierend wirkte der „Lucas-Plan“, demzufolge beim Luftfahrt- und Rüstungskonzern statt Waffen sozial nützliche Güter hergestellt werden sollten wie Solarheizsysteme, künstliche Nieren und ein Straßen-Schienenbus. Unter maßgeblicher Mitwirkung von Chefkonstrukteur Mike Cooley entwarf der Betriebsräteausschuss (Shop Steward Committee) diese attraktive Produktpalette, die nicht allein Arbeitsplätze erhalten hätte, sondern auch für die Gesellschaft hätte nützlich sein können – wenn die Konzernleitung den Lucas-Plan nicht verworfen hätte. Mike Cooley wurde „zum Dank“ entlassen. Doch der Plan war nicht mehr aus der Welt zu schaffen (2). Er inspirierte Ingenieure, RüstungsarbeiterInnen, AnhängerInnen der Friedensbewegung und friedenspolitisch motivierte PolitikerInnen  weltweit – so auch in Bremen (3), als dort  Antworten auf die Werftenkrise gesucht wurden.

Doch was konnte man mit Konzepten der Rüstungskonversion anfangen, wenn man sich Gedanken um die Zukunft von Regionen machte, in denen es zwar keine Rüstungsproduktion gab, wohl aber eine massive wirtschaftliche Abhängigkeit von Militärstandorten, wie beispielsweise in der Westpfalz im Raum Kaiserslautern, Pirmasens, Zweibrücken? Eine erste Antwort war die Gründung des Projekts „Regionale Konversion Westpfalz. Wir erhoben Wirtschaftsdaten der Region, versuchten uns durch Betriebsbesichtigungen ein möglichst realistisches Bild von den zivilen Wertschöpfungskräften zu machen; auch herauszufinden, weshalb früher stabile Fertigungszweige wie Möbel- und Schuhproduktion in die Krise geraten waren, wie sie wiederzubeleben sein könnten und welche Dienstleistungen, Produktionszweige aber auch alternative Lebensformen sich in der Region neu etablieren könnten. Auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen im Bundestag erfuhren wir die Zahl der direkt für das Militär Beschäftigten in Rheinland-Pfalz: 22.329 bei der Bundeswehr und weitere 25.787 bei den Stationierungsstreitkräften (aus den USA und Frankreich) - per saldo also 48.000!

Unabhängig davon, dass Die Grünen (damals noch!) für den Abbau der Bundeswehr und den Abzug der Stationierungsstreitkräfte eintraten, erschien uns eine derart militärlastige Wirtschaftsstruktur extrem ungesund. Es war die Aufgabe vorausschauender Politik, Konzepte für eine alternative, vom Militär unabhängige Wirtschaftsstruktur zu schaffen: durch Konversionsprogramme und dort, wo ganze Regionen so massiv wie die Westpfalz vom Wirtschaftsfaktor Militär abhängig waren, eben durch Regionale Konversion, also Initiativen für den zivilen Umbau ganzer Regionen (4).

Offenbar war die Zeit noch nicht reif. Auch 1987, als die Grünen in den rheinland-pfälzischen Landtag einziehen konnten, stießen sie mit ihren Vorschlägen, das Land durch Konversionsprogramme auf Abrüstung und Truppenabzug vorzubereiten, auf taube Ohren, ja: höhnische Ablehnung (5). Die Regierenden fuhren fort, Rheinland-Pfalz als „Flugzeugträger der NATO“ zu rühmen, und bestärkten die Menschen in den wirtschaftlich besonders militärabhängigen Regionen Westpfalz, Hunsrück und Eifel in der Haltung, zum Arbeitgeber Militär gebe es keine Alternative.

Die Wende
Die Situation änderte sich schlagartig im Zuge von Wende, Wiedervereinigung, Ost-West- Entspannung  und beginnender Abrüstung.

Als die Nebel des Kalten Krieges verflogen waren, zeigte sich, dass militärische Einrichtungen im Osten und Westen Deutschlands zusammen 970.000 ha Fläche in Anspruch genommen hatten, was etwa der Hälfte des Bundeslandes Rheinland-Pfalz entspricht. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR kamen der im September 1994 abgeschlossene Abzug der ehemals sowjetischen Streitkräfte und die Quasi-Auflösung der NVA einer kompletten Abrüstung gleich. Demgegenüber erfolgten der Abzug  der ausländischen Truppen aus der alten Bundesrepublik und die Verkleinerung der Bundeswehr in Etappen, entsprechend auch die Freigabe von Militärflächen an zivile Akteure. Der Rüstungssektor in Ostdeutschland wurde komplett abgewickelt. Die Umstellung auf zivile Fertigungen hatte nur in wenigen Fällen dauerhaften Erfolg. Der Rüstungssektor im Westen blieb unangetastet.

Als „Strukturkrise wie in der Stahlbranche an der Saar oder bei den Werften in Norddeutschland“ empfand 1990 der Oberbürgermeister von Zweibrücken die Folgen des bevorstehenden Abzugs der US-Streitkräfte aus der westpfälzischen Stadt. (6)

Zumindest war an vielen mit Abrüstung und Abzug konfrontierten Standorten ein Strukturwandel erforderlich. Aber überall fehlten die Konzepte, wie dieser Strukturwandel bewerkstelligt werden könnte.

Brandenburg
Von der Neugründung des Landes Brandenburg an sorgten Regierung und Parlament dieses jungen Bundeslandes dafür, dass die gigantische Aufgabe der Konversion planvoll und kreativ angegangen werden konnte. Gigantisch, weil im Land Brandenburg, wenn man alle von den „bewaffneten Organen“ freigeräumten Flächen gedanklich zusammenzog, eine Fläche von der Größe des Saarlandes zur zivilen Umwandlung anstand. Schon Ende 1990 berief Ministerpräsident (MP) Dr. Stolpe Dr. Helmut Domke zum „Bevollmächtigten des Ministerpräsidenten für den Abzug der sowjetischen Streitkräfte und für Konversion“. Ich leitete dessen Arbeitsstab in der Staatskanzlei. Neben der Begleitung des „Abzugs in Würde“ der ehemaligen sowjetischen Streitkräfte konnten wir mit weitgehenden Vollmachten und kurzem Dienstweg die Grundlagen für das Arbeitsgebiet Konversion schaffen. Dabei kamen mir die Vorübungen im Raum Kaiserslautern zugute. Entscheidend für den späteren Erfolg von Konversion made in Brandenburg war allerdings, dass der MP diese neuartige Gestaltungsaufgabe in der ersten Legislaturperiode 1990-1995 zur Chefsache gemacht hat.

Als erstes Bundesland legte Brandenburg 1992 „Leitlinien für Konversion“ (7) vor. Das Land nahm das Angebot der Bundesregierung an, ca. 100.000 Hektar ehemals sowjetischer Liegenschaften in Landeseigentum zu übernehmen, verabschiedete hierfür ein Gesetz und schuf die Brandenburgische Bodengesellschaft zu ihrer Verwaltung, Entwicklung und Verwertung.

Inzwischen sind 93 % davon einer sinnvollen zivilen Nutzung zugeführt worden.

Allerdings sind neue Aufgaben hinzugekommen: dazu gehört die Konversion der Kyritz-Ruppiner Heide, das nach 18 Jahren Bürgerwiderstand von der Bundeswehr aufgegebene ehemalige sowjetische „Bombodrom“-Gelände. Und dazu gehört auch die für Herbst 2011 erwartete neue Schließungswelle von Bundeswehrstandorten.

Von Anfang an hat die Landesregierung die Gestaltung der Konversion eng mit den Kommunen verzahnt. Auf Initiative der für das Land arbeitenden Konversionsexperten entstand das Forum für Konversion und Stadtentwicklung, FOKUS, ein eigenständiges  kommunales Netzwerk, das sich zum höchst selbstbewussten Sparringpartner für Landesregierung und Landtag in Sachen Konversion entwickelt hat. FOKUS veranstaltet mit Unterstützung der Landesregierung und der EU alljährlich den “Konversionssommer“, eine Art Leistungsschau für erreichte Fortschritte vor Ort, zugleich aber auch ein Forum für die innovative Weiterentwicklung von Konzepten ziviler Umgestaltung. Der Konversionssommer 2010 beispielsweise lief unter dem doppelsinnigen Motto „Konversion in Brandenburg mit neuen Energien“. Von 2003-2006 war das Wirtschaftsministerium „Lead Partner“ für das  EU-geförderte Konversionsnetzwerk im Ostseeraum, CONVERNET, dessen Ergebnisse im Internet zu finden sind (8). Ein Ziel der das Netzwerk koordinierenden Brandenburger Konversionsexperten war es, neue EU-Mitglieder aus dem ehemaligen Warschauer Vertragsgebiet wie Polen, Litauen, Lettland und Estland, aber auch die als Gast teilnehmende Tschechische Republik in einer Art „spill over-Effekt“ an den Erfahrungen des vormals ebenfalls zum Warschauer Vertragsgebiet gehörenden heutigen Bundeslandes Brandenburg teilhaben zu lassen. Als „best practice“ ermittelte CONVERNET mit Schweden und Brandenburg die Länder, in denen ein revolvierender Fonds besteht, d.h. die Erträge aus der Grundstückverwertung immer wieder aufs Neue in den Konversionsprozess investiert werden.

Rheinland-Pfalz
Was den Vergleich zwischen dem Konversionshauptland Ost und dem Konversionshauptland West so spannend macht, sind die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, unter denen sich der Prozess der zivilen Umwandlung bisher jeweils gestaltete. Und dass sie, was den Erfolg angeht, ebenbürtig sind. Kann sein, dass beide Bundesländer wegen des unabweisbaren Problemdrucks zum Erfolg verurteilt waren. Aber das erklärt noch nicht alles. 

Auffällig ist, dass es in beiden Fällen der Regierungschef war, der früh erkannte, dass mit der Konversion in seinem Land eine Jahrhundertaufgabe zu schultern war, und dass er sie zur Chefsache machen musste, wenn sie erfolgreich bewältigt werden sollte.

In Rheinland-Pfalz bildet sich die Chefsachenentscheidung im sogenannten Konversionskabinett ab, das neben dem regulären Kabinett besteht und dem außer dem MP die für Konversion einschlägig zuständigen Minister angehören. In Brandenburg wie in Rheinland Pfalz wurde die Konversion in den Dienst des Strukturwandels gestellt.

Seit das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) die Förderfähigkeit von Anlagen Erneuerbarer Energien auf Konversionsflächen privilegiert, ist auch in Rheinland-Pfalz ähnlich massiv wie in Brandenburg der Run auf solche Flächen eröffnet. Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen in Folge des Landtagswahlergebnisses von 2011 dürfte diese Tendenz noch verstärken, zumal die Errichtung von Windparks der großflächigen Verteilung von Windkraftanlagen vorgezogen werden soll.

Der „Morbacher Weg zur energie-autarken“ Kommune zeigt idealtypisch, wie künftige Konversionslandschaften gestaltet werden könnten. Morbach, ein Luftkurort im rheinland-pfälzischen Hunsrück, ließ sich bereits im November 2001 durch die Biomassetagung auf dem nahegelegenen Umweltcampus Birkenfeld inspirieren, auf dem ehemaligen Munitionsdepot der Gemarkung die „Energielandschaft Morbach“ zu errichten.

Sie besteht inzwischen aus 14 Windkraftanlagen, darunter ein Bürgerwindrad, an dem sich Bürger der Gemeinde als Kommanditisten beteiligen, aus Photovoltaik-Anlagen, einer Biogasanlage, einem Holzhackschnitzelheizwerk, einer Firma, die Holzblockhäuser aus heimischen Nadelhölzern fertigt, solaren Trinkwasseraufbereitungsanlagen als Beitrag zur Entwicklungshilfe für Mali etc.  Morbach ist inzwischen zu einer Pilgerstätte für EnergietouristInnen aus aller Welt geworden.

Dass Konversion in Deutschland und  anderen Ländern der EU weitgehend erfolgreich verlief, ist auch der Europäischen Gemeinschaft und späteren EU zu verdanken, die in den entscheidenden Nachwendejahren ein Sonderförderprogramm für Konversion, die Gemeinschaftsinitiative KONVER auflegte. Nach Auslaufen von KONVER ist es weiterhin möglich, Konversion aus Mitteln der EU-Strukturfonds zu fördern.

Konversionsversager Bund
Die Bundesebene ist für Konversion eher ein Hemmschuh. Der Bund hat es nach der Wende versäumt, ein Bundeskonversionsprogramm aufzulegen und Beratungsstrukturen zu schaffen, wie beispielsweise in den USA das „Office of Economic Adjustment“(OEA) (9).

Von ausländischen Streitkräften freigegebene und von der Bundeswehr aufgegebene Liegenschaften gehen in das Allgemeine Grundvermögen über und werden im Auftrag des Bundesfinanzministeriums von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verwaltet und verwertet. Anders als beim revolvierenden Fonds in Brandenburg kommen die Erlöse aus der Grundstücksverwertung nur zu einem geringen Teil dem Konversionsprozess zugute. Im Fall der ehemaligen Bundeswehrliegenschaften fließen sie überwiegend in den Haushalt des Ministers der Verteidigung.

Die Bundestagsmehrheit unterschiedlicher Koalitionen hat Anträge des Bundesrats auf ein Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz abgelehnt. Stattdessen haben sich bisher alle Bundesregierungen auf die sogenannte Staatspraxis berufen, wonach der Bund nur verpflichtet sein soll, die Beseitigung reichseigener Munition zu finanzieren.

Das führt dazu, dass, abgesehen von einigen Ausnahmen wie dem ehemaligen Truppenübungsplatz Münsingen in Baden-Württemberg, der Bund so gut wie nichts zur Beseitigung von Munition und sonstigen militärischen Altlasten beisteuert. So bleiben, wenn die gebietszuständigen Kommunen und Bundesländer dafür kein Geld einsetzen wollen oder können, viele ehemalige Truppenübungsplätze weiterhin Gefahrenzonen und wie in Zeiten  militärischer Nutzung Sperrgebiete.

Die Bundesrepublik Deutschland stellt zwar bedenkenlos Milliardenbeträge für die Schaffung militärischer Neulasten zur Verfügung, hat aber angeblich kein Geld für die flächendeckende Beseitigung militärischer Altlasten.

 

Anmerkungen
1) Ulrich Albrecht, Rüstungskonversionsforschung, Eine Literaturstudie mit Forschungsempfehlungen in: Studien zur Abrüstungsplanung, Nomos Verlagsgesellschaft Baden Baden 1979

2) Mike Cooley: Produkte für das Leben statt Waffen für den Tod, Rowohlt-Verlag  Hamburg 1982

3) Christoph Butterwegge, Der Unterweserraum - ein Modell für die regionale Rüstungskonversion? In: Wissenschaft und Frieden, Heft 3, 1990

4) Hanspeter Greger/ Roland Vogt, Westpfalz zivil, Heft 1 der Schriftenreihe des Projekts Regionale Konversion, Kaiserslautern 1987

5) „Dann stehen wir hier auf Null“, DER SPIEGEL 10/1990 vom 5.3.1990

6) DER SPIEGEL a.a.O.

7) Im Wortlaut: Brandenburger Leitlinien, Ein Programm für die Konversion Frankfurter Rundschau 29. August 1992

8) www.conver.net

9) Ulrich Albrecht aaO, S.101 ff.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Roland Vogt war von 1996-2006 Konversionsbeauftragter im Wirtschaftsministerium des Landes Brandenburg. Der Jurist und Diplompolitologe bezeichnet sich -wie bereits im Handbuch des 10. Deutschen Bundestags- als Friedensarbeiter. Er hat die AL Berlin und die Europagrünen mitgegründet und war Mitinitiator der Bürgerinitiative FREIeHEIDe.